Essen. .

Im Neubau des Düsseldorfer Amts- und Landgerichts sollen keine Kreuze mehr aufgehängt werden. Der Aufschrei besonders der Kirchen war groß, aber auch Ministerpräsident Rüttgers kritisierte die Entscheidung. Doch in den Gerichten und Schulen in NRW ist die Realität längst eine andere.

1995 sorgte das Kruzifix-Urteil für Aufruhr. Und noch immer können sich nicht alle mit diesem Urteil abfinden.
1995 sorgte das Kruzifix-Urteil für Aufruhr. Und noch immer können sich nicht alle mit diesem Urteil abfinden.

Mit dem Neubau des Amts- und Landgerichts in Düsseldorf hatte alles angefangen. Keine Kreuze sollten dort mehr in den Sälen aufgehängt werden, hieß die Order des Landgerichts-Präsidenten Heiner Bläsing. Dabei berief er sich auf das sogenannte Kruzifix-Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Das höchste deutsche Gericht hatte in einem Aufsehenerregenden Urteil bereits 1995 erklärt, dass Kruzifixe in Klassenzimmern verfassungswidrig seien und abgehängt werden müssten, wenn sich Lehrer oder Schüler dadurch diskriminiert fühlten. Der Staat müsse seine religiöse Neutralität wahren, so das Gericht.

Um deutlich zu machen, dass auch das neue Justizzentrum in Düsseldorf weltanschaulich neutral sei, hat sich der Gerichtspräsident gegen das Kreuz entschieden. Er glaubt zudem, dass ein ständiges Auf- und Abhängen das Ansehen dieses christlichen Symbols beschädige. Der Aufschrei ließ nicht lange auf sich warten – von den Kirchen natürlich, aber auch die CDU-Landtagsfraktion und Ministerpräsident Jürgen Rüttgers meldeten sich zu Wort: Er hätte sich „eine andere Entscheidung der Gerichte gewünscht“, sagte Rüttgers. Das Kreuz stehe für „die christlich-abendländischen Werte“, auf denen das Gemeinwesen basiere.

Doch anweisen kann Rüttgers in dieser Sache nichts, sein Wunsch hat für öffentliche Gebäude in Nordrhein-Westfalen keinerlei Konsequenzen. Jeder so, wie er mag, lautet hier offenbar die Devise. Die Sprecher aus Innen-, Justiz- und Schulministerium winken auf Anfrage von DerWesten allesamt ab: Nein, eine Vorschrift oder zumindest eine Empfehlung gebe es für Schulen, Gerichte oder Polizeibehörden nicht. Jeder Hausherr könne selbst entscheiden, ob er im Gebäude Kreuze aufhängen lässt. Maßgeblich sei allein das Kruzifix-Urteil von 1995: Wenn sich jemand durch das Kreuz gestört fühle, müsse es halt wieder ab.

Einheitliche Handhabe ist nicht in Sicht

Handlungsbedarf für eine einheitliche Handhabe sehe man auch künftig nicht, erklärt Ulrich Hermanski, Sprecher im Justizministerium. Das Kreuz habe Tradition, ebenso wie die Tatsache, dass das Justizministerium keinen Einfluss auf die „Anbringung von Kreuzen in Gerichtssälen noch auf die Entfernung solcher Symbole christlichen Glaubens“ nehme. In der gleichen Mitteilung lässt sich Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter zitieren: „Ich würde mich freuen, wenn die Verantwortlichen beim Land- und Amtsgericht Düsseldorf ihre Entscheidung, im neuen Justizzentrum keine Kreuze in den Gerichtssälen aufzuhängen, noch einmal überdenken würden. Ich würde dafür eintreten, dass Kreuze nur im Einzelfall abgehängt werden, wenn einer der Prozessbeteiligten hieran Anstoß nimmt.“

Jürgen Rüttgers hat sich für Kreuze in öffentlichen Gebäuden ausgesprochen.
Jürgen Rüttgers hat sich für Kreuze in öffentlichen Gebäuden ausgesprochen. © Knut Vahlensieck

Etwa 1300 Gerichtssäle gibt es in Nordrhein-Westfalen, lediglich 40 bis 60 sind mit einem Kreuz ausgestattet. Daher scheint sich auch die Präsidentin des Oberlandesgerichts Düsseldorf, Anne-José Paulsen, über die aktuelle Diskussion zu wundern. In einer Mitteilung listet sie all die Gerichte auf, in denen – von der Öffentlichkeit und der Politik weitgehend unbeanstandet – ebenfalls keine Kreuze hängen. Neben den Bundesgerichten, wie dem Bundesverfassungsgericht oder dem Bundesgerichtshof, sind das der nordrhein-westfälische Verfassungsgerichtshof sowie die Verwaltungsgerichte und das Oberverwaltungsgericht NRW. Paulsen betont: „So hängen gerade im Rheinland in praktisch keinem Gerichtssaal Kreuze, sei es in der Domstadt Aachen, am Sitz des Erzbischofs von Köln, in der früheren Bundeshauptstadt Bonn oder im Oberlandesgericht Düsseldorf.“

Kirchen verweisen auf christliche Prägung

Diese Entwicklung bedauert der Sprecher des Bistums Essen, Ulrich Lota, sehr: „Wir dürfen uns nicht zu Tode tolerieren“, antwortet er zudem auf die Frage, ob er zum Beispiel in Klassenzimmern neben dem Kreuz auch noch andere religiöse Symbole dulden würde. „Wir sind keine Gesellschaft mit Werten aus dem Nirwana, unser Staat hat eine abendländisch-christliche Prägung. Deshalb sollte das Kreuz als äußeres Zeichen hängen dürfen.“ Der Düsseldorfer Superintendent Ulrich Lilie betont: „Wir sind eine christliche Mehrheitsgesellschaft, das sollten wir selbstbewusst zum Ausdruck bringen.“

Unterstützung erhalten die christlichen Kirchen vom Zentralrat der Muslime und vom Islamrat. Die „weit über ein Jahrtausend gewachsene abendländische Tradition verdient allemal so viel Respekt, dass man ihre Symbole achtet“, sagte der Islamratsvorsitzende Ali Kizilkaya zu Welt online. Auch wenn er sich selbst mit anderen Symbolen identifiziere.

Wie in den Gerichten ist die Realität aber auch in den Schulen bereits an einem ganz anderen Punkt angekommen, als es die aktuelle Debatte vermuten lässt. „Als Fachleiter reise ich viel durch die Region, und ich kenne kaum noch eine staatliche Schule, in der es Kreuze gibt“, sagt Patrick Goltsche, stellvertretender Leiter der Goethe-Schule in Essen-Bredeney. „Auch bei uns hängen, bis auf die Fachräume für Religion und an einem Totenbuch für die Gefallenen der Kriege, keine Kreuze.“

Trotz der eher konservativen Elternschaft im Essener Süden sei dieser Wunsch nie aufgekommen. Mit den konfessionellen und ökumenischen Schul-, Fasten- oder Weihnachtsgottesdiensten sowie dem regulären Religionsunterricht seien Eltern und Schüler zufrieden. „Müssten wir jetzt neue Kreuze anschaffen, würde das den Etat sprengen“, sagt Goltsche lachend. Und fügt hinzu: „Der Unmut und die Aufregung sind stets viel größer, wenn jemand irgendwann verlangt, ein Kreuz abzuhängen, als wenn gar keine Kreuze hängen.“

Zu viele religiöse Symbole befürchtet

Die Goethe-Schule in Essen-Bredeney.
Die Goethe-Schule in Essen-Bredeney. © WAZ FotoPool

Auch an der Gesamtschule Essen-Nord suchen Besucher vergeblich ein Kreuz. Schüler aus 35 Nationen lernen an der Schule im Essener Stadtteil Vogelheim, „so dass wir da einfach eine gewisse Neutralität wahren müssen“, sagt Schulleiter Thomas Keller. Den meisten Schülern und Eltern sei aber auch gar nicht bewusst, dass die Schule kreuzesfrei ist. „Ich glaube, viele würden erst reagieren, wenn auf einmal ein Kreuz hängen würde“, so Keller. Und allein darauf wolle er sich auch nicht beschränken wollen: „Wenn wir schon religiöse Symbole in der Schule haben, müssten alle gleichermaßen bedient werden. Da das aber unüberschaubar wird, verzichten wir lieber komplett darauf.“

Bekenntnisschulen gehen naturgemäß einen anderen Weg. In der Essener Laurentiusschule, einer katholischen Grundschule in Steele, lernen die Kinder in jedem Klassenraum unter einem Kreuz, auch die Lehrerbüros haben eines. „Als katholische Schule erziehen wir nach christlichen Grundsätzen, da ist das Kreuz selbstverständlich“, sagt Konrektorin Ursula Wirth. Auch die Eltern der wenigen muslimischen Schüler hätten damit kein Problem, unterschreiben sie doch bei der Anmeldung, dass sie eben diese christliche Erziehung für ihr Kind wünschen.