Essen. Rapide sinkende Anmeldezahlen erhöhen den Druck auf die umstrittene Schulform Hauptschule. Besonders im Ruhrgebiet ist der Schülerschwund unübersehbar. Schulministerin Barbara Sommer hält jedoch an Hauptschulen fest: "Sie sind und bleiben eine stabile Säule des gegliederten Schulsystems."
Sieben Prozent weniger Hauptschüler im Land – das stetig wachsende Minus überrascht die Bildungsexperten des Dortmunder Instituts für Schulentwicklungsforschung (IFS) nicht. „Die neuen Zahlen bestätigen unsere Prognosen der letzten Jahre”, sagt Ernst Rösner, der beim IFS die Situation dieser Schulform seit Jahren analysiert.
Den verstärkten Rückgang der Hauptschüler in diesem Schuljahr führt Rösner auf zwei Faktoren zurück: „Zum einen gehörten die Abschlussklassen 9 und 10 noch zu den geburtenstarken Jahrgängen, es haben also weit mehr Jugendliche die Schulen verlassen, als aus den Grundschulen nachgerückt sind. Zum anderen sinkt die Akzeptanz dieses Bildungsgangs weiter”, ist sein Eindruck. „Wenn Eltern die Wahl haben zwischen einer guten Hauptschule mit kleinen Klassen plus Ganztagsunterricht und einer Realschule im Halbtagsbetrieb – dann wird sich vielleicht ein Prozent der Eltern für die Hauptschule entscheiden.” Zudem sei aus der Statistik leider nicht erkennbar, wie viele Kinder in die fünften Klassen gewechselt sind. „Aber nur diese Zahl sagt etwas darüber aus, welche Zukunft eine Schule hat.”
Schülerschwund im Ruhrgebiet
Tatsächlich ist der Schülerschwund im Ruhrgebiet teils deutlich stärker als im Landesdurchschnitt. So sank die Zahl der Hauptschüler in Duisburg gegenüber 2008 um 9,7 Prozent, im Ennepe-Ruhr-Kreis um 9,6 Prozent. Zweistellig sind die Verlustraten in Essen (- 11,2), Mülheim (-11,6) und Oberhausen (-14,5 Prozent). Unter dem Landesschnitt liegen Dortmund (-6,2), Herne (- 1,4), Gelsenkirchen (-2,6).
Gerade auf dem Land, weiß Rösner, wünschen sich selbst CDU-Räte attraktive Alternativen zur Hauptschule; die ist in 44 Gemeinden bereits die einzige weiterführende Schule. „Die Politiker suchen deshalb händeringend nach Möglichkeiten, den Kindern und Eltern am Ort gymnasiale Standards zu bieten.” Zurzeit erlaubt die Landesregierung in Einzelfällen, Haupt- und Realschulen zu Verbundschulen zusammenzuschließen. Doch selbst der Regierungspartner FDP propagiert für NRW inzwischen die „regionale Mittelschule”, über deren Einrichtung jede Kommune selbst entscheiden soll. Schulministerin Barbara Sommer (CDU) aber bleibt standhaft bei der alten CDU-Linie: „Kommunen mit nur einer Hauptschule können diese auch einzügig führen”, lautete ihre Reaktion auf die neuen Zahlen. Und: „Die Hauptschulen sind und bleiben eine stabile Säule des gegliederten Schulsystems.”
Für Rösner steht dennoch fest: „Ganz gleich, wer nach der Landtagswahl im Mai regiert – es wird eine neue Schulpolitik geben. Die Kommunen wollen etwas anderes.”
Kostenlose Kitas
Vor einer allzu zügigen flächendeckenden Einführung neuer Schulformen warnt allerdings Professor Wilfried Bos, der Direktor des IFS.
Es reiche nicht, zwei Schulformen einfach miteinander zu verknüpfen. „Ohne vernünftige Konzepte, ohne eine gute Qualifizierung der Lehrkräfte, die ja ganz andere Schüler als bisher unterrichten müssten, würde sich an den bekannten Problemen nichts ändern.”
Ein wichtiger Schritt wäre aus seiner Sicht, Kindergärten und Kitas kostenfrei anzubieten. Das aber sei weder möglich noch nötig, sagt Barbara Löcherbach, Sprecherin des Familienministeriums. „91 Prozent der deutschen und 88 Prozent der Migrantenkinder besuchen schon heute eine Kita – damit steht NRW bundesweit in der Spitzengruppe.”