Bochum/Witten. .

Die Suche nach dem Kaiman im Kemnader See war bislang ohne Erfolg. Aber ein gewisses Unbehagen bleibt. Seit dem Wochenende soll das Reptil in dem Gewässer zwischen Witten und Bochum sein. Zeugen sind sich sicher: Sie haben ein kleines Krokodil entdeckt.

Zuletzt war es ein herumtobender Huskie, der die Schafe in Aufruhr versetzte; die Herde stob davon, und vier tote Schafe wurden angeschwemmt am nächsten Tag. So fallen Martin Reimelt, dem Schäfer am Kemnader Stausee, noch immer eher Hunde ein, wenn er an ,Gefahr’ denkt – und Krokodile nicht. Jedenfalls bis Dienstag nicht, bis er davon hört, dass ein Kaiman gesichtet worden sein soll am See: „Der wird ja kein Schaf fressen, wenn ich sie am Ufer tränke?“

Das Platschen im Wasser

Sonntagabend tatsächlich wurde er gesehen. Zuerst sein großer gelber Bauch, der im Wasser platscht, und Karoline Schubert (18) scherzt noch: „Das sieht ja fast aus wie ein Krokodil!“ Lachend bremst sie ihre Inliner, bleibt stehen, dann tauchen plötzlich, etwas entfernt, auch zwei dazugehörige Augen auf und die Nasenspitze. „So etwas hatte ich bisher nur im Zoo gesehen“, sagt Karoline Schubert heute.

Karoline und ihr Freund, der WAZ-Volontär Arne Poll, sind sich „hundertprozentig sicher“, einen Kaiman beobachtet zu haben. Das Problem ist: Nur sie beide haben bislang das kleine Krokodil gesehen, ihr einziger Beleg ist ein Handyfoto mit Loch-Ness-Beweisqualität – ihre Schilderungen sind weitaus klarer.

Dennoch fahren zwei Mitarbeiter des Freizeitzentrums Kemnade noch am Morgen das Ufer ab in der Nähe des Mühlengrabens, wo die Sichtung erfolgte – nichts! Sie informieren die Gärtner rund um den See und die Mitarbeiter des Segelhafens, die Augen aufzuhalten – wieder nichts! Und auch bei der Polizei – keine weitere Sichtung! „Wir haben recherchiert, und bislang hat es kein anderer gesehen. Deshalb sehen wir noch keinen Grund, aktiv zu werden“, sagt Polizeisprecher Volker Schütte.

Natürlich gibt es Zweifel, können Poll und Schubert sich geirrt haben. Doch dass man Kai, wie der Kaiman inzwischen rund um den See genannt wird, nicht mehr sieht, verwundert keinen Experten. „Auch in größeren Terrarien neigen Kaimane dazu, abzutauchen, sich zu verstecken“, so Tobias Friz, Facharzt der Münchener „Auffangstation für Reptilien“.

Jährlich würden einige hundert Kaimane von den Zuchtfarmen in Mittel- und Südamerika nach Deutschland importiert. „So ein Baby-Krokodil ist gerade einmal 25 Zentimeter groß, super-süß und gar nicht teuer! Leider machen sich viele, die so ein Tier kaufen, keine Gedanken, dass es auch noch wächst“, so Friz.

Kai jedenfalls soll, so die Augenzeugen, knapp einen Meter groß sein und damit gerade einmal halbwüchsig. Kaimane können bis zu zwei Meter groß werden. Halbwüchsig also, aber ist er auch gefährlich? Tobias Friz: „Diese Reptilien sind zumeist schlecht gelaunt und durchaus wehrhaft. Sie drohen mit offenem Maul, springen auf einen zu und beißen!“ Kleine Kaimane ernährten sich von Insekten und Fischen, ausgewachsene von Wasserschweinen, Nagern und Affen, die am Ufer trinken. Dass für Menschen, Hunde oder Katzen Gefahr bestehen könnte, hält Friz für unwahrscheinlich. Bei viel Trubel ziehe sich ein Kaiman zurück.

Neigung zur Flucht

Im Bochumer Polizeipräsidium zehn Kilometer nördlich vom See baut sich Dienstagnachmittag ein ganz anderer Druck auf. Die Medien. Im Präsidium tobt der Bär, um ein Sommerloch-Phänomen früherer Jahre zu bemühen. Kai ist gefragt, seine Entdecker ebenfalls. „RTL und der WDR waren schon da“, sagt am Nachmittag Wilfried Perner, der Geschäftsführer der Kemnade GmbH. Denn das Krokodil im Naherholungssee ist ein Klassiker des Sommerloch-Journalismus, vergleichbar nur mit dem schwarzen Panther im deutschen Mischwald.

„Wir haben unseren Segellehrern gesagt: Guckt, dass ihr nicht reinfallt!“, sagt Perner. Noch ist er gelassen, wenn es um Kai geht, doch „wenn da wirklich etwas dran ist, bekommen wir ein Problem“. Dabei ist der See eine Idylle. Der Kinderflohmarkt. Die Schafe. Die „Kemnade“: „Ich habe keine Angst vor dem Kaiman, ich wiege über 90 Kilo“, sagt Kapitän Holger Schmidt. Auch Martina Bovensmann, die Kanutouren organisiert, nimmt den Rummel eher gelassen: „Ich sehe hier auch oft Baumstämme im Wasser und denke, oh, das sieht aus wie ein Krokodil oder eine Wasserschlange.“

Vielleicht ist das Rätsel auch einfach nicht zu lösen. Ihn zu fangen, wird schwer, denn Kaimane neigen zur Flucht. Mag also sein, Kai wird nie mehr gesehen. Eventuell hat er längst die Bootsgasse neben dem Wehr genommen, ist zwischen Bochum und Hattingen hindurchgeschwommen, an Essen und Mülheim vorbei . . . See you later, alligator!