Coesfeld. Eine blutige Familientragödie erschüttert den Campingplatz "Lönsquelle" bei Coesfeld. Die Todesopfer: ein Ehepaar und seine 29-jährige Tochter. Der Ex-Freund der jungen Frau wurde in der Nähe geschnappt. Im Auto des Verdächtigen fand man ein Samuraischwert und blutverschmierte Messer.

Am Tag zuvor noch haben sie sich zugewinkt, der 60-Jährige aus Essen und die Familie von Parzelle B17. Die Sonne schien, die Rosen reckten sich an der weißen Holzwand. "Solche Leute", sagt der Essener, "wünscht man sich als Nachbarn". Aber am Sonntag, als er aufwacht, sind sie tot, der 55-Jährige, seine 53-jährige Ehefrau und die Tochter, 29, alle drei aus Gelsenkirchen.

Die Sonne scheint wieder, auch die Rosen sind noch da, aber an dem weißen Wochenendhäuschen klebt Blut. An diesem Sonntag wird geflüstert auf dem Campinglatz "Lönsquelle" in Lette bei Coesfeld, wo keiner campt, aber Wohnwagen für immer geparkt sind und mit Holz vertäfelt. Hier, kaum 70 Kilometer von Essen, hat das Ruhrgebiet seinen Vorgarten - und seinen Parkplatz: Autos stehen hier mit Kennzeichen aus Bottrop, Recklinghausen, Dortmund, mit Aufklebern von Schalke, VfL, RWE, und gleich gegenüber von B17 wartet ein Opel aus Gelsenkirchen voll Kinderspielzeug und diesem Schriftzug auf der Heckscheibe: "Ruhrpott". Alle Handlungen, steht am Eingang der Freizeitanlage, "die andere belästigen oder stören können", sollen `unterlassen werden".

"Eine bedrohliche Situation"

Doch in der Nacht zu Sonntag wird die Ruhe jäh gestört. Kurz vor drei ist es, als ein Hilfeschrei einen 48-Jährigen aus dem Schlaf reißt: "Wir werden alle abgestochen! Der ist noch hier!" Auf seiner Veranda sieht der Mann die Nachbarin zusammenbrechen. Vorsichtig versucht er, seine Tür zu öffnen, die plötzlich gewaltsam aufgerissen wird: Vor ihm steht ein maskierter Fremder, wortlos. "Eine bedrohliche Situation", wird Kriminalhauptkommissar Werner Brökers aus Münster später sagen. Doch geistesgegenwärtig schlägt der Camper dem Unbekannten eine Latte vor die Brust und ihn damit in die Flucht.

Die um 3.01 Uhr herbeigerufene Polizei findet die Frau tot auf der Terrasse, hinter der blutverschmierten Treppenstufe von Parzelle B17 zwei weitere Leichen, Ehemann und Tochter, voller Stich- und Schnittverletzungen. Im Ehebett der Eltern sitzt wach ein zehn Monate altes Mädchen: das Enkelkind.

Rucksack voller Waffen

Zwanzig Minuten später nehmen die Fahnder, noch auf der Zufahrtsstraße zur "Lönsquelle", den Fahrer eines Kölner Kleinwagens fest. Im Auto finden sie einen Rucksack voller Waffen: ein Samuraischwert, mehrere Fahrtenmesser, drei davon voll Blut. Auch Würgedraht hat der 33-Jährige dabei, eine Art Sturmhaube und Kleidung, an der ebenfalls Blut klebt. Er ist der Ex-Lebensgefährte der 29-jährigen Toten und der Vater ihres Kindes. Noch gilt er als Beschuldigter, aber "es gibt keinen vernünftigen Grund daran zu zweifeln, dass der Kindsvater Täter dieses Gewaltverbrechens war", erklärt die Polizei.

Jäh gestörte Ruhe: Bewohner des Campingplatzes. Foto: ap
Jäh gestörte Ruhe: Bewohner des Campingplatzes. Foto: ap © AP

Der 33-Jährige selbst indes, der in Köln bei seiner Mutter lebte, sagt nichts. Am Nachmittag aber weiß die Mordkommission "Lette": Es habe schon länger Streit gegeben um die Vaterschaft und den Unterhalt. Angeblich, heißt es, habe der Vater die Mutter seines Kindes schon während der Schwangerschaft verlassen. Heute soll er dem Haftrichter vorgeführt werden, auch die Obduktion der Opfer ist für heute geplant. Das Kleinkind befindet sich nach kurzem Krankenhausaufenthalt in der Obhut von Angehörigen.

"Wer einmal hier ist, der bleibt"

Die Leichen der Mutter und der Großeltern bleiben am Sonntag noch bis zum späten Nachmittag am Tatort. Die weißen Anzüge der Spurensicherung leuchten zwischen den Geranien, hinter der Knöterichhecke steht verlassen hölzernes Gartengestühl, unter einer Plane die Hollywoodschaukel. Rot-weißes Flatterband, ans Gatter geknotet, zeigt den Zaungästen an: Hier ist der Tatort. An Parzelle B12 steht schweigend eine Frau in Schwarz, hinter dem Busch bei B14 verbirgt sich eine Frau mit Lockenwicklern, sie warten auf die Leichenwagen; betroffen geben einzelne Nachbarn Interviews. Aber was sollen sie sagen?

Natürlich haben sie sie alle gekannt, zumindest vom Sehen, die "netten Leute" aus Gelsenkirchen, vier Jahre kamen sie jetzt her, kann sein, es waren sogar mehr. Und wie gut, dass sie an diesem Wochenende ihr anderes Enkelkind nicht mitgebracht hatten, der Junge war so oft hier, "wer weiß, was er mit dem noch gemacht hätte". Bisher, sagt der Herr aus Essen, "war dieser Platz eine Oase." Er ist schon 28 Jahre da, ließ sogar seinen Schlüssel stecken, von außen. "Und wer einmal hier ist, der bleibt."

Mitarbeit: Dirk Bauer