Essen. 52 Ladeplätze, WC-Anlage, Imbiss: Der Energiekonzern EnBW errichtet am Kamener Kreuz Europas größten Schnellladepark für E-Autos.
Wer von Verkehrswende redet, meint damit meist die Abkehr vom Auto. Mehr Fahrgäste in Bussen und Bahnen, mehr Radfahrer: In den Augen überzeugter Klimaschützer ist das der Königsweg zur sauberen Mobilität. Viele Experten sind sich indes einig, dass der klimagerechte Umbau des Verkehrssektor ohne massiven Ausbau der E-Mobilität nicht gelingen kann.
Die Berliner Regierungskommission „Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität“ nannte zuletzt die Zahl von rund 14 Millionen Elektrofahrzeugen, um im Verkehrsbereich die im Juni 2021 verschärften Klimaschutzziele zu schaffen. Derzeit sind rund eine Millionen Batterie-Autos und Plug-in-Hybride in Deutschland zugelassen.
Nicht jeder kann Strom in der heimischen Garage tanken
Doch wo sollen Abermillionen E-Autos ihren Strom tanken? Längst nicht jeder kann das über die private Ladestation in der heimischen Garage tun. Dem Ausbau der Ladeinfrastruktur kommt daher eine zentrale Bedeutung zu.
Zu den Vorreitern auf dem Gebiet der Ladestationen gehört der Energieversorger EnBW. Der einst aus regionalen Versorgern Baden-Württembergs hervorgegangene Konzern betreibt mit über 600 eigenen Standorten das nach eigenen Angaben größte Schnellladenetz in Deutschland. Jetzt will das Unternehmen auch das Mutterland der NRW-Energieriesen Eon, Uniper und RWE unter Strom setzen.
52 Ladeplätze und ein Imbiss
Am Kamener Kreuz baut EnBW derzeit den größten öffentlichen Schnellladepark Europas. Fertiggestellt werden soll die Anlage südlich des Autobahnknotens von A1 und A2 noch in diesem Jahr. 52 Stromzapfsäulen der neuesten Generation wird der überdachte und mit einer Photovoltaik-Anlage ausgestattete Ladepark dann bieten. Im Stil einer Autobahn-Raststätte kommen eine Toilettenanlage und ein - zumindest mobiles - Imbissangebot hinzu.
Fünf Minuten für 100 Kilometer Reichweite
Laut EnBW verfügt die Anlage in direkter Nachbarschaft von Ikea und mehreren Fast-Food-Restaurants über so genannte HPC-Ladepunkte (High Power Charger) der höchsten Leistungsklasse mit 300 Kilowatt. Je nach Fahrzeug sollen E-Autos hier schon in fünf Minuten Strom für bis zu 100 Kilometer Reichweite tanken können. Auch alle anderen gängigen Anschlüsse für E-Autos soll es dort geben, versichert das Unternehmen.
Nimmt der Ausbau der Ladeinfrastruktur also Fahrt auf? EnBW jedenfalls zieht sein Schnellladenetz immer engmaschiger. Im Oktober ging am Autobahnknoten Stuttgart an der A8 ein großer überdachter Ladepark in Betrieb.
Großladeparks gehört die Zukunft
Den Großladeparks gehört laut EnBW-Manager Timo Sillober ohnehin die Zukunft. Diese würden E-Autofahrer gegenüber kleineren Standorten mit weniger Ladeplätzen bevorzugen, weil hier die Gewissheit größer sei, einen freien Ladeplatz zu finden. An einem so großen Standort wie in Kamen werde in der Regel immer ein freier Ladeplatz zu finden sein, so Sillober. Fürs Kamener Kreuz habe man sich entschieden, „weil es einer der meistbefahrenen Autobahnknoten in Europa ist“, sagt der Manager.
2500 Standorte bis 2025
Kamen soll für den Karlsruher Konzern aber nur eine Etappe sein. Bis 2025 will EnBW die Zahl seiner Ladeparks vervierfachen. 2500 Standorte soll es dann geben. Zum Vergleich: Deutschlands größtes Mineralölunternehmen BP betreibt unter der Marke Aral knapp 2400 Tankstellen. „Wir bauen ein bundesweites Netz von Schnellladestationen auf. Dafür nimmt EnBW bis 2025 jedes Jahr 100 Millionen Euro in die Hand“, sagt Timo Sillober. Auch andere Länder geraten in den Blick. In Österreich ist EnBW mit Partnern schon heute der größte Betreiber von Schnellladeinfrastruktur.
Ausbau ist eine Frage der Technik
EnBW sieht sich für die Expansion gut gerüstet. Das Unternehmen, das seine einst vier Kernkraftwerke längst abgeschaltet hat und verstärkt in Wind-, Wasser- und Solarenergie investiert, setzt deutlich auf das Thema Elektromobilität. „Wir leisten alles aus einer Hand: Von der aktiven Suche nach geeigneten Grundstücken über Planungsprozesse, erste Begehungen und die Verhandlung mit dem örtlichen Stromnetzbetreiber bis zum eigentlichen Bau und Betrieb der Anlage. Im Laufe von drei Jahren haben wir diese Routine stetig weiterentwickelt“, erläutert Sillober die Konzernstrategie.
Der Ausbau ist vor allem eine Frage der Technik. Schnellladeparks wie der am Kamener Kreuz brauchen eine durchdachte Infrastruktur, dazu gehört etwa ein eigener Transformator vor Ort. „Die Ladesäulen müssen den so genannten IT-Handshake beherrschen – so können sie die für den Ladevorgang notwendigen Daten mit den Fahrzeugen der unterschiedlichen Hersteller austauschen“, sagt Sillober. Auch müsse die benötigte Stromleistung vor Ort verfügbar und zudem die Instandhaltung sichergestellt sein, etwa durch dezentrale Servicekräfte. Sillober: „Es wird am Ende nur wenige große Betreiber geben, die wirtschaftlich in der Lage sind, überregional ein solches Netz an Ladestandorten aufzubauen und zu betreiben. Da gibt es Parallelen zum Mobilfunk.“
„Wir sind in Deutschland auf einem sehr guten Weg"
Den Ausbaustand der Ladeinfrastruktur beurteilt der EnBW-Manager positiv. „Wir sind in Deutschland auf einem sehr guten Weg und haben im Vergleich der größeren EU-Länder schon jetzt das mit Abstand dichteste Netz von Schellladestationen“, sagt er. An der benötigten Strommenge wird die Elektrifizierung des Autoverkehrs aus Sicht des Energiemanagers jedenfalls nicht scheitern. Sillober: „Bestünde die Hälfte des Fahrzeugparks in Deutschland aus Elektroautos, bräuchten wir dafür elf Prozent des aktuellen Strombedarfs zusätzlich. Das ist zu schaffen.“ Wichtig aber sei, „dass Deutschland beim Ausbau erneuerbarer Energien vorankommt.“ Aus den Zapfsäulen in Kamen werde jedenfalls ausschließlich grüner Strom fließen.
Eon setzt auf neue Generation von Ladesäulen
EnBW-Konkurrent Eon setzt beim Ausbau der E-Mobilität auf eine neue Generation von flexibel einsetzbaren Schnellladesäulen. Ende September nahm der Energie-Konzern in Essen das erste Exemplar des gemeinsam mit VW entwickelten „Eon Drive Booster“ in Betrieb. Der Schnelllader verfügt über einen integrierten Batteriespeicher und kommt ohne Tiefbau und Anpassung des Netzanschlusses aus. Zwei Elektroautos können gleichzeitig mit jeweils 150 Kilowatt (kW) und maximal 250 kW laden. Eon betreibt in Deutschland 106 Ultra-Schnellladepunkte an 56 Standorten, hinzu kommen rund 3.840 Schnell- und Normallladepunkte.