Velbert. Ein Selbsttest in Velbert macht nachdenklich: Inklusion ist in den Köpfen vieler Menschen und in der täglichen Realität noch nicht angekommen.
Im Bahnhof herrscht hektisches Treiben. Ich muss schnell zu Gleis 1, bevor gleich mein Zug abfährt. Doch meine Sehbehinderung erschwert die Orientierung. Ich kann kaum etwas erkennen und fühle mich von den ungeduldigen Mitmenschen gestört. Mit Mühe erreiche ich schließlich den richtigen Bahnsteig. „Das war wirklich anstrengend“, schnaufe ich erleichtert und lehne mich zurück.
Ein Selbsttest in der Velberter Agentur für Arbeit
Christiane Streckmann, Constanze Doerffer und Kerstin Wilms vom Reha-Team der Agentur für Arbeit beobachten mich amüsiert. Ich bin nicht wirklich am Bahnhof, sondern sitze an einem Schreibtisch, denn ich habe gerade eine Computersimulation durchlaufen müssen, die meine Perspektive als sehbehinderte Person nachstellt. „Wir haben alle die Simulation ausprobiert, aber niemand von uns hat es bis zum Gleis geschafft“, sagt Kerstin Wilms, Beraterin für berufliche Rehabilitation und Teilhabe, schmunzelnd. Stolz macht mich das nicht, sondern nachdenklich.

Wie ist es, mit einer Behinderung zu leben?
Rund um den Internationalen Tag der Menschen mit Behinderung veranstaltet das Reha-Team der Bundesagentur für Arbeit jedes Jahr im Dezember die „Woche der Menschen mit Behinderungen“. Davon hatte ich gehört. Dieses Jahr habe ich mich entschlossen, an einer dieser Veranstaltungen teilzunehmen und einen Selbsttest zu machen.
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Ich möchte verstehen, wie es sich anfühlt, mit einer Seh-, Hör-, psychischen oder körperlichen Behinderung zu leben. Was bedeutet Inklusion in der Praxis? Wo gibt es noch Barrieren, obwohl wir theoretisch doch so fortschrittlich sind?

Ein Tag in der Welt der Inklusion in Velbert
Ich betrete also eine Welt, die für mich oft unsichtbar bleibt, obwohl ich doch ein Teil von ihr bin. Warum ist das so? Christiane Streckmann, die seit 2009 mit leicht-, mittel- und schwerbehinderten Menschen in der Agentur für Arbeit zusammenarbeitet, erklärt: „Behinderung ist immer noch ein Tabu-Thema. Viele Menschen scheuen sich, darüber zu sprechen – das muss sich ändern.“

Als ich mich in einen Rollstuhl setze, erfahre ich das hautnah. Als ich mich von Raum zu Raum damit fortbewege, muss ich ständig mein Umfeld im Blick behalten. Meine Mitmenschen reagieren sehr unterschiedlich: Manche ignorieren mich einfach, als wäre ich unsichtbar. Andere machen einen Bogen um mich. Und es gibt auch diejenigen, die mich nur als lästiges Hindernis wahrnehmen.
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Christiane Streckmann bringt es auf den Punkt: „Wenn die Menschen nicht selbst betroffen sind, denken sie auch nicht über Behinderungen nach.“ Das zeigt, wie wichtig es ist, das Thema stärker in den öffentlichen Diskurs zu bringen.
Was bedeutet das Wort „Inklusion“ in der Praxis?
Ich setze nun Kopfhörer auf – und für 45 Sekunden tauche ich ein in eine schizophrene Welt voller durcheinandersprudelnder Stimmen. Meine Aufgabe ist es, mich darauf zu konzentrieren, wie oft der Buchstabe „q‘“ fällt. Trotz mehrmaliger Versuche schaffe ich es nicht, die Anzahl korrekt zu zählen. Frustriert von meinem Scheitern in der Simulation, verstehe ich jetzt besser, warum viele Menschen Berührungsängste mit Behinderungen haben.
„Viele haben einfach Angst“, erklärt Streckmann. „Eine Behinderung ist mit Vorurteilen verbunden, auch gegenüber uns.“ Sie erlebt in ihrem Beruf immer wieder, dass die Angst vor dem Unbekannten und die Scham vor der eigenen Andersartigkeit Menschen davon abhält, offen über das Thema zu sprechen. „Niemand spricht gern über eine Behinderung.“
„Manchmal sind es einfach nur die Gespräche, die schon helfen“, ergänzt Constanze Doerffer. „Zuhören und Tipps zu geben, die über die Zuständigkeit hinausgehen.“
Nachdem ich weitere Simulationen ausprobiert und das deutsche Fingeralphabet geübt habe, beschäftigt mich die zentrale Frage weiterhin: Warum ist Inklusion in der Theorie oft einfacher als in der Praxis?
Bundesagentur für Arbeit schärft das Bewusstsein für behinderte Menschen

Doerffer erwähnt einen wichtigen Punkt: „Das fängt schon am Bahnhof an, wenn es nur einen defekten oder gar keinen Aufzug gibt. Da kommt man auch mit einem Kinderwagen nicht weiter.“ Tatsächlich gibt es solche Hindernisse überall – in Bildungseinrichtungen, auf Gehwegen, in öffentlichen Verkehrsmitteln. Zwar loben wir den Fortschritt, aber die Realität zeigt: Inklusion ist in der Praxis noch lange nicht für alle Realität geworden.
Als ich an einem hohen Bordstein an einer nicht-akustischen Ampel stehe, wird mir klar: Inklusion beginnt bei uns selbst. Wenn wir aktiv Bereitschaft und Verständnis zeigen, braucht es nicht nur einen internationalen Tag der Menschen mit Behinderung, um eine Welt wahrzunehmen, in der wir zwar alle leben, die wir aber viel zu selten sehen.