Witten. . Im Interview spricht Gerichtschefin Dr. Monstadt über die Zeit in Witten und Persönliches. Und gesteht: Auch sie hat mal Zoff mit Justitia.

Vor 21 Monaten übernahm Dr. Barbara Monstadt (55) das Wittener Amtsgericht als neue Direktorin. Im Gespräch mit WAZ-Mitarbeiter Dennis Sohner spricht sie über Kollegen, die Sie überforderte, ihre Anfänge als Richterin – und beängstigende Situationen im Job.

Frau Dr. Monstadt, Sie sind jetzt anderthalb Jahre Amtsgerichtsdirektorin in Witten. Wie kommt Ihnen die Zeit vor?

Ganz schnell und ganz intensiv. Es hat sich viel getan und es war aufregend.

Was war aufregend?

Ich habe ja niemanden hier gekannt, weder Kollegen noch Mitarbeiter. Das sind 55 Menschen, die man neu kennenlernt. Neues Dezernat, neue Anwälte, neue Staatsanwälte, neue Richter in der Berufungsinstanz, neue Bewährungshelfer - alle Kontakte waren neu zu knüpfen. Gerade im Kollegenkreis ist das unkompliziert und nett gewesen. Ich habe wirklich nette Kollegen.

Was haben Sie neu eingeführt?

Was ich dieses Jahr zum ersten Mal gemacht habe, sind Mitarbeiter-Jahresgespräche, und ich bin noch dabei. Ich nehme mir für dieses Gespräch etwa zwei Stunden Zeit. Ich war selbst unsicher, ob das sinnvoll ist. In der Wirtschaft ist das ganz normal, in der Justiz wird das selten gemacht, obwohl es eigentlich gemacht werden sollte. Mir hat das viel gebracht, weil ich jeden mal für eine längere Zeit in einem Zwei-Personen-Gespräch hier habe. Das werde ich mit Sicherheit weiter jedes Jahr so pflegen, auch wenn es viel Zeit kostet.

Was ist das Thema?

Vom Jura-Studium in Münster zur Gerichts-Chefin

Dr. Barbara Monstadt studierte von 1980 bis 1985 in Münster Jura. Es folgte die Referendarzeit von 1986 bis 1989 in Bochum. Die Wahl-Sprockhövelerin und gebürtige Remscheiderin ging zum Landgericht nach Essen, dann zum Amtsgericht Hattingen. 2011 wurde sie Vize-Chefin am Amtsgericht Gelsenkirchen-Buer, bevor es sie nach Witten zog.

Alles, was der Mitarbeiter möchte. Ich habe einen großen Fragenkatalog herausgegeben: Was hat mir meine Arbeit leichter oder schwerer gemacht, wobei fühle ich mich wohl oder nicht, habe ich den Eindruck, dass ich die Leistung bringe, die ich bringen möchte? Es können ja alle möglichen Dinge eine Rolle spielen: Es gibt Leute, denen ist das Zimmer im Sommer zu heiß, andere sagen, ihnen fehlt ein Kopierer in ihrem Flügel des Gebäudes. Aber es können auch persönliche Probleme Thema sein.

Gibt es etwas, das Sie selbstkritisch sehen?

Ich glaube, ich war zu schnell, obwohl ich mir vorgenommen hatte, nicht alles mit der Brechstange zu verändern. Ich habe die Leute teilweise ein bisschen überfordert: vom Streichen der Wände bis zum Austausch von veralteten Möbeln.

Das hört sich nicht gerade billig an.

Die Möbel habe ich besorgt aus meinem alten Amtsgericht Gelsenkirchen Buer, dort waren zwei Amtsgerichte zusammengelegt worden - das waren drei Lkw voll Regale, Stühle, Tische. Die wären sonst entsorgt worden. Und die Wände haben Freigänger der Justizvollzugsanstalt Castrop-Rauxel gestrichen.

Das wiederum klingt sehr praktisch und kostensparend.

Ich behaupte mal, ich bin ziemlich einfallsreich, mit wenig Geld eine Menge zu machen. Die Fenster habe ich auch mal reinigen lassen, die waren schwarz. Da gab es dann auch Leute, die gesagt haben „Ja, klar, eine Frau.“

Und jetzt sind Sie zufrieden?

Ich finde es eigentlich unmöglich, dass wir Kunden nichts zu trinken anbieten können - egal, ob Anwälte, Staatsanwälte, Leute, die zum Grundbuchamt müssen, oder aber Angeklagte. Aber dafür muss sich ein Automat für den Aufsteller lohnen. Das hatte der Automat nicht, den wir hatten.

Offen, freundlich, auf dem Boden geblieben: Vor Gericht greift Dr. Barbara Monstadt aber auch mal hart durch.
Offen, freundlich, auf dem Boden geblieben: Vor Gericht greift Dr. Barbara Monstadt aber auch mal hart durch. © FUNKE Foto Services

Gibt es einen speziellen Fall in Ihrer Zeit in Witten, der Ihnen sofort einfällt?

Was mich sehr beschäftigt hat, ist nicht so sehr ein Fall, sondern die Summe. Letztes Jahr gab es mehrere Täter, deren Verfahren ich an das Landgericht abgeben habe, weil ich der Auffassung war, dass sie wegen ihrer psychischen Erkrankung nicht ins Gefängnis gehören, sondern untergebracht werden müssen. Inzwischen sind auch alle untergebracht, weil sie schuldunfähig waren.

Täuscht der Eindruck oder nimmt die Zahl der psychisch Erkrankten zu?

Ich glaube nicht, dass die Zahl der psychisch Kranken zunimmt, sondern die Aufmerksamkeit. Viele von denen wurden schon mehrmals verurteilt. Aber es wurde nicht hingeguckt und gesagt „Vielleicht sollte ich den mal begutachten lassen“.

Im Rückblick: Gibt es einen Fall, bei dem Sie nachträglich gedacht haben: „Da hätte ich lieber ein anderes Urteil gemacht“?

In der Sitzung entscheide ich ja so, wie ich in dem Moment überzeugt bin. Wenn ich nicht nach der eigenen Überzeugung handeln würde, könnte ich abends wahrscheinlich nicht schlafen. Dass man so einen Fall mit nach Hause nimmt und überlegt, ob man wirklich alles Aspekte berücksichtigt hat, das ist natürlich so. Wir haben aber nur die Chance auf einen Ausschnitt. Wir stellen Fragen und aufgrund dessen, was wir da erfahren, handeln wir.

Es muss unbefriedigend sein, wenn man nicht alles erfährt.

Manchmal fragt man sich, ob man alles erfahren hat, was die Grundlage für eine richtige Entscheidung war. Wenn mir jemand nur 80 Prozent erzählt, kann ich mit diesen 80 Prozent eine Entscheidung treffen, von der ich in dem Moment überzeugt bin. Wenn ich das Gefühl habe, die anderen 20 Prozent würden vielleicht in eine andere Richtung gehen oder irgendetwas ändern, der Angeklagte sagt mir die aber nicht, dann kann ich das natürlich nicht berücksichtigen. Damit muss man als Richter am Ende umgehen können.

Können Sie sich noch an Ihren allerersten Fall erinnern?

Ich habe 1989 in der Zivilkammer angefangen, wie alle. Das war beim Landgericht in Essen. Es ist ungelogen so: In der ersten Akte, die ich aufgeschlagen habe, ging es um einen Dackel des Nachbarn, der nicht so oft kläffen sollte. Und dem waren „Kläff-Listen“ beigefügt. Da hatte jemand über Wochen in Tabellen aufgeführt, wann dieser Dackel gekläfft hatte. Da habe ich mich gefragt: Und dafür bist du Richterin geworden? (lacht)

Und Zivilrecht wollten Sie nicht mehr machen?

Nun ja, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, Nebenkostenabrechnungen, Mietminderung - da mache ich doch lieber Strafrecht.

Hat man bei den „schweren Jungs“, mit denen Sie oft zu tun haben, auch einmal Angst, wenn man abends vor die Tür geht?

Eigentlich nicht. Ich hoffe, dass immer noch ein gewisser Respekt vor den Personen vor Gericht da ist. Leider ist das nicht mehr oft der Fall.

Zoff mit einem Anwalt und eine beängstigende Situation 

Haben Sie denn mal etwas Beängstigendes erlebt?

Ich habe mal einen Fall erlebt in Essen, wo eine Entführung geplant war. Es war ein bekannter Sexualstraftäter. In der Strafvollstreckungskammer war ich, damals Anfang 30, und zwei ältere Männer um die 60. Da war klar, wen er entführt hätte.

Sie machen in der Regel einen sehr besonnenen und zurückhaltenden Eindruck. Gibt es auch Angeklagte oder Situationen, die Sie wütend machen?

Sicher bin ich schon sauer geworden, auch bei Zeugen oder Anwälten. In der Regel werde ich eher schneidend als laut. Natürlich habe ich auch schon gebrüllt, aber allenfalls in Extremsituationen. Ich muss mich neutral verhalten.

Einen Ausraster hatten Sie noch nicht?

Ein Anwalt hatte mich mal gefragt, ob er mich beim Schreiben stört, als er plädierte. Ich weiß nicht, ob er den Eindruck hatte, dass ich schon das Urteil schreibe, aber da bin ich laut geworden. Ich schreibe immer mit, damit ich am Ende die ganzen Argumente verwerten. Bei meinem Urteil nehme ich auch zum Teil Argumente aus den Plädoyers.

Also hat man während der Plädoyers noch kein festes Urteil im Kopf?

Ich finde die Argumente wichtig. Es sind ja zwei Gegenpositionen, auch wenn der Staatsanwalt alle für oder gegen den Angeklagten sprechenden Argumente sammelt. Ich habe auch schon mal eine Meinung gehabt und sie während der Plädoyers nochmal überdacht, weil ich gesagt habe: Ja, so kann man das auch denken.

Welche Rolle spielen die Schöffen?

Ich schätze sehr, dass ich mit Schöffen arbeiten und laut beraten kann. Man denkt zu dritt und kann Argumente austauschen.

Also gibt der Richter nicht die Richtung vor?

Natürlich hat man als Richter Einfluss. Aber mich interessiert wirklich, was die Schöffen meinen. Am Anfang frage ich sie immer: Was sagen Sie zu dem Fall? Es gibt auch Fälle, die stehen auf der Kippe, da weiß man nicht so genau, ob ein Angeklagter es getan hat oder nicht. Dann frage ich die Schöffen, was siemeinen: War er das oder war er das nicht? Dann wird darüber diskutiert.

Was bringen die Schöffen in die Urteilsberatung ein?

Die Schöffen haben einen Vorteil: Während ich oft noch in der Akte blättere und etwas suche, das ich vorhalte, könne sie beobachten. Sie sehen oft ganz genau, dass jemand ausweicht oder sich in Situationen anders verhält als in anderen. Ich habe oft den Rundblick, die Schöffen haben oft sehr fokussiert den Angeklagten im Blick. Oder den Zeugen, der gerade etwas sagt.

Wurden Sie mal überstimmt?

Ja, einmal. Ich hätte noch eine letzte Bewährungschance gegeben, die beiden Schöffen haben gesagt: Im Leben nicht. Sie haben das vehement vertreten. Da habe ich gedacht: Ja, das kann man eben auch so sehen.

Bei Berichten über Gerichtsurteile gibt es oft Kommentare nach dem Motto: Das muss doch eine härtere Strafe geben! Muss man nicht früher und härter durchgreifen?

Gerade in Jugendsachen kann man abgestuft handelt. Wenn Jugendliche öfter eine Anklage bekamen, dann habe ich denen gesagt: Arrest und eine Bewährungsstrafe und beim nächsten Mal hilft dann nichts mehr. Wenn sie dann wieder kamen, haben sie auch keine Bewährung mehr bekommen. Wichtig ist, wie bei Erziehung auch: Wenn man etwas androht, muss es auch passieren.

Manche sagen: Ihre Urteile in Witten sind sehr moderat.

Ich bin auch teilweise relativ streng. Neulich hat mir die Staatsanwältin noch gesagt, woanders gebe es eher Geldstrafen und bei mir schneller Freiheitsstrafen. Das sind zum Beispiel die Kinderpornografiefälle. Oder Widerstandshandlungen gegen Polizisten. Mir ist wichtig klarzumachen, dass man sich so nicht verhalten kann.

Inwieweit können Sie Angeklagte mit einem Urteil unterstützen, dass Sie nicht mehr bei Ihnen landen?

Ich hoffe schon, dass bei Bewährungsstrafen und den Auflagen etwas rauskommt. Ich ordne fast immer einen Bewährungshelfer bei, weil ich glaube, dass die eine tolle Arbeit machen und den Leuten geholfen ist, weil sie ihren Beruf oder ihre Finanzen nicht mehr unter Kontrolle haben.

Hat man Respekt davor, als Richterin einmal selbst in Konflikt mit dem Gesetz zu geraten?

Ja, das ist so. Ich kann mir zum Beispiel keine Trunkenheitsfahrt erlauben. Das ist ja so eine Sache, in die man theoretisch mal geraten könnte. Aber da bin ich streng mit mir selbst.

Hatten Sie mal ein heikles Erlebnis?

Ich habe mal auf dem Parkplatz von einem Supermarkt ein Auto angeditscht beim Ausparken. Dann stand ich da und hatte Schweißausbrüche, wie ich denjenigen erreiche, dem das Auto gehört. Ich weiß ja, dass ich warten muss. Dass ich wegen einer Unfallflucht oder so belangt werden könnte, geht natürlich überhaupt nicht.

Was hatten Sie in der Situation gemacht?

Ich habe Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt und solange gewartet, bis derjenige aufgetaucht ist.

Also hatten Sie noch keinen Ärger mit Justitia?

Zu schnell fahren, das kommt schon mal vor. Dann zahle ich aber auch. Dass Leute Einspruch einlegen, wenn sie erwischt wurden, kann ich nicht so richtig nachvollziehen.

Barbara Monstadt über Persönliches und ob sie in Witten bleiben will 

Was machen Sie, um den Kopf frei zu bekommen?

Viele Jahre war es für mich das Reiten. Das war für mich Abschalten ich Perfektion. Da kann man sich nur noch mit sich und dem Pferd beschäftigen. Ich reite aber jetzt nicht mehr aktiv. Ich golfe auch gerne. Das klingt jetzt so elitär, aber es ist einfach schön, weil man draußen an der Luft ist und sich bewegt. Und Lesen - das bedeutet für mich, in etwas anderes abzutauchen. Ich fresse Bücher, im Urlaub lese ich eins pro Tag (lacht).

Was lesen Sie?

Nichts Hochgeistiges. Krimis, Romane, Historisches. Möglichst viele Seiten, damit es mich lange beschäftigt.

Wo zieht es Sie in den Urlaub?

Frankreich ist das Land, in das es mich immer wieder hinzieht. Ich spreche immer noch ganz gut Französisch. Wenn man ihre Sprache kann, sind sie die charmantesten Menschen überhaupt.

Sie haben einen Doktortitel. Nicht viele Richter haben einen.

Ich hatte schon in der Studienzeit einen Job am Lehrstuhl und hatte eine Zeitlang gedacht, es wäre auch schön, in die Lehre zu gehen. Damals war ich in engem Kontakt mit dem Professor, der mir sogar eine Habilitation vorgeschlagen. Und wenn es mit dem Richterjob nicht geklappt hätte und ich hätte Anwältin werden sollen, wäre der Doktortitel vielleicht wichtig geworden. Damals waren große Kanzleien noch nicht so erpicht auf Frauen. Die Promotion habe ich da als Wettbewerbsvorteil angesehen.

Legen Sie Wert darauf, als „Frau Doktor“ angesprochen zu werden?

Ich habe drei Jahre dafür ernsthaft gearbeitet, insofern ist der Titel natürlich etwas wert. Aber ich hebe ihn nicht heraus, persönlich und privat habe ich damit überhaupt nichts am Hut.

Nehmen wir mal an, Sie müssten sich nochmal neu für einen Beruf entscheiden, Jura ausgeschlossen. Was würden Sie machen?

Aus heutiger Sicht würde ich in dem Fall auch Psychologie studieren, wie meine Tochter. Ich glaube, dass was wir Juristen machen, ein bisschen Hobbypsychologie ist. Vieles, was ich intuitiv mache, höre ich von meiner Tochter in Form von Theorien und Modellen. Psychologie war aber damals nicht in meiner Perspektive.

Sie haben mal gesagt, Ärztin wollten Sie nie werden, da gebe es zu viel Blut. Gab es keinen anderen Berufswunsch außer Jura?

Ich habe schon relativ früh überlegt, dass es das ist. Ich war schon immer eine gute Vermittlerin. Für mich hat es nie Schwarz und Weiß gegeben, sondern Grautöne.

Das heißt, Sie müssen sich nicht zur Arbeit schleppen.

Ich mache die Arbeit wirklich jeden Tag gerne. Das ist ein Traumjob, den ich gefunden habe.

Wollen Sie nochmal in ein größeres Gericht wechseln?

Nein, ich möchte hier in Witten pensioniert werden. Das hier ist genau das, was ich machen möchte.