Witten. Ein Jahr Coronakrise: Der Leiter der Holzkampschule in Witten erzählt, wie seine Schule und er sie meistern und warum sonntags das Handy läutet.

Ein Jahr Unterricht unter Pandemiebedingungen – das zehrt an den Nerven von Schülern, Eltern und Lehrern. Dass es trotzdem irgendwie laufen muss, stellt nicht zuletzt Schulleiter vor große Herausforderungen. Michael Günzel leitet seit sieben Jahren die Holzkamp-Gesamtschule in Witten. Der 64-jährige Herbeder spricht über Digitalisierung, Noten und sonntägliche Anrufe.

Herr Günzel, wie geht es Ihnen und Ihren Kollegen zwischen Distanz- und Präsenzunterricht?

Es geht uns unterschiedlich. Manche sind zu festen Säulen im Umgang mit der Technik herangewachsen. Einige sind eher zurückhaltend. Besonders freut es mich, dass die Jüngeren den Älteren beim Umgang mit den digitalen Endgeräten sehr zur Seite stehen. Vor drei Wochen haben wir alle Dienst-I-Pads erhalten. Da müssen wir uns jetzt wieder begleitend fortbilden.

Wie gut sind die Schüler ausgestattet?

Im ersten Lockdown haben wir den Bedarf erfragt. Wer ein Gerät für zuhause braucht, bekommt eins. Im Moment haben wir 80 ausgeliehen

Holzkampschüler können Distanzunterricht in der Schule üben

Vieles ist jetzt ganz anders als vor der Pandemie. Würden Sie sagen, es läuft trotzdem?

Wir haben eine Umfrage unter Lehrern, Schülern und Eltern dazu gemacht, wie zufrieden sie mit der Situation sind. Wir haben die Note 2,8 bekommen. Die Oberstufe, vor allem die Q2, ist sehr zufrieden. Kritik gibt es eher in den unteren Klassen. Einige finden, wir machen zu viele Videokonferenzen. Andere beklagen, dass zu viel Stoff vermittelt und nicht immer alles ausreichend erklärt wird.

Wie helfen Sie, wenn jemand zuhause gar nicht klarkommt?

Der kann das Distanzlernen in der Schule üben und seine Aufgaben im Informatikraum erledigen. Das ist aber freiwillig. Manche entziehen sich dem.

Haben Sie Sorge, diejenigen zu verlieren?

In solchen Fällen versuchen die Kollegen, wenigstens einmal pro Woche mit dem Schüler oder den Eltern zu telefonieren.

Die Oberstufe kommt wochenweise, die Zehner sind tageweise vor Ort

Nicht ganz einfach, bei knapp 1200 Schülern und 115 Lehrkräften den Überblick zu behalten. Wer ist denn an diesem Vormittag gerade hier im Gebäude?

210 Schüler, 35 Lehrer und drei Betreuer sind da. Die beiden Oberstufenjahrgänge kommen wochenweise im Wechsel, die Zehner tageweise. Da haben wir einfach mal nach Mädchen und Jungen aufgeteilt. Plötzlich stellen die Kollegen fest, dass die Mädels zum Beispiel in Chemie viel aktiver sind.

Wie oft sind Sie selbst in der Schule?

Beinahe täglich. Auch samstags oder sonntags. Die Anwohner sprechen mich schon an, wenn mein Auto am Wochenende vor der Tür steht. Im Sommer bin ich auch mal mit dem Rad gekommen.

Wie nervig sind die oft kurzfristigen Informationen aus Düsseldorf, dass sich wieder was ändert?

Das verzeihe ich. Die werden ja selbst oft von den Entscheidungen überrannt. Auch aktuell wissen wir noch nicht, wie es weitergeht.

Schulleiter aus Witten: Das Wichtigste sind die Abschlüsse

Was ist für Sie das Wichtigste in dieser Zeit?

Ich muss dafür sorgen, dass die Schüler ihre Abschlüsse bekommen. Vor allem aber müssen alle gesund bleiben. Da denke ich auch an meine 84-jährige Mutter. Sobald Kinder und Kollegen rausgehen, habe ich ja keinen Einfluss mehr auf ihre Kontakte. Die Pandemie zeigt, wer bereit ist, auf andere Rücksicht zu nehmen und sich an alle Regeln zu halten. Was nützt es, wenn jemand das Abi hat, aber die Oma ist tot.

Lehrerlaufbahn begann im Bergbau

Michael Günzel hat 1986 sein Referendariat beendet, „als keiner Lehrer brauchte“. Seine erste Stelle führte den Herbeder deshalb zunächst nach Duisburg-Walsum, wo er sieben Jahre lang an einer Bergbauberufsschule unterrichtete. „Eine tolle Zeit“, schwärmt der 64-Jährige.Seit sieben Jahren leitet Günzel nun die Holzkamp-Gesamtschule. Gerade hat dort die Anmeldewoche stattgefunden. Günzel freut sich vor allem über „die vielen gymnasialen Anmeldungen“. Ein Wermutstropfen: Weil mehr Kinder angemeldet wurden, als die Schule Kapazitäten hat, mussten 35 abgelehnt werden.

Was ist das Schwierigste?

Aufzupassen, dass mir das Krisenmanagement nicht aus den Händen gleitet. Ich muss den Schulbetrieb mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln sicher aufrechterhalten. Diese Zeit ist die bisher größte Herausforderung in meinem Berufsleben.

„Wir würden uns zutrauen, täglich Schnelltests zu machen“

Was halten Sie von Schnelltests für einen normaleren Schulalltag?

Wir würden uns zutrauen, das täglich zu machen. Wir haben ein multiprofessionelles Team, dass da einspringen könnte. Viele Kollegen sind in Erster Hilfe ausgebildet. Das wäre eine Form der Sicherheit. Ich bin ja auch ein Fan von Luftreinigern. Wenn man sich darauf frühzeitig und umfassend eingelassen hätte, hätte man die Virenlast gut runterfahren können.

Was sind die schlimmsten Momente in der Krise?

Die ständige Ungewissheit. Und wenn sonntags das Handy klingelt und das Gesundheitsamt dran ist. Wir hatten Corona-Fälle in Klassen, aber die Lage war immer überschaubar.

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Trotz allem – was können Sie der Pandemie Positives abgewinnen?

Sie hat uns vorgeführt, wie Digitalisierung schon längst hätte laufen müssen. Dann hätten wir uns viel Kummer erspart. Und unsere Anmeldewoche ist diesmal trotz Corona viel besser abgelaufen. Während es bei anderen Schulen nur schriftliche Anmeldungen gab, haben wir die Familien trotzdem eingeladen, sich ihre neue Schule anzusehen. Ein bisschen Kontakt muss ja sein. Corona darf nicht alles kaputt machen. Die strengen Abläufe haben bewirkt, dass diesmal alles zügig funktionierte – wie beim Einchecken am Flughafen.

Sie sind Lehrer für Geschichte, Sport und Technik. Kommen Sie überhaupt noch zum Unterrichten?

Ich gebe fünf Stunden in der Woche. Das ist mein Highlight und sehr wohltuend.

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