Witten. Bewährung oder Knast? Darüber musste das Amtsgericht jetzt entscheiden. Und die Chancen für den angeklagten Wittener standen äußerst schlecht.
Die Liste seiner Vorstrafen ist lang, die der neuen Vorwürfe noch länger. Diesmal musste sich der 31-Jährige, der inzwischen in Haft sitzt, vor dem Wittener Amtsgericht wieder einmal wegen Betrugs verantworten. Keine Chance also auf Bewährung. Oder etwa doch?
Eigentlich ist es eine tragische Geschichte. Der Angeklagte, der in Halle/Saale aufgewachsen ist, kam schon in der Schulzeit auf die schiefe Bahn. Er schloss sich falschen Freunden an. Die Bande klaute, raubte, schlug zu und stand immer wieder vor Gericht. Doch dann wurde der 31-Jährige vom Mitläufer zum Opfer. Zwei Tage lang wurde er sexuell missbraucht, eine Tat, unter der er bis heute leidet.
Angeklagter zog mit seiner kleinen Familie nach Witten
Nach diesem Vorfall schaffte der Angeklagte den Absprung. Mehrere Jahre lang ließ er sich nichts Gravierendes zuschulden kommen, machte seinen Schulabschluss nach, fand Arbeit. 2018 wurde er dann wieder verurteilt. „Im Bahnhof hat einer eine Frau angegriffen, da bin ich dazwischen gegangen und habe zugeschlagen“, erklärte er der Wittener Richterin Dr. Barbara Monstadt am Mittwoch.
Ob es wirklich so harmlos war? Die neun Monate Haft wurden dem Angeklagten jedenfalls zum Verhängnis. Denn weil er seinen Auflagen nicht nachgekommen war, wurde die Bewährung widerrufen. Und der 31-Jährige machte den nächsten Fehler: Er tauchte ab.
31-Jähriger tauchte aus Angst vor der Haft unter
Der junge Mann, der mit seiner Lebensgefährtin und ihren damals zwei gemeinsamen Kindern – inzwischen sind es drei – nach Witten gezogen war, veränderte sein Aussehen, wechselte Frisur und Kleidungsstil, meldete seinen Wohnungswechsel nicht. „Ich hatte solche Angst vor der Haft“, erklärte er. Doch sein Versuch, auf diese Weise davon zu kommen, scheiterte. Er wurde gefasst, sitzt nun seit fast einem Jahr in Haft – neun Monate wegen der alten Sache, den Rest wegen neuer Vorwürfe.
Denn als der Angeklagte kein Geld mehr verdienen konnte, fing er mit einer miesen Betrugsmasche an. Er bot Technik-Artikel – vom Handy bis zum Thermomix – bei Ebay-Kleinanzeigen an, kassierte das Geld von den Käufern und verschickte nichts. Um 24 solcher fingierten Verkäufe ging es nun im aktuellen Verfahren, Gesamtschaden: 5588 Euro. „Ich wollte doch einfach nur für meine Familie sorgen“, versicherte der 31-Jährige weinend vor Gericht.
Staatsanwalt plädiert trotz Bedenken für Bewährungsstrafe
Sein Anwalt erklärte es so: „Mein Mandant hat versucht, vieles richtig zu machen und dabei sehr viel falsch gemacht.“ Er bitte leider immer erst um Hilfe, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen sei. „Aber das Jahr Haft war ihm ein dicker Denkzettel – daher hat er noch eine Chance verdient.“ So sah es schließlich auch der Staatsanwalt – „trotz schwerster Bedenken“.
Das Gericht folgte in seinem Urteil den Anträgen. Der Angeklagte wurde wegen gewerbsmäßigen Betrugs zu einem Jahr und zehn Monaten sowie zu einem Jahr und drei Monaten auf Bewährung verurteilt – die Teilung der Strafe hat formaljuristische Gründe. Außerdem wird dem 31-Jährigen zur Auflage gemacht, ein Anti-Aggressions-Training sowie eine Psychotherapie zu besuchen, seine Schulden in den Griff zu bekommen und 300 Stunden gemeinnützige Arbeit zu leisten.
Richterin betont: Das ist die allerletzte Chance
Richterin Monstadt betonte eindringlich, dass das wirklich die allerletzte Chance für den Angeklagten sei, sein Leben auf die Reihe zu bekommen. „Aber die haben sie verdient.“ Den Widerruf der letzten Bewährung zu riskieren, sei „ausgesprochen bescheuert“ von ihm gewesen. Jetzt müsse er eine vollkommen blütenweiße Weste behalten. „Denn wenn sie für vier Jahre ins Gefängnis müssen, können Sie Ihre Familie vergessen.“
Lebensgefährtin angestiftet
Der Angeklagte hat seine Lebensgefährtin offenbar dazu verleitet, bei dem Betrug mitzumachen. Die junge, zarte Frau, die bislang nicht aktenkundig war, ist inzwischen wegen 15 Taten, ebenfalls mit der Ebay-Masche, zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden.Da sie psychisch labil ist, will sie sich bald in eine stationäre Therapie begeben.
Jetzt aber habe der Angeklagte die Chance, den Ämter zu zeigen, dass er Verantwortung übernehmen kann – und dann vielleicht auch die Kinder zurückzubekommen. Die drei, das jüngste ist gerade ein halbes Jahr alt, leben in Pflegefamilien, weil die junge Mutter es trotz aller Anstrengungen nicht geschafft hat, den Alltag allein zu stemmen.
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So viel Nachsicht und Glück konnte das Paar kaum fassen. Beim Urteil brachen beide in Tränen aus. „Danke und auf Wiedersehen“, schluchzte der Angeklagte, der von der Haft sofort nach Hause wechseln durfte. Richterin Monstadt darauf trocken: „Lieber nicht!“