Witten. Karola Stobäus zog es vor 43 Jahren aus Witten nach Italien zu den Waldensern. Die Glaubensgemeinschaft lebt in den Alpen – ihre neue Heimat.
Anlässlich der Fußball-EM 2024 haben wir das Archiv durchsucht und die schönsten, emotionalsten oder lustigsten Wittener Geschichten mit Bezug zu den Teilnehmerländern gesammelt. Dieser Artikel stammt aus dem Januar 2023.
Fast ihr ganzes Arbeitsleben arbeitet die Hevener Erzieherin Karola Stobäus in Italien. Nach ihrem Diakonenexamen im Martineum verließ sie 1979 Witten und Deutschland in Richtung Süden, nach Palermo. Wie ist das, so lange schon fern der Heimat zu leben? Ein Gespräch mit einer Auswanderin.
Karola Stobäus arbeitete zunächst in Palermos sozialem Brennpunkt „La Noce“ mit Kindern und Jugendlichen und später in den Cottischen Alpen, nahe Turin, als Diakonin. Sie ist Mitglied der protestantischen Kirche der Waldenser, die als evangelische Minderheit 130 Gemeinden in ganz Italien hat.
Frau Stobäus, wie kamen Sie darauf, schon in jungen Jahren auszuwandern – so ganz ohne Sprachkenntnisse?
Karola Stobäus: Ich wollte, bevor ich mich von einer deutschen Kirchengemeinde „vereinnahmen” lasse, erst eine Auslandserfahrung machen. Durch eine Studienreise nach Sizilien zu den Waldensern lernte ich deren Arbeit kennen und habe direkt in Palermo angefragt, ob es möglich sei, zwei freiwillige Jahre dort zu verbrin-gen. Vor 40 Jahren war dort die Armut noch viel ausgeprägter als heute. In Palermo habe ich gelernt zu sagen: Ich bin evangelisch.
Wie wurden Sie dort als Deutsche aufgenommen?
Ich bin in Witten in den 60er und 70er Jahren aufgewachsen und wusste, wie die Gastarbeiter oft behandelt oder auch beurteilt wurden. Ich habe daher in Palermo am Anfang immer versucht, nicht „aufzufallen” – als Ausländerin und „Gastarbeiterin”. Und habe dann die Erfahrung gemacht, dass ich von allen sehr gastfreundlich aufgenommen wurde. Mittlerweile lebe ich doppelt so lange in Italien wie in Deutschland. 22 Jahre in Witten, 22 Jahre in Palermo, dieses Jahr sind es 22 Jahre in den Waldenser Tälern. Ich habe beide Staatsangehörigkeiten. Deutschland ist Heimat, auch Italien ist Heimat geworden. Aber die Erziehung und die Kindheit in Deutschland prägen mehr, als die langen Jahre hier in Italien.
In Palermo ist die katholische Kirche allgegenwärtig und die Chiesa Valdese eher eine Randerscheinung.
Die Katholische Kirche ist in ganz Italien omnipräsent! Hier ist man der Meinung, Christen sind nur die Katholiken. Dass es auch noch die Orthodoxen und die Protestanten gibt, ist nicht allgemein bekannt. Wir Waldenser sind eine Kirche ohne Hierarchie, wo alle Entscheidungen in Versammlungen getroffen werden. Eine Kirche, die sich mit freiwilligen Beiträgen finanziert, nicht mit öffentlichen Geldern oder Kirchensteuern.
Seit wann ist die Waldenserkirche in Italien denn per Gesetz anerkannt und wird sogar vom Staat unterstützt?
1984 wurde ein neues Konkordat zwischen der katholischen Kirche und dem italienischen Staat unterzeichnet. Damit war die katholische Kirche nicht mehr Staatsreligion. Die Waldenserkirche wurde als erste religiöse Gemeinschaft von Seiten des Staates anerkannt. Alle anerkannten religiösen Gemeinschaften haben ein Anrecht auf acht Promille an Geldern. Jeder Steuerzahler kann mit einer Unterschrift entscheiden, welcher Glaubensgemeinschaft er seine acht Promille anvertrauen will.
Wann gehen Sie in Rente – und kommen Sie dann nach Deutschland zurück?
In der Waldenserkirche geht man – wenn die Gesundheit es zulässt – mit 70 Jahren in die „Emeritation“. Ich denke, dies auch zu tun. Ich schließe aber nicht aus, auch danach noch im kirchlichen Bereich tätig zu sein und dass ich mein Alter hier in Torre Pellice verleben werde.
Letzte Frage: Wie feiern Sie das Weihnachtsfest?
Sehr einfach. Einen Adventskranz gibt es nur in der Kirche, ansonsten ist er nicht weit verbreitet. Heiligabend ist nicht „das Fest”, denn Weihnachten ist am 25. Dezember! Dann sind Familientreffen und Geschenke dran. Zu Weihnachten gehören hier keine Plätzchen. Das Weihnachtsgebäck ist Panettone oder Pandoro – ein luftig weicher Kuchen, der nicht fehlen darf. Ein Nikolausfest wie in Deutschland ist unbekannt. Dafür kommt die Hexe Befana am 6. Januar mit Kohle für die schlimmen Kinder und mit Süßem für die guten.