Essen. Eine Studie der Citibank dämpft die Kernkraft-Euphorie der Stromkonzerne. Das brisante Papier trägt den Titel „Neue Kernkraft – Die Ökonomie sagt nein“. Doch auch RWE und Eon streben den Neubau von Atomkraftwerken im Ausland an.
In der Konzernzentrale des Essener Stromriesen RWE macht eine Studie der Citibank die Runde. Die Analyse trägt einen Titel, der verblüffend dem Greenpeace-Slogan „Atomkraft – nein danke“ gleicht, lediglich in englischer Übersetzung: „New Nuclear – The Economics Say No“. Also: „Neue Kernkraft – Die Ökonomie sagt nein“. Ausgerechnet Investment-Experten, die bisher nicht gerade der Anti-Atomkraft-Bewegung zugerechnet wurden, kommen in ihrem Strategiepapier zu diesem Urteil. Dabei führte die Industrie doch gerade die Wirtschaftlichkeit als Argument für Atomkraft ins Feld.
Regelmäßig war von einer weltweiten „Renaissance der Kernkraft“ und einem „deutschen Sonderweg“ die Rede. Ausführliche Listen, wo überall der Neubau von Meilern beantragt, geplant oder angedacht ist, liefert das Deutsche Atomforum, die Lobby-Organisation der Branche, praktisch auf Knopfdruck. In China seien 16 Kraftwerke geplant oder beantragt, für eine ebenso große Zahl an Projekten gebe es „Vorplanungen“. In Russland seien 17, in den USA 36 Projekte zumindest ernsthaft angedacht. In Europa setzen unter anderem Frankreich, Finnland und die Schweiz auf neue Kernkraftwerke.
Pläne für Großbritannien
Die hoffnungsvollen Blicke der deutschen Industrie richten sich auch auf Großbritannien. Hier hatte die Regierung unlängst eine Kehrtwende in der Energiepolitik vollzogen und wieder verstärkt auf Atomkraft gesetzt. Zehn Projekte mit einer Leistung von insgesamt 10.000 Megawatt tauchen in der Statistik des Atomforums auf. Zum Vergleich: In Deutschland waren zuletzt 17 Kernkraftwerke mit einer Leistung von rund 21.500 Megawatt am Netz.
Auch die beiden deutschen Energieriesen RWE und Eon wollen an den gigantischen Neubauprojekten verdienen. Die NRW-Konzerne, die hierzulande scharfe Konkurrenten sind, gründeten ein Gemeinschaftsunternehmen, das in Großbritannien den Bau neuer Kraftwerke mit einer Leistung von mindestens 6000 Megawatt vorantreiben soll. Die britischen Behörden gaben RWE und Eon sogar schon den Zuschlag für Grundstücke in Mittelengland und in Wales. In den Örtchen Wylfa und Oldbury könnten die Atommeiler errichtet werden. Spätestens im Jahr 2020, so die Planungen, soll das erste Kraftwerk ans Netz gehen.
Kosten bei Projekt in Finnland sind explodiert
Doch die Studie aus dem Hause Citibank strotzt nur so vor Warnungen an die Energiewirtschaft. Die Risiken seien vielfältig – angefangen bei der Planung und Konstruktion über den Betrieb und die Strompreisentwicklung bis hin zur Atommüllentsorgung. Die Autoren kommen zur Einschätzung, dass letztlich sogar Staatshilfen für die Kernkraft notwendig seien, um die Wirtschaftlichkeit der Projekte zu gewährleisten. Angesichts der gewaltigen Kosten, die beim Bau neuer Atomkraftwerke entstünden, könne selbst einem Großkonzern ein „gefährlicher Schaden entstehen“, wenn ein Projekt schief läuft. Die Probleme beim Bau des Atommeilers im finnischen Olkiluoto dienen den Autoren als mahnendes Beispiel. Ursprünglich sollte es drei Milliarden Euro Kosten, nun sind schon 5,3 Milliarden Euro im Gespräch. Das komplexe Bauprojekt, an dem auch der deutsche Siemens-Konzern beteiligt ist, liegt um Jahre hinter dem Zeitplan.
Gerade aus finanzieller Sicht stehen die Energieunternehmen bei großen Kernkraftprojekten vor Risiken, die nur schwer zu überschauen sind. Schließlich sollen die Konzernstrategen Planungszeiträume von 30 bis 40 Jahren überblicken. Wie profitabel Atomenergie im Wettbewerb mit Kohle, Gas, Wind- oder Sonnenkraft ist, hängt dabei maßgeblich von staatlicher Regulierung und dem Preis für das klimaschädliche Kohlendioxid ab.