Witten. Nur noch wenige Monate werden Anja und Bernd Erdelmann die Herbeder mit Brot, Gebäck und Torten versorgen. Wieso endet eine 93-jährige Tradition?

Eine der letzten kleinen inhabergeführten Bäckereien in Witten schließt. Anja und Bernd Erdelmann suchen einen Nachfolger für ihr Café an der Meesmannstraße in Herbede.

Mit traditionellen Rezepten und liebevoll-altbackenem Charme haben sie sich über Jahrzehnte gegenüber vielen Filialisten behauptet. „Wir schließen aus gesundheitlichen Gründen, nicht aus wirtschaftlichen“, sagt die gute Seele des Betriebs, Anja Erdelmann.

Fertig gekauften Mürbeteig oder Streusel gab es bei Meister Erdelmann nicht, dafür Apfel- und Käsekuchen oder Leipziger Torte nach altem (und oft kalorienreichem) Rezept. Dass der Fachbetrieb den Ofen nach 93 Jahren abschaltet, ist ein Verlust für manchen Gaumen – und für den gesamten Ortsteil.

„Man kann wirklich sagen, wir sind über die Jahre ein Treffpunkt geworden. Gerade bei schönem Wetter sind die Cafétische immer voll“, sagt Anja Erdelmann. Ihr fällt es sichtlich schwer, über das sich nähernde Ende ihres Betriebs zu sprechen. Ende Mai soll wahrscheinlich Schluss sein.

Gesundheitliche Probleme sind der Grund für die Aufgabe der Bäckerei in Witten

Das Backstübchen Erdelmann liegt an der Meesmannstraße 42 in Witten-Herbede.
Das Backstübchen Erdelmann liegt an der Meesmannstraße 42 in Witten-Herbede. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

Bernd Erdelmanns Gesundheit macht nicht mehr mit. Seit seinem 14. Lebensjahr steht der 63-Jährige täglich in der Backstube, seit elf Jahren sogar ganz allein. Im Herbst wartet eine komplizierte Augen-Operation, da müssten die Erdelmanns sowieso für mehrere Wochen schließen. Denn „alles, was wir verkaufen, produzieren wir selbst“, sagt seine 54 Jahre alte Frau.

Ihr Schicksal teilen die Herbeder mit vielen inhabergeführten Handwerksbetrieben. Erst fand Bernd Erdelmann über Jahre keine Mitarbeiter, nun auch keinen Nachfolger mehr. Die Geschäftsführerin der Handwerkskammer Dortmund, Olesja Mouelhi-Ort, bestätigt den Fachkräftemangel im gesamten Lebensmittelhandwerk. Die Ursachen seien vielfältig, etwa abschreckende Arbeitszeiten oder die Konkurrenz durch Discounter und große Bäckereiketten. „Trotzdem gelingt es auch kleineren Bäckereien immer wieder, erfolgreiche Nischen zu finden, etwa eine regionale Produktion oder mit dem Fokus auf Bio-Produkte.“

Weniger Fachkräfte bedeuten umgekehrt auch weniger mögliche Bäckermeisterinnen und Meister, die einen Betrieb weiterführen können. „Allein im Kammerbezirk Dortmund müssen in den nächsten zehn Jahren gut 4100 Betriebe übergeben werden. Viele werden, wie die Bäckerei Erdelmann, keinen Nachfolger finden“, schätzt Olesja Mouelhi-Ort.

Nachfolger könnte an etabliertem Standort was Tolles aufbauen

Nur noch zwei Traditions-Bäckereien

Wie viele Traditionsbäckereien in Witten noch ihrem Handwerk nachgehen, kann die Handwerkskammer Dortmund nicht genau sagen. Als langjährige Betriebe (30 Jahre oder mehr) sind dort nur noch die Bäckerei Dirk Baudach in Vormholz sowie die Bäckerei Dieter Weidler mit vier Filialen im Stadtgebiet gelistet.

Diese Aufstellung lässt aber Spielraum. Ein Beispiel: Die Wurzeln der Bäckerei Backhaus reichen bis 1878 zurück. Weil die Inhaber 2006 den bekannten Namen Hausemann-Schluck ablegten, zählt die Handwerkskammer den Betrieb nicht als Traditionsbetrieb.

Ein ähnliches Konzept wie die Herbeder Backstube hätten laut Anja Erdelmann noch das Café Zehner am Steinhügel in Heven und die Bäckerei Browatzki, geführt von Heinz-Peter Helmholz, auf dem Sonnenschein.

Ein zusätzliches Problem in der Herbeder Backstube: Viele Maschinen sind in die Jahre gekommen. „Den 35 Jahre alten Ofen repariert mein Mann immer wieder selbst. Eigentlich müsste man investieren“, sagt Anja Erdelmann. Der Produktionsbetrieb müsse also in jedem Falle geschlossen werden.

Auch solche Hochzeitstorten stellte die Bäckerei Erdelmann her.
Auch solche Hochzeitstorten stellte die Bäckerei Erdelmann her. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald (theo)

Anders sieht es für das Geschäftslokal an der Meesmannstraße aus. „Wir hoffen, dass jemand dort ein kleines, süßes Café eröffnen möchte. Mit etwas Pfiff könnte man an diesem etablierten Standort was Tolles aufbauen.“ Auch das Personal würde gern weiterarbeiten. Bei Interesse könne man sich im Laden melden.

Anja Erdelmann ist sich sicher: Der Abschied würde ihr leichter fallen, wenn das Café in neue Hände käme. 1929 hat Erich Erdelmann die Backstube gegründet, vor 26 Jahren übernahm sie sein Enkel Bernd. Vor 14 Jahren stieg die gebürtige Rostockerin Anja als Verkäuferin ein. „Hier steckt so viel Herzblut drin“, sagt sie. Obwohl sich das Ehepaar auf mehr gemeinsame Zeit, auf den Wohnwagen, das Motorradfahren, die Enkelkinder freut: „Wir haben alle Bammel vor dem letzten Tag.“