Darmstadt. .
Bloß Bewährung, mag mancher denken, als wäre das nichts. Doch für Nadja Benaissa war der Prozess an sich vielleicht die eigentliche und schwerste Strafe.
Jeder weiß jetzt, dass die Sängerin der „No Angels“ HIV hat und wann sie mit wem, wo und wie oft ins Bett ging. Jeder hat gehört, dass sie einen Mann angesteckt hat beim ungeschützten Sex. Jeder kennt ihre Virenlast und hat nun auch die Last der Schuld gesehen – nicht zuletzt an ihren bitteren Tränen am Donnerstag im Darmstädter Gericht.
Nadja Benaissa ist verurteilt wegen gefährlicher Körperverletzung zu zwei Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung. Sie muss 300 Sozialstunden leisten in einer Pflege-Einrichtung für Aidskranke, sie, die täglich selbst mit dem Ausbruch der Krankheit rechnen muss. Und sie muss ihre Therapie fortsetzen, um sich mit eben dieser Infektion, mit ihrem Leben „voller Brüche und Unregelmäßigkeiten“ auseinanderzusetzen. So haben die Richter entschieden, so hatte es der Staatsanwalt gefordert, so hatte der Verteidiger gehofft.
„Eigensüchtig und verantwortungslos“
Warum also weint Benaissa so bitterlich, mühsam verhalten anfangs, später haltlos, bis nach fast einer Stunde ein Wachmann endlich rennt, um Taschentücher zu holen? Anwalt Oliver Wallasch schiebt es auf die Anspannung, die nun gewichen sei. Doch es ist deutlich zu sehen: Die Fassung dieser Frau, die sich im Prozess offen gab und sehr gerade hielt, geht verloren, als Richter Dennis Wacker in seiner Urteilsbegründung persönlich wird. Von „häufig wechselnden, sich zum Teil überschneidenden Partnerschaften“ spricht er, davon, dass die Angeklagte darin Bestätigung gesucht habe.
„Eigensüchtig und verantwortungslos“ sei es gewesen, „eine katastrophale Fehlentscheidung“, Männer über das HI-Virus im Unklaren zu lassen. Dass Benaissa ihre „ständig präsente Krankheit“, die „regelmäßig tödlich verläuft“, verdrängt habe, mag er nicht akzeptieren und auch nicht ihre Angst um einen Karriereknick: Denn im ersten angeklagten Fall habe es die „No Angels“ noch nicht, im zweiten nicht mehr gegeben. Absicht unterstellt Wacker der Sängerin zwar nicht, wohl aber bedingten Vorsatz; sie habe in Kauf genommen, das Virus zu übertragen.
Ein klärendes Gespräch
Kopfschüttelnd verbirgt Benaissa das Gesicht in der Hand. Tränenverschmiert ist es jetzt, ohnehin haben die Beteiligten dieses Prozesses in der vergangenen Woche zwei Gesichter dieser Frau gesehen. Das der verantwortungsvollen Mutter, der selbstbewussten Künstlerin, der Klassenbesten, der einsichtigen, reuevollen Angeklagten. Und das des überforderten Pop-Sternchens, das doch nur den Partner fürs Leben suchte, den Kandidaten dann aber seine Krankheit verschwieg. Das konkrete Nachfragen sogar verneinte und über den infizierten Ex-Freund gesagt haben soll: „Er muss lernen, damit zu leben.“
Es hat ihr nicht geholfen, dass es auch Zeugen gab, die berichteten, sie habe sie frühzeitig informiert, auf konsequentem Schutz bestanden. Im Gegenteil: Für das Gericht ist genau das der Beweis, dass Benaissa „bewusst war, dass dieser eine Intimkontakt derjenige sein kann, der zur Ansteckung führt“. Und „die Strafbarkeit“ dafür, so Wacker, „entfällt auch nicht wegen der Eigenverantwortung“ der Männer, die in ihrer Unwissenheit nicht zum Kondom gegriffen hatten. Deshalb verfügte das Schöffengericht auch dies: Die Angeklagte muss sich beim Opfer entschuldigen. Viel mehr als das hatte der verzweifelte Mann im Zeugenstand angeblich auch nicht gewollt: ein klärendes Gespräch und ein öffentliches Outing. Das erreichte nach seiner Anzeige erst die Staatsanwaltschaft: Sie machte Benaissas Infektion mit ihrer Verhaftung bekannt und ist dafür kritisiert worden. Es gibt aber auch Beobachter, die glauben: Das Zwangsouting war die Chance für Aufarbeitung und Neuanfang.
Benaissa muss nicht ins Gefängnis, könnte also wieder singen. Ob sie dazu aber zwischen Arbeitsstunden, Therapie und Tochter die Zeit hat, ist fraglich, und auch die Kraft: Immerhin hat sie ihre Tournee aus gesundheitlichen Gründen absagen müssen – und dass es ihr auch heute nicht gut geht, war im Gerichtssaal zumindest zu erahnen.