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Identitätsklau ist in sozialen Netzwerken zum alltäglichen Übel geworden. Zu den Opfern zählen Prominente wie Martina Gedeck oder Harald Schmidt. Davor schützen können sie sich nicht. Doch manchem Twitter-Fälscher drohen empfindliche Strafen.
Martina Gedeck hat gar keinen Computer. Doch die Fälscher pickten sich ausgerechnet die Schauspielerin und Wahlfrau der Grünen heraus, um das falsche Vorab-Ergebnis der Bundespräsidentenwahl auf Twitter zu verbreiten. Damit haben sie den Beweis erbracht: Ein Promi kann dem Internet offenbar nicht entkommen, selbst wenn er sich ihm verweigert. „busemann (cdu) hat ne sms bekommen leute :) also kein zweiter Wahlgang“, twitterte die falsche Martina Gedeck über den Mikroblogging-Dienst. Und das eine Viertelstunde, bevor das Ergebnis des ersten Wahlgangs verkündet wurde. Die Aufregung war programmiert. Mehrere Medien sprangen darauf an. Gedeck stand im Verdacht, indiskret zu sein. Ihre Agentin ist empört: „Das war ein ganz übler Scherz, der da mit ihr getrieben wurde“, sagt Kirsten Vagiannis gegenüber DerWesten.
Das Twitter-Fake geht auf das Konto der nicht eben zimperlichen Schreiber des Satiremagazins „Titanic“. Die müssen sich jetzt auf Ärger mit der Schauspielerin einstellen. „Den Fall übernimmt ein Anwalt“, sagt Vagiannis. „Er kümmert sich darum, dass der Account gelöscht wird und prüft rechtliche Schritte.“ Das hört sich einfacher an, als es ist. „Im Grunde ist man dem Identitätsbetrug im Internet schutzlos ausgeliefert“, sagt Thomas Hoeren, Professor für Internet- und Medienrecht an der Universität Münster.
Keine Pflicht zur Prüfung
Der Identitätsklau muss zunächst dem Betreiber des sozialen Netzwerks gemeldet werden. Bei Twitter kann sich der Betroffene über mehrere Links zum Beschwerdeformular durchklicken und dort Alarm schlagen. Das Unternehmen mit Hauptsitz in San Francisco war für die Redaktion nicht zu erreichen. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass es ähnlich vorgeht wie das soziale Netzwerk „Facebook“. „Wir haben ein Team, dass die Echtheit der Accounts prüft“, teilt der Betreiber auf Anfrage mit. Facebook reagiere sofort auf Meldungen. „Die meisten Fakes werden schnell entfernt“, versichert das Unternehmen.
Facebook selbst wird jedoch nicht aktiv. Eine Fälschung fliegt nur dann auf, wenn sich Betroffene oder aufmerksame Nutzer melden. Twitter testet zudem so genannte „Verified Accounts“. Geprüfte Accounts werden mit einem weißen Häkchen auf himmelblauer Wolke versehen. „Eine Pflicht, solche Fake-Accounts zu verhindern, gibt es nicht“, sagt Stefan Müller-Römer, Anwalt für Medienrecht in Köln. „Lediglich dann, wenn der Betreiber auf die Rechtsverletzung hingewiesen wird, hat er die Pflicht zur Löschung.“ Eine Kontrolle der Accounts sei schon deshalb nicht zwingend vorgeschrieben, weil die Meinungsfreiheit es gebiete, dass User im Internet anonym bleiben dürfen.
Schutz des eigenen Namens verletzt
Doch mit dem Löschen des Accounts sei der Ärger noch längst nicht vorbei, sagt Internetexperte Hoeren. „Die einzelnen Nachrichten haben sich in der Regel in sämtlichen Online-Archiven verbreitet. Sie da rauszulöschen ist fast unmöglich.“ Hinzu kommt eine weitere Hürde: Um den Fälscher zur Verantwortung zu ziehen, muss dieser erst ausfindig gemacht werden. Und selbst wenn das gelingt, haben Twitter-Betrüger laut Hoeren vor Gericht in der Regel nicht allzu viel zu befürchten.
Der Betroffene kann sich auf den Schutz des eigenen Namens berufen. „Im Fall der Martina Gedeck liegt eindeutig eine so genannte Namensanmaßung vor“, sagt Hoeren. „Bei Prominenten wird dieser Verstoß noch härter geahndet.“ Die Titanic könne sich zwar darauf berufen, dass es sich bei dem gefälschten Account um Satire gehandelt habe. Doch damit würden die Komiker-Journalisten nicht durchkommen. Schließlich sei das Ganze unter dem Anschein der Echtheit veröffentlicht worden, sagt Hoeren. „Hinzu kommt, dass der Geheimnisschutz für diese Wahl verletzt wurde. Martina Gedeck wurde damit in das Licht einer Rechtsbrecherin gerückt.“
„Journalisten könnten sich sogar strafbar gemacht haben“
Martina Gedeck sei als Wahlfrau Teil eines Verfassungsorgans gewesen. Damit bestehe ein zusätzlicher Achtungsanspruch, sagt Dirk Heckmann, Professor für Internetrecht an der Universität Passau. Auch er sieht die Grenzen der Kunstfreiheit in diesem Fall klar überschritten. „Satire darf nicht alles. Frau Gedeck wurde dargestellt, als ob sie ihr Amt nicht ernst nimmt. Damit liegt eindeutig ein Missbrauch der karikierten Person vor.“ Zudem sei sie als Satire-Opfer willkürlich ausgewählt worden.
Die Schauspielern könnte Schmerzensgeld beantragen, ist Hoeren überzeugt. „Doch die Höhe der Summe ist in der Regel enttäuschend und wird der Titanic kaum wehtun.“ Laut Internetrechtler Heckmann spricht jedoch vieles dafür, dass sich die Journalisten sogar strafbar gemacht haben könnten, da der falsche Twitter-Account auch ein Bild von Martina Gedeck zeigt. „Das Bild einer Person der Zeitgeschichte darf jedoch nur veröffentlicht werden, wenn kein berechtigtes Interesse der Abgebildeten dagegen spricht.“ Bei Bild-Missbrauch droht eine Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr.
„Menno, wo bleibt das Bier?“
Gedeck ist nicht das erste Opfer der Titanic. Die Chefsatiriker der Nation machten im Hessen-Wahlkampf 2009 auch den SPD-Spitzenkandidaten Thorsten Schäfer-Gümbel zum Gespött der Netzgemeinde. Sie bauten seine Seite täuschend echt nach und imitierten den Twitter-eifrigen Politiker. Der Running Gag des Fakes war Schäfer-Gümbels vermeintliche Trinkfestigkeit. „Menno, wo bleibt das Bier? Wenn ich Ministerpräsident bin, fliegt als Erstes dieser Faulsack von Lieferant!“, stand in einer der Mitteilungen. Thorsten Schäfer-Gümbel biss die Zähne zusammen. Er klagte nicht.
Doch die Fake-Accounts verärgern nicht nur die Betroffenen, sondern führen auch gutgläubige Journalisten vor. „Den Initiatoren gelungener Fakes geht es häufig darum, die Kompetenz der Medien zu testen“, sagt Markus Beckedahl von Netzpolitik.org.. Dahinter steckten oft Journalisten oder PR-Leute. Die Medienwelt führt sich selbst an der Nase herum. Besonders eindrucksvoll ist das mit dem Twitter-Account @muentefering gelungen. Der falsche Müntefering twitterte bis zum Rücktritt des echten ein Jahr lang. Der Account hatte mehr als 5000 Abonnenten, zahlreiche Medien zitierten ihn.
Twitter-Fake als Bewerbung bei Harald Schmidt
Beckedahl sieht deshalb auch die Journalisten in der Verantwortung. „Wenn sie besser recherchieren würden, wären auch Fake-Accounts nicht so erfolgreich“, sagt der Internetexperte. So hätte das vermeintliche Profil von Gedeck erst einen Tag existiert und sei mit ziemlichem Quatsch gefüllt worden. „Da hätten bei den Journalisten die Alarmglocken schrillen müssen“, meint Beckedahl. Im Zweifelsfall reiche einfach der Anruf beim Original.
Auch der falsche Harald Schmidt twitterte schon. Die Einträge waren sogar so gut, dass die Twitterer dahinter den echten Entertainer vermutet haben. Der falsche Schmidt heißt Robert Michel und kommt aus Bielefeld. Der Zwitscher-Gag sollte eine Bewerbung sein. Michel wollte Oliver Pochers Nachfolger als Co-Moderator bei Schmidt werden. Das ist ihm nicht gelungen. Doch die Publicity war ihm sicher. Und vielleicht auch die stille Anerkennung des Originals. Die dürfte Martina Gedeck bei Einträgen wie diesem schwer fallen: „Shit, Nina Hoss am Telefon - angebl. hätte ich gestern auf Phoenix Grimassen hinter ihr geschnitten. Sofortiges Dementi!“, lautete eine der Botschaften des Twitter-Fakes. Die falsche Martina zwitschert munter weiter.