Kundus. Mit den gestohlenen Tanklastern in Kundus wollten die Taliban offenbar einen Selbstmordanschlag auf das deutsche Lager bei Kundus verüben. Das habe man mit dem befohlenen Luftangriff verhindern können, so der Parlamentarische Verteidigungsstaatssekretär Kossendey in einem Interview.
Mit dem von der Bundeswehr befohlenen Luftangriff in Nordafghanistan ist nach Angaben des Verteidigungsministeriums ein Selbstmordattentat auf das deutsche Lager bei Kundus verhindert worden. «Wir gehen davon aus, dass die entführten zivilen Tanklaster in Richtung des Bundeswehrlagers gebracht werden sollten, um durch ein Selbstmordattentat größtmöglichen Schaden anzurichten», sagte der Parlamentarische Verteidigungsstaatssekretär Thomas Kossendey (CDU) der Oldenburger «Nordwest-Zeitung». Deshalb sei die Bundeswehr so «intensiv vorgegangen» und habe Luftunterstützung der NATO angefordert.
Die Kaperung der Tanklaster zeige «die Verzweiflung der Taliban, die in der militärischen Auseinandersetzung unterlegen» seien, sagte Kossendey. «Deshalb versuchen sie, mit solchen Anschlägen - einen Tanklastzug in ein Lager zu steuern - Wirkung zu erzielen». Aus Sicht der militärisch Verantwortlichen in Kundus sei höchste Gefahr im Verzug gewesen, daher habe man so reagieren müssen.
Bis zu 90 Tote
Bei dem von der Bundeswehr angeforderten Luftangriff der NATO-Truppe ISAF auf zwei von Taliban entführte Tanklastwagen sind in Nordafghanistan Dutzende Menschen getötet worden. Nach Angaben der Provinzregierung Kundus sind die meisten der bis zu 90 Toten Aufständische, die Bundeswehr sprach von mehr als 50 Toten und schloss zivile Opfer aus. Die NATO sagte eine zügige Untersuchung des Angriffs zu.
Unter den Opfern waren laut Mahbubullah Sajedi, dem Sprecher der Provinzregierung, auch Zivilisten, darunter Kinder, die aus den in einer Fluss-Sandbank festgefahrenen Lastern Benzin abzapfen wollten. Ein Augenzeuge sagte der Nachrichtenagentur AFP, die Taliban hätten die Bewohner aufgefordert, kostenlos Benzin abzuzapfen. Nach Angaben eines Sprechers des afghanischen Gesundheitsministeriums scharten sich bis zu 250 Dorfbewohner um die Laster.
Die Bundeswehr sprach von «mehr als 50» getöteten Aufständischen. Zivilisten kamen nach Angaben des Einsatzführungskommandos in Potsdam nicht zu Schaden. Die Bundeswehr sei aber nicht «zu hundert Prozent» sicher, sagte ein Sprecher AFP.
Abgewogene Entscheidung
Ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums sagte in Berlin, der Kommandeur des deutschen Wiederaufbauteams (PRT) in Kundus, der den Luftangriff angefordert hatte, habe eine «sehr wohl abgewogene Entscheidung gefällt». Die «sich verschlechternde Sicherheitslage in Kundus» erfordere «andere Maßnahmen». Trotzdem habe der Schutz von Zivilisten «oberste Priorität».
Die Tanklaster wurden nach Angaben des Ministeriumssprechers in der Nacht zu Freitag um 01.50 Uhr Ortszeit an einem fingierten Checkpoint gekapert. Nachdem sie sich in dem Flussbett festgefahren hätten, seien sie um 02.30 Uhr Ortszeit aus der Luft attackiert worden. Berichte, wonach Zivilisten getötet wurden, seien «reine Spekulationen». Mit dem Vorfall vom Donnerstag, als bei einem Gefecht in Nordafghanistan vier Bundeswehrsoldaten verletzt worden waren, habe der Luftangriff nichts zu tun.
Der afghanische Präsident Hamid Karsai sagte, Angriffe auf Zivilisten seien «in jeder Form unannehmbar» und kündigte eine Untersuchung des Vorfalls an. «Sofortige und vollständige» Ermittlungen sagte auch NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen zu. «Das afghanische Volk muss wissen, dass wir alles zu seinem Schutz tun», sagte er in Brüssel.
Abzug aus Afghanistan lehen die meisten EU-Länder ab
Die EU-Außenminister zeigten sich am Rande des informellen EU-Außenrats in Stockholm bestürzt. «Alle Todesfälle sind zu bedauern», sagte der schwedische Chefdiplomat Carl Bildt. «Wir müssen sichergehen, dass so etwas nie wieder passiert», sagte der britische Außenminister David Miliband. Einen Abzug aus Afghanistan lehnen die meisten EU-Länder zum gegenwärtigen Zeitpunkt ab. In einer internen Tischvorlage für den Außenrat räumt die EU aber Versäumnisse der internationalen Gemeinschaft in Afghanistan ein.
Russland forderte die NATO auf, in die «internen Diskussionen» des Bündnisses über den Afghanistan-Einsatz miteingebunden zu werden. Moskau müsse als Transitland für die Lieferung von Ausrüstung zu den internationalen Truppen am Hindukusch einbezogen werden, sagte der russische NATO-Botschafter Dmitri Rogosin.
Bei einer Bomben-Explosion kam im Osten Afghanistans am Freitag ein französischer Soldat ums Leben. Ein Selbstmordattentäter riss im Westen des Landes drei Sicherheitsleute in den Tod. (afp/ddp)