Witten. Klamotten aus und los: Das idyllische Gelände der Sport- und Naturfreunde Witten lockt mit Wald, Wohnwagen, Freibad und Freiheit für den Körper.
Die Sonne brutzelt vom Himmel, die Vögel zwitschern im Wald und leise zieht eine Dame ihre Bahnen im azurblauen, 26 Grad warmen Schwimmbecken. Nackt natürlich, denn: „Es gibt nichts Schlimmeres, als angezogen ins Wasser zu gehen“, findet Wera Linke. Sie ist Mitglied im FKK-Verein „Sport- und Naturfreunde Witten“. Die Naturisten haben sich auf dem Kermelberg in Witten ein echtes Paradies geschaffen, das seinen wahren Reiz zunächst versteckt.
Man staune: In dem abgelegenen Waldgebiet auf dem Schnee gibt es gleich zwei FKK-Vereine, nämlich die Naturfreunde Witten (SuN) und die Naturfreunde Dortmund. Die einstigen Konkurrenten sind freundschaftlich verbunden, man geht sogar zusammen mit ein wenig Textil und den Nordic-Walking-Stöcken durch den Wald. Man staunt nochmal, denn hier verbirgt sich Wittens größter Campingplatz. Neben den SuN-Mitgliedern parken hier auch Reisende, etwa Mitglieder des Naturistenverbands ihre Wohnwagen. Niederländer zum Beispiel mischen sich in die tolerante und sichtlich braungebrannte Gemeinschaft. Kürzlich waren sogar australische Radtouristen vor Ort. Sie alle freilich müssen sich den textilfreien Gepflogenheiten des Vereins anpassen.
Kritiker hätten „einen Balken vorm Kopf“
Wera Linke stammt zum Beispiel aus Halle. 2015 hat sie durch Zufall vom Verein erfahren und ist direkt beim ersten Besuchstag eingetreten. Warum? „Na schauen Sie sich doch um“, sagt sie und zeigt auf Vereinsheim mit Grill, Boule- und Tennisplatz, das Bogenschießareal, den tollen Kinderspielplatz und die Turnhalle. Mit dem Nacktsein hat sie kein Problem: „In der DDR hatte man sowieso eine andere Einstellung“, so die 66-Jährige. Alle, die über die Naturisten schmunzeln, hätten „einen Balken vorm Kopf. Die verbinden mit uns Dinge, die unter die Gürtellinie gehen.“
Nur im Schwimmbad und in der Sauna fordert der Verein Textilfreiheit ein. Ansonsten ist es jedem selbst überlassen, ob er nun „im Lichtkleid“ Federball spielt oder in Sportsachen auf den Stepper steigt. Die Mitglieder handeln da ganz pragmatisch, tragen Socken und Schlappen gegen die Zecken oder lediglich Turnschuhe beim Tischtennis. „Beim Sport sind die meisten bekleidet, das hat auch etwas mit Schwitzen und Sicherheit zu tun“, so Wera Linke, die als Sportwartin etliche Kurse gibt.
Verein finanziert neuen Anbau an die Turnhalle
Wie viele Vereine hat man auch auf dem Kermelberg Nachwuchssorgen. Manfred Menge (70) und Peter Rupprecht (72) vom Vereinsvorstand bringen vieles voran, weshalb Wera Linke auch die Anlage „als eine der gepflegtesten in Deutschland“ bezeichnet. Es gibt Events wie Fahrradtouren oder Bouleturniere und Angebote für Kinder.
Gerade hat der Verein einen neuen Anbau an die Turnhalle für 102.000 Euro finanziert bekommen. Achtzig Prozent davon kamen über Fördermittel des Landes. Der Familienverein ist stolz, den Geräteraum bald eröffnen zu können. Vieles, etwa einen Anstrich oder das Verputzen der Wände, werden die Mitglieder noch in Eigenleistung erbringen.
Auch interessant
- Nach Beinahe-Unfall: Wittenerin sucht ihren Schutzengel
- Sommer: Hier kann man in Witten Drinks in der Sonne genießen
- Wegen Behinderung? Niemand gibt Lukas einen Ausbildungsplatz
Quelle des Kermelbachs bildete den Anfang
Die letzte große Investition des Vereins - in eine Wärmepumpe und Solaranlage für die Beheizung des Schwimmbads - liegt über 15 Jahre zurück. Bis dahin war der Familiensportverein kontinuierlich gewachsen, mittlerweile stagnieren die Mitgliederzahlen auf 320. Viele Ältere können sich auch nicht mehr an der Pflege des 65.000 qm großen Geländes beteiligen. „Sechs Arbeitsstunden sind Pflicht, bis man 70 Jahre alt ist“, so Manfred Menge.
1931 wurde der Freikörperkultur-Verein gegründet. Eigentlich sollte er in Bochum entstehen, doch in Witten gab man sich weniger prüde. Eine Quelle des Kermelbachs bildete den Anfang. Sie wurde ummauert, sodass ein Wasserbecken entstand. In den Folgejahren kamen Holzhütten und Toilettenhäuschen hinzu. Ab den 50er Jahren konnte der Verein sukzessive das Gelände aufkaufen, die Zahl der Mitglieder wuchs. An einer Holzhütte wird heute noch an die Bewohnerin erinnert: Bis zu ihrem 97. Lebensjahr war sie regelmäßig auf dem Kermelberg vor Ort, bis 96 spielte sie aktiv Tischtennis. „Mit dieser Lebensweise kann man eben alt werden“, finden Manfred Menge und Peter Rupprich. „Wir sind eine andere Welt, tolerant und freiheitsliebend. Wir bewegen uns natürlich und entspannt. Für uns ist das hier das Paradies.“
Eröffnung der Turnhalle ist am Samstag, 29. Juni, um 12 Uhr auf dem Kermelberg 76, 58453 Witten. Alle Besucher haben die Möglichkeit, bei Gesprächen den Verein und die Mitglieder kennenzulernen. Es gibt auch Kaffee und Kuchen.
Mehr Nachrichten aus Witten lesen Sie hier.