Essen. Der vermeintliche Organisations-Weltmeister Deutschland verharrt in einer Selbstblockade aus Bürokratie, Trägheit und Technik-Defiziten.

Es wurde schon sehr oft gesagt, sehr oft geschrieben und bleibt auch richtig: Die Corona-Pandemie ist eine bisher nicht gekannte Herausforderung, für die es in dieser globalen Dimension keine Blaupause, also keine Ereignisse gibt, die Lösungen aufzeigen. Außerdem ist es immer leichter, aus der Opposition heraus Entscheider zu kritisieren, als selbst entscheiden zu müssen. Und hinterher ist man ohnehin immer klüger. Klingt abgedroschen, ist aber korrekt und nachvollziehbar.

WAZ-Chefredakteur Andreas Tyrock.
WAZ-Chefredakteur Andreas Tyrock. © FUNKE Foto Services

Aber: Das, was sich in der deutschen Pandemie-Politik seit Monaten auf Bundes- und Landesebene abspielt, ist nicht mehr nachvollziehbar. Der vermeintliche Planungs- und Organisations-Weltmeister Deutschland verharrt in einer Selbstblockade aus Bürokratie, Zuständigkeitsgeschacher, Trägheit, Technik-Defiziten und Bürgerferne.

Ein Wirrwar aus Verantwortung und Kompetenzen

Während sich ein sehr großer Teil der Menschen in diesem Land mit großem Aufwand und enormer Selbstdisziplin an die Beschränkungen hält (und vielerorts massiv unter ihnen leidet), sind genau diese Bürgerinnen und Bürger Zuschauer eines unwürdigen Schauspiels um die richtige Strategie im Kampf gegen Corona. Und die Fehler-Analyse hat nichts mit Besserwisserei im Nachhinein zu tun:

  • Die große Bedeutung der FFP2-Masken wurde lange unterschätzt;
  • alte Menschen bekamen nicht den Schutz, den sie brauchten; die Steilvorlage herausragender Wissenschaftler, die in Rekordzeit wirkungsvolle Impfstoffe entwickelten, wurde bei der Bestellung vergeben;
  • Raumlüfter, etwa in Schulen, kamen gar nicht oder nur verzögert zum Einsatz;
  • jetzt liegen zehntausende, ja hunderttausende Impfdosen irgendwo herum, weil die Impfstrategie nicht klappt oder weil, aus völlig irrationalen Gründen, Impf-Medikamente wie Astrazeneca abgelehnt werden.

Diese Liste der Rück- und Tiefschläge ließe sich mühelos fortsetzen, ergänzt durch ein Wirrwarr aus Verantwortung und Kompetenzen, aus Überforderung und Selbstüberschätzung. Dass sich politische Entscheidungsträger in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen dieses Jahr im Landtagswahlkampf befinden und zudem NRW-Landeschef Armin Laschet mit seinem bayerischen Amtskollegen Markus Söder um die Kanzlerkandidatur der Union ringt, erschwert die Lage massiv.

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Es geht um die Glaubwürdigkeit des Staates

Was heißt das alles für Deutschland, was heißt das für NRW? Handeln statt zu reden, Probleme lösen, statt sie zu schaffen. Außerdem: impfen, impfen, impfen, testen, testen, testen, dabei die Haus- und Fachärzte sowie Kapazitäten der Krankenhäuser, etwa der Ambulanzen, nutzen. Deutlich und transparent entscheiden, die Sorgen der Menschen wirklich ernst nehmen, klare Verantwortlichkeiten schaffen, diese Verantwortung übernehmen und nicht wegdrücken, wenn etwas nicht gleich gelingt. Fehler eingestehen und aus ihnen lernen, endlich die digitalen Chancen nutzen. Schlingerkurse vermeiden, glaubwürdig bleiben. Das gilt im Übrigen auch für NRW-Ministerpräsident Laschet, der vor baden-württembergischen Unternehmern nicht anders argumentieren sollte als vor Pflegekräften in NRW.

Ja, es ist der Kampf gegen eine Pandemie. Ja, das ist fordernd und belastend. Aber wer jetzt nicht aus den vergangenen Fehlern lernt und endlich seine Hausaufgaben macht, setzt nicht nur die Gesundheit der Menschen aufs Spiel, sondern auch die Glaubwürdigkeit eines Staates und seiner Institutionen.