Berlin/Kundus. Bei einem von der Bundeswehr angeforderten Nato-Luftangriff in der nordafghanischen Provinz Kundus sind bis zu 90 Menschen getötet worden. Das verlautete aus afghanischen Polizeikreisen, nach deren Angaben bis zu 40 Zivilpersonen unter den Toten waren.

Der Nato-Luftangriff auf zwei von Taliban-Kämpfern entführte Tanklaster im Norden Afghanistans ist von der Bundeswehr angefordert worden. Der Kommandeur des deutschen Wiederaufbauteams (PRT) in Kundus habe «aufgrund des Lagebilds eine sehr wohl abgewogene Entscheidung gefällt», sagte ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums am Freitag in Berlin. Die beiden Tanklaster seien in der Nacht zu Freitag um 1.50 Uhr Ortszeit an einem fingierten Checkpoint gekapert worden. Nachdem sie sich beim Versuch, einen Fluss zu durchqueren, auf einer Sandbank festgefahren hätten, seien sie um 2.30 Uhr Ortszeit aus der Luft bekämpft worden.

Der Sprecher sagte zu Berichten, wonach viele Zivilisten unter den Opfern seien, nach der bisherigen Erkenntnislage seien «vermutlich keine Unbeteiligten» bei dem Angriff ums Leben gekommen. Es werde davon ausgegangen, dass «fast alles gegnerische Kämpfer waren» oder zumindest «Beteiligte», die an den beiden Tanklastern tätig gewesen seien. Die Bundeswehr spricht von rund 50 getöteten Aufständischen.

Viele Tote bei Nato-Luftangriff in Kundus

Nach deutschen und afghanischen Angaben war der Luftangriff Folge der Entführung zweier Tanklastzüge durch Taliban-Kämpfer. Eine Drohne habe die Entführer verfolgt, mit der Kamera des unbemannten Flugzeugs seien 67 Taliban-Kämpfer gezählt worden, verlautete aus Bundeswehrkreisen in Kundus. Daraufhin habe die Bundeswehr einen US-Kampfjet angefordert.

Treffer seitens des US-Kampfjets ließen die beiden Tanklastzüge in einen riesigen Feuerball aufgehen. Aus afghanischen Polizeikreisen verlautete, bei den 40 zivilen Opfern handele es sich um Personen, die Treibstoff aus den Tankern abgezapft hätten. Aus den Bundeswehrkreisen in Kundus hieß es, die afghanische Polizei berge die Toten und leite die Untersuchung, die Bundeswehr sei daran nicht beteiligt. Aus Nato-Kreisen wurde bekannt, der Luftangriff auf die Tanklastzüge sei deshalb erfolgt, weil entführte Fahrzeuge dieser Art oft für Selbstmordanschläge verwendet würden.

Zehnjähriger Junge unter den Schwerverletzten

Die Aufständischen hatten nach Bundeswehr-Angaben die beiden Tanklastzüge an einem vorgetäuschten Kontrollpunkt gekapert, ungefähr sieben Kilometer südwestlich des Regionalen Wiederaufbauteams (Provincial Reconstruction Team, PRT) Kundus. Oberstleutnant Jörg Langer vom Einsatzführungskommando in Potsdam bestätigte Angaben über zivile Opfer ausdrücklich nicht. Der Direktor des Krankenhauses von Kundus, Humanjun Chmosch, sagte, es seien zwölf Personen mit schweren Verbrennungen eingeliefert worden. Ob es sich um Aufständische oder Zivilpersonen handele, könne er nicht sagen. Bei einem der Schwerverletzten handele es sich um einen zehnjährigen Jungen.

Für die Nato erklärte Christine Sidenstricker in Kabul, Nato-Kampfjets hätten die Tanklaster angegriffen und zerstört, nachdem ermittelt worden sei, dass sich keine Zivilisten in der Gegend aufgehalten hätten.

Taliban: Dorfbewohner wollten Treibstoff sammeln

Ein Taliban-Sprecher, Sabjullah Mudschahid, bestätigte, dass Aufständische die Tanklastzüge gekapert hätten. Als die Taliban versuchten, mit ihnen den Fluss Kundus zu durchqueren, seien die schweren Fahrzeuge im Schlamm steckengeblieben. Die Aufständischen hätten daraufhin die Ventile geöffnet und Treibstoff abgelassen, um die Lkw flott zu bekommen. Aus dem nahegelegenen Dorf seien rund 500 Einwohner herbeigeströmt, um den ausfließenden Treibstoff aufzusammeln. Sie seien vor einem eventuell bevorstehenden Luftangriff gewarnt worden, hätten sich aber nicht wegschicken lassen.

Kundus galt einst als eine der friedlicheren Provinzen Afghanistans. Seit Anfang des Jahres nahm die Gewalt in Kundus erheblich zu, die dort stationierten Bundeswehrsoldaten werden fast täglich in Gefechte verwickelt. Erst am Donnerstag wurden drei Bundeswehrsoldaten verwundet, als sie von Aufständischen angegriffen wurden. Drei Angreifer wurden bei dem Gefecht 60 Kilometer nördlich von Kundus getötet. (afp/ap)