Witten. Eine sechsfache Mutter aus Witten kassiert für eine Klau-Serie eine milde „Ausnahme-Strafe“. Der Richter drückte beim Urteil beide Augen zu.

Eine vorbestrafte Ladendiebin (37) aus Witten ist am Bochumer Landgericht zu 16 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt worden – und steht damit ab sofort zweifach unter Bewährung. „Wir haben nicht nur ein Auge, sondern im Prinzip beide Augen zugedrückt“, sagte Berufungsrichter Jens Happe am Freitag, 2. August, in der Urteilsbegründung.

Obwohl bereits wegen Ladendiebstahls zu zehn Monaten Haft auf Bewährung verurteilt, war die sechsfache Mutter zwischen Juli und Oktober 2022 weitere fünfmal beim Klauen erwischt worden. In Drogeriemärkten in Witten hatte die 37-Jährige teils riesige Warenmengen in eine Plastiktüte an ihrem Kinderwagen verstaut und – teils in Begleitung von strafunmündigen Kindern - ohne zu Bezahlen den Kassenbereich passiert. Mal waren in der Tüte Parfümflaschen, mal Schminkartikel, mal Duschgel, Glätteisen, Föne und Rasierer gefunden worden. Der Gesamtwert der Beute betrug rund 1300 Euro.

Mann der Wittenerin war der maßgebliche Motor für die Klautouren

Das Schöffengericht in Witten hatte im Februar 2024 noch 16 Monate Haft ohne Bewährung verhängt. Und das Nichtgewähren einer Bewährungschance vor allem der Vorstrafe zugeschrieben. Das, so hieß es jetzt in zweiter Instanz, sei im Prinzip auch nicht zu beanstanden. „Normalerweise gibt es da keine zweite Chance“, so Richter Jens Happe. Im Fall der Wittener Mutter sei man „aber zu dem Ergebnis gekommen, dass hier ein absoluter Ausnahmefall vorliegt“. Denn es gebe keinen Zweifel daran, dass die Frau zu den Klau-Touren fast immer von ihrem gewalttätigen, drogenabhängigen Ehemann gezwungen worden sei. Dieser sei der „maßgebliche Motor“ für die Klau-Serie gewesen.

Die Mutter selbst hatte teils unter Tränen in einer zehnseitigen Erklärung ein häusliches Gewalt-Martyrium offenbart. Sie sei im Alter von 18 Jahren in die Familie ihres späteren Mannes vom Balkan gekommen. Nur anfangs habe sie sich wie eine „Prinzessin“ gefühlt, zuletzt mehr und mehr „wie ein dressierter Hund“. Denn ihr Mann habe sie zunehmend verprügelt, erniedrigt und unterdrückt.

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Trotz Aufenthalten in Frauenhäusern sei sie mehrfach zurückgekehrt. In der Familie habe sie sich wie im Käfig gefangen gefühlt. Vor rund sechs Jahren habe der Mann sie gezwungen, für ihn zu klauen. „Ich fühlte mich ohnmächtig und verzweifelt, wusste aber keinen Ausweg“, so die 37-Jährige. Die Beutetüten, so die Angeklagte, habe sie stets sofort zu Hause abliefern müssen. Der Mann tauschte die Waren dann bei Dealern gegen neues Heroin.   

Angeklagte Wittenerin: „Es kam mir vor, als ob er meine Seele hatte“

Erst im März 2023 hatte die sechsfache Mutter all ihren Mut zusammengenommen und den gewalttätigen Mann rausgeworfen. Auch auf die Vollverschleierung verzichtet die 37-Jährige seitdem. „Ich war wie eine leere Hülle. Es kam mir vor, als ob er meine Seele hatte“, sagte die Angeklagte.

Der Mann sitzt inzwischen im Bochumer Gefängnis. Mittelfristig will die 37-Jährige mit ihren Kindern (zwei bis 17 Jahre) anderswo einen Neuanfang starten. Laut Urteil wurde ihr auferlegt, die von ihr selbst angestrebte Trauma-Therapie zu durchlaufen. Jetzt, wo der Ehemann im Gefängnis sitze und das Scheidungsverfahren laufe, habe die Frau eine Chance auf einen nachhaltigen Absprung aus dem alten Leben. „Wir haben die Erwartung, dass es wieder so läuft, wie vor ihrem 31. Lebensjahr – da haben sie nämlich gar keine Straftaten begangen“, so Richter Jens Happe.

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