Essen. Rassismus, kulturelle Aneignung und „Cancel Culture“: Deutschland schnappt mal wieder über. Eine bemerkenswerte Rolle spielen dabei ARD und ZDF.
Tatüüü, tataaa, die Sprachpolizei ist daaa! Dass man das N-Wort nicht einmal dann zitieren darf, um sich genau von diesem zu distanzieren – diese Erfahrung musste ja schon die damalige Kanzlerkandidatin und heutige Außenministerin der Grünen machen. Annalena Baerbock hatte von dem Sohn einer Bekannten berichtet, der in der Schule eine Geschichte erzählen sollte, in der es, so wörtlich, um einen „Neger“ ging, was sie, Baerbock, selbstverständlich als rassistisch einordnete und somit für einen bildungspolitischen Missstand hielt. Friede, Freude? Pustekuchen! Baerbock, so schrien einige Moralapostel anschließend auf, habe das N-Wort selbst reproduziert und damit ein Stück weiter etabliert. Baerbock zeigte sich umgehend zerknirscht und bat um Entschuldigung. Was für ein Schwachsinn!
Nun haben wir uns freilich daran gewöhnt, bestimmte Begriffe aus Rücksicht auf Angehörige tatsächlich benachteiligter Kultur- und Volksgruppen zu vermeiden und zu ersetzen. Es tut schon lange nicht mehr weh, einen Schokokuss zu essen – gerne im Anschluss an ein Schnitzel mit Paprikasoße. Denn auch das Z-Wort, dessen Mitbedeutung stets eine diskriminierende war, ist leicht zu vermeiden. Ob man dann aber gleich über das Ziel hinausschießen und das alte deutsche Volkslied „Lustig ist das Zigeunerleben“ grundsätzlich verdammen muss, weil ja auch die romantische Umwidmung ansonsten negativer Stereotype eben diese verfestigt, steht auf einem anderen Blatt. Der darauf meist folgende reflexartige Cancel-Culture-Aufschrei, meine ich, wäre doch vermeidbar.
Indianer, Indianer, Indianer
Überhaupt die Reflexe! Je weiter jemand rechts oder links steht, desto ausgeprägter sind sie meist. Gerne würde man dem einen oder anderen einen beruhigenden Tee reichen, zum Beispiel den Verantwortlichen beim ZDF, die jetzt in einer Facebook-Debatte zur Entscheidung des Ravensburger Verlages, zwei neue Winnetou-Kinderbücher zurückzuziehen, die User darum baten, das „I-Wort“ zu vermeiden. Das I-Wort! Da man es ja selbst dann, wenn man sich davon distanzieren will, nicht baerbockmäßig aussprechen darf (es könnte einen unmittelbar danach der vergiftete Pfeil eines Apachen durchbohren oder so), verzichtete das ZDF darauf, „Indianer“ zu schreiben.
Indianer, Indianer, Indianer! So!!
Natürlich weiß ich, dass das Wort auf einen Irrtum Christoph Kolumbus’ zurückzuführen ist, der meinte, nach „Indien“ gelangt zu sein. Entdeckt hatte er aber Amerika, und somit die amerikanischen Ureinwohner. Womöglich ist dieser Begriff besser als die Fremdbezeichnung „Indianer“. Allerdings gehören auch die Inuit, Unangan und Yupik in Alaska und der Arktis Nordkanadas zu den amerikanischen Ureinwohnern. Wie man es macht, macht man´s falsch.
Rassimus! Kulturelle Aneignung!
So denkt man sicher auch inzwischen in der Chefetage in Ravensburg. „Rassimus! Kulturelle Aneignung!“, schallte es ihr entgegen, als sie die beiden Bücher „Der junge Häuptling Winnetou“ zum aktuellen Kinofilm auf den Markt brachte. „Cancel Culture!“ schallte es ihr entgegen, als sie die Auslieferung der Bücher aufgrund der massiven Kritik prompt wieder stoppte. Aber ein amerikanischer Ureinwohner mit „I“ kennt ja keinen Schmerz, nicht wahr?! Entschuldigung, das ist natürlich ein Klischee!
Schluss also mit Federschmuck und Kriegsbemalung im Karneval? Schluss mit Kindern im Indianerkostüm, die Erwachsene an den Marterpfahl binden? Kulturelle Aneignung kann die Stereotypisierung fördern, da ist etwas dran. Ich finde aber, man sollte Kinder mit ihren Eltern einfach selbst entscheiden lassen, was zeitgemäß oder geschmackvoll oder gerade noch bzw. gerade nicht mehr politisch korrekt ist. Das Bewusstsein gegen Diskriminierung und für mehr Diversität (beides gehört untrennbar zusammen) wächst stetig, und das ist auch gut so. Aber es sollte ein natürliches, kein aufgezwungenes Wachstum sein, ein Wachstum, das die Menschen mitnimmt und ihnen nicht das Gefühl gibt, dass ihre Freiheiten eingeschränkt werden.
Ronja Maltzahn und ihre Dreadlocks
Leider sind viele nicht gut darin, in diesem Sinne Maß und Mitte zu halten, und schießen sich damit immer wieder einmal selbst ins Knie. Fridays für Future zum Beispiel. Die Klimaschutz-Bewegung hatte die weiße Musikerin Ronja Maltzahn ausgeladen, weil sie Dreadlocks trägt. Dass das Tragen von Dreadlocks auch Ausdruck von Wertschätzung gegenüber einem Kulturkreis sein kann, dem man selbst nicht angehört – auf die Idee kamen die FFF-Aktivistinnen und -Aktivisten nicht. Die deutsche Enthnologin Susanne Schröter findet, dass „die gesamte Menschheitsgeschichte eine Geschichte kultureller Aneignung“ sei, dass es ohne sie „keine Entwicklung gegeben hätte“.
Ich würde es sogar noch weiter zuspitzen. Die Idee, verschiedene Kulturen streng voneinander abzugrenzen, sie quasi „rein“ zu halten, mag antirassistisch motiviert sein, bewirkt aber in Wirklichkeit das glatte Gegenteil. Waren und sind es nicht Ultrarechte, die propagieren, verschiedene Kulturen dürften sich nicht durchmischen? Kultur – das ist etwas Lebendiges, darin steckt Dynamik. Verschiedene Kulturen beeinflussen einander und befruchten sich gegenseitig. Dazu brauchen wir alles andere als eine, wenn auch gut gemeinte, künstliche Abgrenzung. Wenn es mir stehen würde, dann würde ich sie mir schon morgen machen lassen: Dreadlocks. Bei Ronja Maltzahn sehen sie cool. aus. Bei mir ... nun ja.
ARD strahlt keine Karl-May-Filme mehr aus
Cool zu bleiben, das würde man auch der ARD wünschen. Sie strahlt keine Karl-May-Filme mehr aus, wie jetzt bekannt wurde. Die Lizenz dazu sei abgelaufen, hieß es. Ein halbes Jahrhundert lang liefen die Karl-May-Filme in der ARD. Warum die Lizenz nicht verlängert wird, darüber kann man nur spekulieren.
Vielleicht liegt es auch ein bisschen an Herrn Professor Jürgen Zimmerer, einen in Hamburg lebenden Kolonialismus-Forscher. Der Mann kennt keinen Spaß, wenn er an Winnetou und Old Shatterhand denkt. Das Werk sei rassistisch, antisemitisch und frauenfeindlich, poltert er. Und dann holt er die ultimative Keule raus, mit der man alles in Grund und Boden stampfen kann: „Es ist kein Zufall, dass Adolf Hitler und SS-Chef Himmler große Karl-May-Fans waren.“ Hitler und Himmler! Der große Manitu stehe uns bei!
Nicht mehr alle Federn am Kopfschmuck
Ganz ehrlich: Ob Professor Zimmerer noch alle Federn am Warbonnet hat (so nennt man den Federschmuck für Männer einiger nordamerikanischer indigener Völker), kann ich nicht abschließend beurteilen. Ich habe allerdings eine Ahnung ...
Winnetou, das war keine historische Figur, und das hat auch nie jemand behauptet. Winnetou war ein Idealbild, ein märchenhaftes Sinnbild für Frieden und Verständigung. In der Vorbemerkung der jetzt zurückgezogenen Kinderbücher war klargestellt worden, dass es sich um Fiktion und eben nicht um eine sachgerechte Darstellung des Lebens indigener Völker handelt. Damit hätten alle leben können sollen.
Mit dem Schatz an den Silbersee
Sodele, ich fahre jetzt zum Entspannen mit meinem Schatz an den Silbersee und denke mal darüber nach, ob wir in Deutschland eigentlich keine anderen Probleme haben. Vielleicht fällt mir ja etwas ein.
Auf bald.
Das ist Klartext
Klare Kante, klare Meinung – das ist Klartext, die kommentierende Kolumne von Alexander Marinos, stellvertretender Chefredakteur der WAZ. Hier werden aktuelle politische Themen aufgegriffen und subjektiv-zugespitzt eingeordnet. Dabei handelt es sich um ein Meinungsangebot zum An- oder Ablehnen, An- oder Aufregen.
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