Witten. Die EM-Stimmung in Witten hält sich zwar weiter in Grenzen. Trotzdem gab es zum ersten Spiel von Deutschland so etwas wie Public Viewing.
Fußball in der Kneipe? Klar, kennt man, aber bei schönstem Sommerwetter und einer noch nicht ganz überstandenen Pandemie mag sich der ein oder andere Fan dann doch nicht so recht damit anfreunden. Aber richtiges Public Viewing, also öffentliches Gucken, war zur EM in Witten im Vorfeld nicht in Sicht. Um so überraschter war man, dass zum ersten Deutschland-Spiel am Dienstagabend (15.6.) gegen Frankreich dann doch hier und da die Fernseher nach draußen gestellt wurde.
Die Innenstadt scheint auf den ersten Blick fast wieder unter der Lockdown-Glocke zu liegen, so ruhig ist es auf den Straßen. Sitzen doch alle zuhause vor der Glotze? Nun, der ein oder andere City-Wirt zeigt sich dann doch flexibel und bietet – so weit das vom Platz her überhaupt geht – Public Viewing unter freiem Himmel an. Rudel gucken, diesmal aber mit Abstand.
Casa Cuba auf dem Rathausplatz in Witten punktet mit Fernseher draußen und Leinwand drinnen
Im „Extrablatt“ sind die Fernseher drinnen so aufgestellt, dass man auch von draußen gucken kann. Die Gäste lachen, essen und trinken – hier rollt der Ball, auch wenn keine EM ist. Die Tische sind gut besetzt. Den Geschmack der Fußballfreunde hat auch das Casa Cuba auf dem Rathausplatz gut getroffen. Das Lokal, das spät aus dem Lockdown herausgefunden hatte, punktet diesmal mit einer Leinwand drinnen und einem Fernseher draußen.
Dort, in dem mit einer Glaswand vom Platz abgetrennten Biergarten, sind sämtliche Tische besetzt. Bei Pils und Radler, Aperol Spritz für den Damentisch und hier und da auch einem Cocktail lassen es sich die rund 50 Gäste gut gehen – wenngleich außer dem Geschehen auf dem Bildschirm wenig auf das besondere Ereignis hindeutet. Den einzigen Fanartikel – einen Hut in Schwarzrotgold – hat ein Gast vor sich auf den Tisch gelegt. Der Mann trinkt Pfefferminztee. Etwa zur Beruhigung?
Nun, „spannend“ war’s ja, wie die Gäste trotz der deutschen Niederlage feststellen. Als Hummel in der 20. Minute das Eigentor schießt, macht sich ungläubiges Gelächter breit. „Scheiße!“ ruft jemand, und das vorm Rathaus. Am Nebentisch sitzen gleich neun junge Leute. Lachen, langes Schweigen, dann wieder viel Gequatsche. Dürfen eigentlich so viele an einem Tisch sitzen? Nun, so recht blickt da keiner mehr durch. „Drinnen drei Haushalte, plus Geimpfte, Genesene oder Getestete...“ Wirt Dominik aus dem Klimbim wünschte sich manchmal, besser von den Behörden informiert zu werden.
Wirt im Wiesenviertel in Witten: „Es ist sehr, sehr überschaubar“
In dem Wiesenviertel-Lokal laufen zwei Fernseher, aber der Andrang „ist sehr, sehr überschaubar“, wie Dominik feststellt, der von unzähligen BVB-Spielen eine übervolle Kneipe gewohnt ist. Diesmal musste wegen Corona vorreserviert werden. Jessica (28) und Pierre Bruno (22) gehören zu wenigen, die ein Trikot der deutschen Nationalmannschaft tragen. In der „Alten Post“ kann man die Deutschland-Pleite gleich auf fünf Monitoren verfolgen. Aber auch hier bleiben viele Plätze frei.
„Fußballstimmung fühlt sich anders an“, stellt der 26-jährige Tai denn auch gleich zum Anpfiff draußen im Casa Cuba fest. Sein Nebenmann Emy (26) fragt: „„Kannste lauter machen? Stimmung muss kommen. Scheiß auf Corona.“ Der Himmel zwischen den Häusern ist wunderschön, viel Rosa, ein schwaches Blau, und allmählich werden die ersten Decken verteilt. Julian (22) und Jona (23) haben sich die Partie draußen in der Eisdiele Simonetti abgesehen. „Natürlich gibt’s noch Hoffnung“, sagen sie nach der Niederlage. „Wir müssen aber ein bisschen Gas geben.“
Es ist nach 23 Uhr, ein langer Fußballabend geht zu Ende, der „„halb von Corona und halb von Normalität“ geprägt war, wie Julian treffend sagt. EM-Stimmung ist anders. Aber kann ja noch kommen.