Dresden. SPD-Oppositionsführer Frank-Walter Steinmeier macht Front gegen die schwarz-gelbe Regierungspolitik. Das sei Schuldenpolitik im Blindflug, Entsolidarisierung in der Gesundheit, Ausbluten der Kommunen, aber gleichzeitig vollmundige Steuersenkungen auf Pump.
Die Nacht war kurz für manche, aber am Morgen nach der Wahl von Sigmar Gabriel zum Parteivorsitzenden kehrte die SPD schnell an die Arbeit zurück. Vorstandswahlen, neue Programmatik nach dem Wahldesaster vom 27. September verabschieden – die Tagesordnung in der Dresdener Messehalle ist bis zum Abend prall gefüllt.
Bundesregierung vertiefe soziale Spaltung im Land
Den Anfang machte einer, dem in der Sachsen-Metropole in beinahe jeder Wortmeldung viel Dankbarkeit entgegenschlug: Frank-Walter Steinmeier, einst Kanzler-Kandidat, jetzt Oppositionsführer im Bundestag. In seiner Rede rief Steinmeier die SPD auf, so schnell wie möglich die neue Aufgabe anzunehmen. „Wir dürfen den Schwarz-Gelben jetzt keine Ruhe lassen“. Die neue Bundesregierung habe überhaupt keine Idee von der Zukunft dieses Landes und werde die soziale Spaltung in Deutschland vertiefen.
Wörtlich sagte Steinmeier: „Schwarz-Gelb, das ist Schuldenpolitik im Blindflug, das ist Entsolidarisierung in der Gesundheit, das ist Ausspielen der Regionen gegeneinander, das ist Ausbluten der Kommunen, aber das ist gleichzeitig vollmundige Steuersenkungen auf Pump.“ Seine Schlussfolgerung: „Die Mehrheit in Deutschland wird in die Röhre gucken. Diese Politik müssen wir bekämpfen“, rief er den Delegierten zu.
Das Land werde dafür noch teuer bezahlen
Massiv ging Steinmeier die ersten Versuche der Merkel-Regierung an, die Wirtschaft zu beleben. Das jüngst verabschiedete „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“ bringe nur „Steuerberatern, Erben, Ärzten und Hotelketten“ Vorteile. Steinmeier: „In Wahrheit ist es ein Zukunftsverhinderungsgesetz, das keinerlei Wachstum schafft.“ Steinmeiers düstere Prognose: Für derlei Steuergeschenke, die Schwarz-Gelb nun auf Pump verteile, werde „dieses Land noch einmal teuer bezahlen“.
Zuvor erhielt der frühere SPD-Chef und jetzige rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck viel Beifall für seine kritischen Worte zum Fall Opel. Der Automobilbauer, so Beck, sei von der US-Mutter General Motors „zugrundegerichtet“ worden. Die Irritationen um den geplatzten Verkauf an den Magna-Konzern bezeichnete Beck als „ein schäbiges Stück Kapitalismus“. Der Parteitag verabschiedete eine Resolution, die den Erhalt aller Opel-Standorte in Deutschland und die Sicherung möglichst vieler Arbeitsplätze einfordert. „Staatliche Hilfen sind nur dann vertretbar, wenn Standort- und Beschäftigungssicherheit gewährleistet sind“, heißt es in dem Papier. Und: Es dürfe im Zusammenhang mit der Umstrukturierung von Opel keine betriebsbedingten Kündigungen geben.
Thema Leitantrag der SPD
Am Nachmittag wollen sich die über 500 Delegierten mit dem Leitantrag der SPD-Spitze beschäftigen, der als selbstkritische Analyse-Richtschnur für die künftige Arbeit als Oppositionspartei dienen soll. Hier die wichtigsten Kernaussagen im Entwurf:
1) „Die SPD hat in ihren Kernkompetenzen Arbeit und Soziales deutlich an Vertrauen und Glaubwürdigkeit verloren.“
2) „Wir sind in der Regierungsverantwortung Kompromisse eingegangen, die an unserer Glaubwürdigkeit gezehrt haben. Dies gilt insbesondere für die Anhebung der Mehrwertsteuer und die Anhebung des Renteneintrittsalters.“
3) „Prekäre und atypische Beschäftigung, insbesondere zu Armutslöhnen, Leiharbeit, Befristungen und geringfügige Beschäftigung haben in den letzten zwei Jahrzehnten massiv zugenommen. Es gelang nicht, die Mehrheit der Bevölkerung an dem seit 2005 einsetzenden wirtschaftlichen Aufschwung angemessen teilhaben zu lassen. Trotz Wachstums stagnierten oder sanken die Realeinkommen vieler Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Die damit verbundene Zunahme der Einkommens- und Vermögensungleichheit verletzte das Gerechtigkeitsempfinden.“
4) „Die Arbeitsmarktreformen des Jahres 2004 und die Entscheidungen der großen Koalition zur Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters auf 67 Jahre hatten - so richtig ihre Intention war - problematische Wirkungen und wurden von vielen Wählerinnen und Wählern nicht akzeptiert. Die Arbeitsmarktreformen haben in weiten Teilen der Arbeitnehmerschaft Furcht vor sozialem Abstieg durch Arbeitslosigkeit ausgelöst. Im Ergebnis wurde der SPD angelastet, dass sie sich von zentralen Sicherungsversprechen des Sozialstaates, der Absicherung bei Arbeitslosigkeit und im Alter, verabschiedet habe.“
5) Für die SPD ist zentral, dass bei allen Wahlen der letzten Jahre die stärksten Einbußen bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie bei Arbeitslosen zu verzeichnen waren.
6) „Und nicht zuletzt sorgten häufige Wechsel an der Parteispitze und jahrelange öffentlich ausgetragene innerparteiliche Konflikte für deutliche Verunsicherungen über die Verlässlichkeit der SPD. Unsere gemeinsam demokratisch beschlossenen Positionen sind gemeinsam zu vertreten. Wir dürfen nicht den Eindruck vermitteln, dass die SPD aus mehreren Parteien besteht.“
7) „Unser Neuanfang wird ohne die Bereitschaft aller zum Kompromiss, zur Zusammenarbeit, vor allem aber ohne eine vordringliche Beschreibung des Gemeinsamen vor dem Trennenden, nicht zu bewältigen sein. Wir müssen offen und ehrlich bilanzieren und dürfen bestimmte Denkrichtungen nicht von vorneherein ausschließen. Unser Weg in die Zukunft darf nicht von wenigen gedacht werden, dem dann viele zu folgen haben.“
8) „Die SPD wird ihre Zusammenarbeit mit anderen demokratischen Parteien von politischen Inhalten und Verlässlichkeit in der Zusammenarbeit und in der Regierungsbildung abhängig machen. Weder schließen wir bestimmte Koalitionen aus Prinzip aus noch streben wir aus Prinzip bestimmte Koalitionen an. Die SPD definiert sich und ihre Politik nicht über die Abgrenzung oder Ableitung von anderen Parteien sondern über ihre eigene Tradition, ihre Werte und ihr politisches Programm.“