Witten. Obst und Gemüse sind extrem teuer. Wittens Tafel spürt das. Es wird weniger gespendet. Doch es gibt Tricks, der Inflation zu entkommen.

Inflation ade? Für Lebensmittel gilt das nicht. Ob Kartoffeln und Blumenkohl, Spargel oder Erdbeeren: Die Kundschaft des Einzelhandels nimmt Preise für Obst und Gemüse als rekordverdächtig hoch wahr. Was bedeutet das für Menschen mit wenig oder gar keinem Geld?

Ein Vormittag in diesen Tagen. Ilena genießt gemeinsam mit einer Freundin die Sommersonne. Die 28-Jährige hat gerade bei der Wittener Tafel eingekauft. Eine Porreestange ragt aus ihrem schwarzen Rucksack. Seit zwei Jahren lebt die Software-Programmiererin aus dem ukrainischen Charkiw in Deutschland. Seit längerer Zeit wohnt sie in Witten. Ob sie in Kürze einen Job ergattert, steht dahin: Sie spricht nur wenig Deutsch. Um in der IT-Branche arbeiten zu können, muss sie Sprachkenntnisse auf B-2-Niveau nachweisen.

Kolping berät Tafel-Kunden in Witten

Aber manchmal erzählen Gegenstände mehr als viele Worte: Auf der Tischplatte im Garten der Tafel hat Ilena mehrere Döschen mit Vitamin-Tabletten aufgebaut – offenkundig, um Mangelerscheinungen vorzubeugen. So wie Ilena reagiert längst nicht die ganze Kundschaft der Tafel. Wie viele Menschen haben Unterstützungsbedarf?

Hilfe direkt vor Ort: Alle zwei Wochen berät Gerhard Jung von Kolping Kunden der Tafel rund um die Themen Jobs, Behörden, staatliche Zuwendungen und Förderprogramme.
Hilfe direkt vor Ort: Alle zwei Wochen berät Gerhard Jung von Kolping Kunden der Tafel rund um die Themen Jobs, Behörden, staatliche Zuwendungen und Förderprogramme. © FUNKE Foto Services | Walter Fischer

Jürgen Golnik ist Betriebsleiter der Tafel. Gerade hat er ein Brötchen verdrückt. Er nimmt einen Schluck Kaffee. In seinem Büro gibt er einen Überblick über die Lage. Werktäglich organisiert Golniks zehnköpfige Helfertruppe Nachschub beim heimischen Einzelhandel, bei Bäckereien, auch bei Tankstellen: Gutes von gestern. „Wir haben einen festen Tourenplan“, sagt der Tafel-Chef. Mittwochs geht’s zu Amazon nach Annen. Dort erhält das Tafel-Team jede Menge Kartons mit haltbaren Lebensmitteln und Getränken: „Manchmal sind auch Hygieneartikel dabei.“ Der Mittwoch gilt – wie Golnik sagt - als „Großkampftag“ im Wochenablauf.

Weniger Spenden, weniger Angebot

Die Tafel sieht sich als Zusatzangebot, nicht als Grundversorger. „Grundsätzlich wird keine Ware zugekauft. Das würde unser System zum Zusammenbrechen bringen“, erläutert der Sozial-Manager. Und dennoch spürt er, dass weniger Spenden kommen. Der Handel ordere weniger verderbliche Ware. Und Reste würden vor Ladenschluss deutlich günstiger angeboten. „Wenn wir weniger Ware haben, können wir weniger abgeben. Wir werden die Ware dann einteilen.“

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680 Kundenkarten sind im Umlauf: Tendenz gleichbleibend. Wer die extrem günstigen Lebensmittel kaufen will, muss Anspruch auf staatliche Unterstützung nachweisen – von Bürgergeld über Grundversorgung und BAFöG bis zum Wohnberechtigungsschein.

680 Kundenkarten hat die Tafel ausgegeben. Eine dieser Kundinnen und Kunden muss feststellen, dass viele Paletten bereits leer sind.
680 Kundenkarten hat die Tafel ausgegeben. Eine dieser Kundinnen und Kunden muss feststellen, dass viele Paletten bereits leer sind. © FUNKE Foto Services | Walter Fischer

Sechs Personen in Teilzeit packen bei der Tafel an, Menschen, die von der Arbeitsagentur geschickt werden, Bufdis, auch das Ehrenamt wird gelebt. „Wir haben im Moment einen großen Zulauf. Insgesamt kommen wir auf 15 Personen“, rechnet Jürgen Golnik vor.

Was Praktikantin aus Bochum erlebt

Eine von ihnen ist Caro Krüger. Die 16-jährige Bochumerin macht bei der Tafel ein soziales Praktikum. 14 Tage lang arbeitet die Schiller-Schülerin im Laden der Tafel: „Ich hatte keinen Bock, ins Krankenhaus zu gehen. Da hätte ich wohl den ganzen Tag nur herumgestanden.“ Zur Tafel zog es Caro Krüger über ein familiäres Vorbild. Ihren Einsatz bereut sie nicht. „Es ist spannend. Es gibt eine große Bandbreite von Menschen. Das stellt einen jeden Tag vor neue Herausforderungen.“

Die Sache mit den Großpackungen

Etwa beim morgendlichen Frühstück. Einer der Stammkunden in Olaf, vor sich ein Kaffee, hinter sich ein Motorradhelm. Seine Maschine steht direkt vorm Gebäude. Der 56-Jährige betont, dass er bei der Tafel Kontakte pflege. Und, ja, Geld spare beim günstigen Frühstück natürlich auch. Seine Einkäufe erledigt der Wittener woanders. Er spürt die höheren Preise: „70 bis 90 Prozent Anstieg in den letzten zwei Jahren.“ Aber Olaf macht aus der Situation das Beste. Welchen Trick kennt er?

„Ich kaufe im Großen ein“, entgegnet er. „Packungen mit zwölf Paketen Nudeln haben eben einen anderen Preis als eine Einzelpackung.“ Olaf kennt alle Gastro-Großhändler in der Region, die keine Händlerkarte verlangen. Quellen Vorratskammer und Kühlgeräte über? Olaf winkt ab: „Ich mach‘ das mit Leuten. Wir fahren zusammen. Wir packen das Auto voll, und dann wird das aufgeteilt.“ In solchen Zeiten muss man eben kreativ sein.

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