Velbert. Immer noch gibt es in Deutschland Menschen, die unter prekären Bedingungen arbeiten müssen. Selten trauen sie sich, um Hilfe zu bitten.
Juri kommt aus Osteuropa. Seit einigen Monaten lebt er in Deutschland in einer Art Wohngemeinschaft, arbeitet den ganzen Tag. Pausen hat er nicht und seine Bezahlung ist mehr als schlecht. Mindestlohn? Fehlanzeige. Eines Tages erzählt Juri (der Fall wurde redaktionell anonymisiert) in gebrochenem Deutsch einem Nachbarn von seiner Situation. Dieser wird hellhörig. Auch wenn Juri in seinen Beschreibungen nicht konkret wird, ahnt der Nachbar, dass hier mit den Arbeitsverhältnissen des Mannes etwas nicht stimmen kann.
Juri wird bei seiner Arbeit ausgebeutet. In Velbert findet er Hilfe
Er bietet seine Hilfe an und vereinbart bei der Velberter Beratungsstelle Arbeit einen Termin. Dort berichtet Juri in gebrochenem Deutsch, dass er aus ärmlichen Verhältnissen stammt und auf Vermittlung seines Arbeitgebers zum Arbeiten nach Deutschland gekommen ist.
„Die Arbeit ist schwer und anstrengend, doch ich brauche das Geld für meine Familie in der Heimat“, gesteht er. Sein Arbeitgeber habe ihm zudem ein Zimmer in einem seiner Häuser vermittelt. Es sei zwar nicht so schön, sich eine Wohnung mit mehreren Männern zu teilen, aber ein eigenes Zuhause sei zu teuer. Seinen Lohn würde er bekommen, aber manchmal müsse er darauf warten und mehrfach nachfragen.
In Deutschland gibt es einen gesetzlichen Mindestlohn und auch klare Arbeits- und Menschenrechte. Doch gerade Menschen, die aus schlechten wirtschaftlichen Situationen aus dem Ausland kommen, werden von Arbeitgebern ausgebeutet. Besonders schlimm: „Sie kennen ihre Rechte nicht und sie haben Angst davor, wenn sie etwas sagen, dass dann die Arbeitsverhältnisse noch schlechter werden oder aber sie wieder zurück nach Hause müssen“, erklärt Annika Wosch, die als Sozialpädagogin bei der Bepro berät.
Die Beratungsstelle Arbeit im Kreis gibt es in Velbert, Mohnheim und Erkrath
Die Mitarbeiterin bittet Juri darum, seinen Arbeitsvertrag, seine Lohnabrechnungen und seinen Mietvertrag mitzubringen. Zwar sind die Dokumente nur teilweise vorhanden, aber der Verdacht erhärtetet sich, dass Juri sich tatsächlich in einer prekären und ausbeuterischen Beschäftigung befindet. Eine Straftat! Die Mitarbeiterinnen der Beratungsstelle Arbeit helfen Juri. Mittlerweile hat er eine tariflich-bezahlte Beschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber und konnte dank der Hilfe seines Nachbarn in ein Appartement umziehen.
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Annika Wosch weiß, wie wichtig diese Hilfe für Menschen in solchen Situationen ist, doch dass sie meist gar nicht den Weg in die Beratungsstelle finden. Dank des aufmerksamen Nachbarn von Juri konnte ihm geholfen werden, doch viele Menschen werden weiter von ihren Arbeitgebern ausgebeutet und schweigen. Nicht immer nur sind es schlechte Bezahlung, überlange Arbeitszeiten, überhöhte Vermittlungsgebühren und Mietzahlungen, gefährliche Arbeitsbedingungen oder das Vorenthalten des Lohns. „Manchmal sind es auch kleinere Dinge, bei denen man genau hinschauen muss“, erklärt die 36-jährige Expertin. „Überstunden sind beispielsweise oft ein Thema.“ Auch finden Arbeitgeber immer wieder eine Möglichkeit, geltende Gesetze geschickt zu umschiffen: „Beispielsweise jemanden als Minijobber anzustellen und in Vollzeit arbeiten zu lassen“, erklärt sie.
Arbeitsvertrag vor Unterzeichnung gründlich lesen
Generell rät sie, bevor man ein Arbeitsverhältnis eingeht: „Den Arbeitsvertrag nie direkt unterschreiben und stets gründlich lesen.“ Und: „Nie ohne Arbeitsvertrag eine Tätigkeit beginnen.“ In jedem Vertrag, das erklärt sie weiter, muss stehen, wie viel Stunden gearbeitet wird, wie viel Urlaubsanspruch der Mitarbeitende hat und natürlich auch, wie hoch der Lohn ist. „Wenn einem etwas komisch vorkommt, lieber die Finger davon lassen“, empfiehlt sie, auf das eigene Bauchgefühl zu vertrauen. „Auch im Vorfeld können wir über Verträge drüberschauen.“ Rechtsberatung allerdings, das bietet die Beratungsstelle nicht an. „Wir kooperieren auch mit Anwälten und Dolmetscherrn.“
Weitere Infos zur Beratungsstelle Arbeit
Die Beratungsstelle Arbeit wird von der Bepro Velbert im Kooperationsverbund mit dem SKFM Monheim am Rhein und Erkrath angeboten. In Velbert findet die Beratung an der Dürerstraße 16 statt. Zu erreichen ist Bepro Velbert unter 020512088616 oder per Mail Ausbeutung am Arbeitsplatz: beratungsstelle.arbeit@bepro-velbert.de. Die Beratungsstellen Arbeit sind ortsnahe Anlaufstellen für arbeitslose oder von Arbeitslosigkeit bedrohte Menschen. Sie werden aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) und des Landes NRW gefördert und sind in allen 53 Kreisen und kreisfreien Städten des Bundeslandes zu finden.
Am Montag, 7. Oktober, findet der jährliche „Welttag für menschenwürdige Arbeit“ (World Day for decent work) statt. Bei der Bepro wird an diesem Tag einen Infostand im Gebrauchtwarenhaus (Kaiserstr. 23) geben.
Wer betroffen ist, kann zur offenen Sprechstunde kommen oder aber auch telefonisch einen Termin vereinbaren. Innerhalb von ein bis zwei Wochen bekommen Hilfesuchende einen Termin. Bis dahin sollten sie aber ihrer Tätigkeiten weiter nachgehen, „es sei denn, die Verhältnisse sind so schlimm, dass es gar nicht mehr geht.“ Anika Wosch weiß aber: „Hier in Velbert sind solche Fälle wie der von Juri eher selten. Meist geht es eher um kleinere Unstimmigkeiten im Vertrag.“