Witten/Herdecke. Seit dem Edeka-Aus wird minimale Nahversorgung beklagt. Ein Markthändler hat weitere schlechte Nachrichten. Ältere ohne Auto sind verzweifelt.

Die Neueröffnung von Kaufland auf dem ehemaligen Real-Gelände in Annen hat auf dem Schnee eine alte Wunde aufgerissen. Während Annen sich über das zusätzliche Angebot freut, wird im Dorf an der Stadtgrenze zu Herdecke seit Jahren die schlechte Nahversorgung beklagt. Edeka ist schon lange weg und der Wochenmarkt am Mittwochmorgen besteht nur noch aus zwei Ständen. Noch.

Wochenmarkt findet auf Parkplatz hinterm alten Edeka statt

Der Wochenmarkt ist sorgsam versteckt. Nur Ortsunkundige finden auf Anhieb die Verkaufswagen von Obst- und Gemüsehändler Muhammet Gündogdu (28) sowie Blumenhändler Ralf Gronemann (61). Beide stehen auf dem früheren Kundenparkplatz hinter dem ehemaligen Edeka-Markt. Graffiti hin, Müll und Unkraut her – morgens um zehn Uhr ist schon eine Menge los. Das Publikum ist durchweg im Ruhestand.

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Inge Pake kommt gern hierhin. Am Obst- und Gemüsestand wartet eine eine erstaunlich große Auswahl auf die sie und die anderen Kunden: von Klassikern wie Erdbeeren bis hin zu Spezialitäten wie Schwarzwurzel und Spitzkohl. Die 85-Jährige transportiert ihren Einkauf per Rollator. Dennoch fehlt ihr ein Sortiment jenseits der Frischware. „Wir müssen für jeden weiteren Einkauf nach Herdecke oder nach Witten fahren.“ Manuela Löbbecke (56) ergänzt: „Das sind für jede Fahrt sechs Kilometer. Das ist für die älteren Damen schwierig.“

Hubert Westrup vom Schraberg glaubt nicht daran, dass sich die Nahversorgung auf dem Schnee bald verbessert.
Hubert Westrup vom Schraberg glaubt nicht daran, dass sich die Nahversorgung auf dem Schnee bald verbessert. © WAZ | jürgen overkott

Inge Pake legt Wert darauf, dass auch junge Hinzugezogene mit kleinen Kindern gern vor Ort einkaufen würden – wenn ein Supermarkt da wäre. „Hier fehlt ein Nahversorger“, stellt Blumenkäufer Manfred Göllner (82) fest. „Ohne Auto geht hier gar nichts.“ Bus fahren sei keine brauchbare Alternative, zumal wenn Menschen wie die Güllners weit von einer Haltestelle entfernt wohnen. Selbst mit „Hackenporsche“, sprich einem Einkaufswägelchen, seien lange Fußwege beschwerlich.

Hubert Westrup hat gerade Gemüse gekauft. Der fitte 72-Jährige kommt vom Schraberg in Herdecke und verstaut die Ware in der Packtasche seines E-Bikes. Er beurteilt die Zukunft der Nahversorgung auf dem Schnee skeptisch. „Man weiß ja nicht, was mit dem Gelände wird.“

Noch gibt es was: Manuela Löbbecke bezahlt ihren Einkauf bei Gemüsehändler Muhammet Gündogdu.
Noch gibt es was: Manuela Löbbecke bezahlt ihren Einkauf bei Gemüsehändler Muhammet Gündogdu. © WAZ | jürgen overkott

Dabei diskutiert Wittens Politik, allen voran die SPD, seit zehn Jahren über Konzepte für den Schnee. Eigentlich hätte bereits im letzten Sommer ein neues Gebäude auf dem ehemaligen Edeka-Gelände stehen sollen – ein Mix aus Wohnen und Einkaufen. Als Vollsortimenter war Netto im Gespräch. Hinter den Plänen stand Investor Holger Jüngst.

Der Annener sitzt zugleich für die SPD im Rat. Doch aus Jüngsts Plänen wurde bis heute nichts. Stattdessen prangt auf dem Dach des verrottenden Supermarkts ein Schild, dass „Lager-/Verkaufsflächen“ zu vermieten seien. Dazu gibt‘s die Telefonnummer von Holger Jüngsts Unternehmen A+H Bauträger- und Verwaltungsgesellschaft mit Sitz in Hagen. „Wenn die da jetzt vermieten wollen“, sagt Wochenmarktkunde Hubert Westrup, „wird das wohl noch länger dauern.“

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Marktbesucher Manfred Göllner sieht das genauso. „Da besteht überhaupt keine Absicht, irgendetwas zu machen“, glaubt der ehemalige Manager. Angesichts hoher Kosten für Kreditzinsen wie für zahlreiche Baumaterialien werde sich der Investor „das Ganze noch ein paar Jahre angucken“. Göllner erwartet, dass eine Neubebauung auf Eigentumswohnungen oder Reihenhäuser hinauslaufe. Holger Jüngst antwortete auf eine WAZ-Anfrage bisher nicht.

Kundin Inge Pake kritisiert die städtische Wirtschaftsförderung für eine Aussage am Rand der Kaufland-Eröffnung vor einer Woche in Annen, in jedem Wittener Stadtteil gebe es eine ausreichende Nahversorgung. Das will Abteilungsleiterin Anja Reinken so nicht stehen lassen.

Tatsächlich gebe es einen städtischen „Masterplan Einzelhandel“. Darin finde sich eine Übersicht, wo im Zentrum wie in den Stadtteilen Einzelhandel in welcher Größe möglich sei. Wirtschaftsförderin Reinken betont: „Auf dem Schnee ist kein Stadtteil. Damit ist dort kein großflächiger Einzelhandel möglich.“ Damit sei der Standort für Vollsortimenter wie Rewe oder Edeka unwirtschaftlich. Allerdings: „Kleinere Ansiedlungen wären möglich.“ Zukunftsmusik.

Wochenmarkt auf dem Schnee: Er findet hinter dem abgerockten leerstehenden Edeka-Gebäude statt.
Wochenmarkt auf dem Schnee: Er findet hinter dem abgerockten leerstehenden Edeka-Gebäude statt. © WAZ | jürgen overkott

Unterdessen schafft Blumenhändler Ralf Gronemann Fakten. Er will ab Herbst kürzer treten – und ist nur noch auf vier statt bisher sieben Märkten vertreten. Den Standort Schnee gibt er auf. Hat der Wochenmarkt im Dorf mit einem einzigen Händler dann noch eine Zukunft?

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