Essen. Ist Familienpolitik eigentlich noch immer nur „Gedöns“? Die neuesten Zahlen zu den Kita-Plätzen sind erbärmlich – und nur die Spitze des Eisbergs.

Bazooka, Zeitenwende und Doppel-Wumms: Die Milliarden fliegen uns nur so um die Ohren, wenn es offensichtlich darauf ankommt. Das ist auch richtig so. Nicht akzeptabel aber ist, dass für unsere Gesellschaft existenzielle Missstände, die nicht ganz so offensichtlich sind, von der Politik eher achselzuckend hingenommen werden. Um es klar zu sagen: Wenn allein in NRW im kommenden Jahr mehr als 100.000 Kita-Plätze fehlen, dann ist das eine schleichende Bildungs- und Betreuungskatastrophe. Dann ist der seit 2013 in Deutschland geltende Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz vom ersten vollendeten Lebensjahr des Kindes an nur noch eine Farce.

Wer eigentlich soll sich noch an Recht und Gesetz halten, wenn es der Staat in so einer zentralen Frage selbst nicht tut?

„Vereinbarkeit von Familie und Beruf“

Es ist nun bald 25 Jahre her, dass ein gewisser Bundeskanzler Gerhard Schröder Familienpolitik als „Gedöns“ abgetan hat. Damals haben manche laut darüber gelacht, und noch mehr haben Schröder still und heimlich zugestimmt. Man sollte meinen, dass wir heute viel weiter sind. Die berühmte „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ ist inzwischen so oft beschworen worden, dass es niemanden verwundern würde, wenn der Duden daraus längst ein Wort, einen festen Begriff gemacht hätte: Vereinbarkeitvonfamilieundberuf. Und wo stehen wir jetzt?

Dabei stellt der Mangel an Kita-Plätzen nur die Spitze des Eisbergs dar. Eltern mit Berufen, die nicht um 8 Uhr beginnen und um 16 Uhr enden, finden nur schwer Angebote für „Randzeiten“. Schon der längere Pendelweg, der sich pro Tag auf mehr als eine Stunde summiert, kann im Hinblick auf eine sichere Betreuung der Kinder tödlich sein. Kommen die Kinder schließlich in die Schule, wird es noch schwieriger. Man muss schon froh sein, wenn es in der weiterführenden Schule eine verlässliche Hausaufgabenbetreuung bis 15 Uhr gibt.

Hohe Kita-Gebühren

Hinzu kommen die Kosten. In manchen Kommunen, den ärmeren meist, sind die Kita-Gebühren so hoch, dass sich Ehepaare ernsthaft fragen müssen, ob sich der Job des Weniger-Verdieners überhaupt noch lohnt. Meist trifft das die Frauen, was unter dem Aspekt Gleichberechtigung gleich die nächste gesellschaftliche Katastrophe in der Katastrophe darstellt. Und wenn man für das Mittagessen in der Grundschule für zwei Kinder ernsthaft knapp 1500 Euro pro Jahr berappen muss – das ist unter Umständen das Monats-Nettoeinkommen einer Krankenschwester –, dann ist etwas faul im Staate Dänemark (wobei der Spruch gerade hier nicht trifft, weil in Dänemark in vorbildlicher Weise drei von vier Müttern in Vollzeit arbeiten und das dort kein Problem darstellt).

Ja, sicher, die neuen Möglichkeiten des Homeoffice helfen dabei, Kinder zu betreuen. Sie ersetzen aber Kita-Plätze nicht, denn (kleine) Kinder und konzentriertes Arbeiten unter einem Dach schließen sich meist gegenseitig aus. Außerdem hilft Homeoffice jenen Berufsgruppen nicht, die mit Büro-Arbeit wenig bis gar nichts zu tun haben, deren Präsenz also erforderlich ist. Die oben genannte Krankenschwester ist ein typisches Beispiel dafür.

Hendrik Wüst ist gefordert

Es ist nun an NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst, gerne mit Doppel- und Dreifach-Wumms aus der Misere herauszuführen. Diesmal funktioniert es nicht, halbherzig vorzugehen und ansonsten nur mit dem Finger auf Berlin zu zeigen. Die Hausaufgaben müssen in Düsseldorf gemacht werden. Auf geht’s, Schwarz-Grün!