Bochum-Wattenscheid. In Wattenscheid sind nun Impf-Lotsen auf der Straße, um Impf-Aufklärung zu betreiben. Die Ehrenamtlichen bekommen von Passanten vieles zu hören.
Im Winter bei schlechtem Wetter in der Fußgängerzone von Impfskeptikern angebrüllt werden – was wohl die meisten Menschen als absolute Zumutung empfinden, unternehmen Taban Abas und Ibrahim Eser seit ein paar Tagen ganz freiwillig. Sie gehören zu 14 medizinisch geschulten ehrenamtlichen „Impflotsen“, die nun auf Wattenscheids Straßen und an Haustüren „Impf-Aufklärung“ betreiben wollen.
„Taskforce“ initiiert Kampagne „Wattenscheid gegen Corona“
Nachdem die Bochumer Corona-Statistik im Dezember eine höhere Infektionsrate für Wattenscheid zu Tage befördert hatte als im übrigen Stadtgebiet, rief die städtische Taskforce dann endlich die Aktion „Wattenscheid gegen Corona“ ins Leben. Die bisherigen Infokampagnen reichten nicht aus, wurde Sozial- und Gesundheitsdezernentin Britta Anger klar: „Wir müssen jede Aktion nutzen – man kriegt es mit Plakaten nicht hin.“
Seit dem 6. Januar hätten die bi- oder trillingualen Lotsinnen und -lotsen schon „mehr als 1000 Impfangebote“ den Passantinnen und Passanten unterbreitet: in Deutsch, Arabisch, Kurdisch, Türkisch oder Russisch. Besonders wertvoll sei dabei die Beratung durch den ärztlichen Leiter Serhat Sönmez. Bei Rückfragen kann Impflotse Ibrahim Eser den Bürgern sofort das Handy ans Ohr drücken mit dem Satz: „Ich habe einen Arzt hier am Telefon.“
Erfolg der Impf-Aufklärungs-Kampagne sei „schwer zu bemessen“
Laut Serhat Sönmez sei es schwer, den bisherigen Erfolg dieser Impf-Aufklärung zu messen, doch: „An der Wattenscheider Impfstelle stehen in der Regel zehn Prozent der Impfungen mit direkter Konnotation zur Impflotsen-Arbeit.“ Zeitweise seien die Impfungen sogar um 50 Prozent gestiegen.
„Der Elan ist ungebrochen“, meint Bezirksbürgermeister Hans-Peter Herzog (SPD), zieht „ganz tief den Hut“ vor dem Engagement – für das sich die Ehrenamtlichen allerhand gefallen lassen müssen: in der Kälte, vor dem Einkaufszentrum, manchmal „abgewimmelt vor der Haustür mit bösen Worten“.
Impf-Lotsen bleiben trotz „schrägster“ Sprüche motiviert
Einige „inakzeptable“ Sprüche gingen für Ibrahim Eser unter die Gürtellinie. „Einer fragte: ,Willst du mich in den Tod begleiten?’“, berichtet Eser, „Manchmal habe ich mich gefragt: ,Was mache ich hier?’“ Konflikte innerhalb seines Wattenscheider Bekanntenkreises hätten ihm sein Einsatz als Impflotse aber nicht eingebracht. „Wir wollen nicht diskutieren, sondern aufklären – ich gehe da mit keinem in einen Clinch, ich lache immer.“
Trotz der „schrägsten Sprüche“ bleibe er humorvoll und „hochmotiviert“: „Menschen, die Sprachprobleme haben, aufzuklären, ist keine undankbare Aufgabe“, so Eser, „Ich stehe zu Wattenscheid.“ Wenn er dann mal jemanden erreichen konnte, der sich nun doch impfen lässt, sei das eine große Motivation gewesen.
„Wattenscheid gegen Corona“
Für die Impf-Aufklärung wird von Seiten der Stadt Bochum 30.000 Euro zur Verfügung gestellt, so Sozial- und Gesundheitsdezernentin Britta Anger.Derzeit werden überlegt, den 14 Impflotsen eine Aufwandsentschädigung auszuzahlen.Bei der Kampagne sind auch Kitas, Schulen, Vereine und Organisationen dazu aufgerufen, „Ideen zu entwickeln, wie mehr Gesundheit in Wattenscheid erreicht werden kann“.
Für Impflotsen Ibrahim Eser ist klar: „Einmal im Monat ein Impfzelt ist mir zu wenig. Es hat mir in der Seele weh getan mitzubekommen, wie wenig aufgeklärt wurde.“
Impflotsin überrascht angesichts der großen Unwissenheit
Auch Impflotsin Taban Abas berichtet: „Ich bin ohne große Erwartungen auf die Leute zugegangen – war dann aber sehr überrascht, wie uninformiert die Leute sind, auch solche ohne Migrationshintergrund.“
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Viele Wattenscheiderinnen und Wattenscheider, die sie ansprach, hätten gemeint, die Lehramtsstudentin wolle ihnen etwas verkaufen. „Mein zweiter Satz war immer: ,Ich will Ihnen nichts Böses!’“ Täglich sei sie rund zwei Stunden als Impflotsin unterwegs, mache weiter „wenn es dunkel wird“, am Wochenende, selbst wenn nur Gespräche mit Booster-Interessenten zustande kamen. „Doch das ist für mich keine Aufklärungsarbeit.“ Manchmal sei sie auch übermotiviert. „Vorgestern habe ich einen herben Schlag bekommen“, so Abas, „Da wurde ich von allen Leuten einfach abgewiesen.“ Doch was sie heute runterziehe, mache sie morgen nur stärker.