Neviges. Stadtgeschichte in Bildern: Jürgen Oberwinster aus Velbert-Neviges besitzt über 700 alte Fotos und zahllose Postkarten. Und die Sammlung wächst.

Seine Ordner sind sortiert nach Straßennamen, Firmen, Anlässen und Vereinen. Der Inhalt ist von unschätzbarem Wert und lässt wohl die Augen eines jeden „Einheimischen“ aus Neviges und Tönisheide leuchten. Und auch Jürgen Oberwinster selbst hat einen „Riesenspaß“ an seinem Hobby, wie er selbst strahlend sagt – hätten ihn doch schon als kleiner Junge die alten Postkarten und Bilder in der elterlichen Gaststätte „Em Oberdorp“ fasziniert. Die Passion ist geblieben: Heute besitzt Jürgen Oberwinster mehr als 700 historische Fotos in Papierform, fein säuberlich abgeheftet und beschriftet. Viele weitere müssen noch dokumentiert werden. Dazu kommen Bilder in Digitalform und etwa 90 Postkarten.

Bruder Bernd schenkte einen Bildband

Groß war das Angebot in der Drogerie von Grete Strüning in der Elberfelder Straße, neben der heutigen Post-Service-Stelle. Das Foto stammt aus den 1930er Jahren.
Groß war das Angebot in der Drogerie von Grete Strüning in der Elberfelder Straße, neben der heutigen Post-Service-Stelle. Das Foto stammt aus den 1930er Jahren. © FUNKE Foto Services | Repro: Dirk A. Friedrich

Die Leidenschaft für Stadtgeschichte scheint in der Familie zu liegen: „Hier, das hat mir mein älterer Bruder Bernd mal zum Geburtstag geschenkt, Nur für uns, das ist nie öffentlich erschienen“, sagt Jürgen Oberwinster und legt einen prachtvollen, professionell gestalteten Fotoband mit dem Titel „Neviges. Eine kleine Zeitreise in Wort und Bild“ auf den Terrassentisch – alles Fotos aus der Privatsammlung. Der stattliche Grundstock stammt aus der Gastwirtschaft „Em Oberdorp“, die Hanni und Emil Oberwinster 26 Jahre lang – von 1964 bis 1990 – an der Tönisheider Straße 13 betrieben hatten.

Karten aus dem „Herrgöttchenladen“

Blick vom damaligen Krankenhausgelände – hier entstehen Eigentumswohnungen – auf die Stadtkirche und Tönisheider Straße.
Blick vom damaligen Krankenhausgelände – hier entstehen Eigentumswohnungen – auf die Stadtkirche und Tönisheider Straße. © FUNKE Foto Services | Repo: Dirk A. Friedrich

„Mein Vater hatte schon immer Fotos mit anderen getauscht, als Wirt kannte er ja viele Leute. Und ich hab schon als Junge im Herrgöttchenladen für 20 Pfennig alte Postkarten gekauft, das weiß ich noch“, erinnert sich Jürgen Oberwinster, der bis zu seinem Vorruhestand bei der Post beschäftigt war. Mit „Herrgöttchenladen“ sind die zahlreichen Devotionalien-Läden an der Pfarrkirche gemeint, die mittlerweile alle geschlossen sind. Eine kleine Auswahl an Kreuzen und Karten gibt’s mittlerweile nur noch im Domladen der katholischen Kirchengemeinde Maria, Königin des Friedens. Als Erwachsener, so erzählt der Hobby-Heimatforscher, habe er auch so einiges auf der Münzbörse in der ehemaligen Stadthalle gekauft: „Da gab’s neben Briefmarken nämlich auch ab und zu alte Postkarten.“

Guter Rat von Frau Nachbarin

Hanni Oberwinster (r.) und Auszubildende Traudl im Jahr 1954 im damaligen Konsum an der Wilhelmstraße. Hier war Jürgen Oberwinsters Mutter beschäftigt, bevor die Eheleute 1964 die Gastwirtschaft „Em Oberdorp“ eröffneten.
Hanni Oberwinster (r.) und Auszubildende Traudl im Jahr 1954 im damaligen Konsum an der Wilhelmstraße. Hier war Jürgen Oberwinsters Mutter beschäftigt, bevor die Eheleute 1964 die Gastwirtschaft „Em Oberdorp“ eröffneten. © FUNKE Foto Services | Repro: Dirk A. Friedrich

Was Oberwinster, auch Mitglied des Bergischen Geschichtsvereins, vor allem wichtig ist: „Ich möchte alles sauber dokumentieren. Und am besten immer genau wissen, wer drauf ist, wann das Bild entstanden sein könnte.“ Gefragt sind da Nevigeser, die viele Leute kennen beziehungsweise kannten – wie die Familie Wassermann gleich nebenan . Wenn Jürgen Oberwinster mit einem Karton voller Fotos am Gartenzaun steht, dann weiß Marion Wassermann: Jetzt wird es ernst, Arbeit im Anmarsch. Insgesamt 90 Jahre lang, bis zur Schließung im Jahr 2000, führten ihre Großeltern, Eltern und auch sie selbst das bekannte Haushaltswarengeschäft Lathe. „Somit kennt Frau Wassermann sehr, sehr viele Nevigeser und auch alte Häuser, das ist prima.“ Ganz abgesehen davon, dass so tolle Nachbarn einfach wunderbar seien.

Das „Bullenkloster“ ist jetzt Altenheim

Weitere Fotos gesucht

Wer alte Aufnahmen aus Neviges und Tönisheide hat: Jürgen Oberwinster freut sich auf weiteren Zuwachs für seine Sammlung.Die Fotos kommen nicht weg, so wird versichert. Er scanne die Fotos ein und bringe sie am gleichen Tag zurück. Kontaktaufnahme unter 02053 41237 oder per Mail, die Adresse lautet: j-oberwinster@web.de. Die WAZ wird in lockerer Reihenfolge noch weitere Fotos von Jürgen Oberwinster veröffentlichen.

Und wenn gar nichts hilft, die Häuserfront ein Rätsel bleibt, dann stiefelt Jürgen Oberwinster eben selbst los – immer das besagte Foto in der Hand, den Blick gerichtet auf Giebel, Fenster. „Und ich frag dabei auch Leute, das hilft auch.“ Doch nicht nur die Vergangenheit, auch die Gegenwart und Zukunft findet der begeisterte Hobby-Fotograf hochspannend: „Wenn Häuser abgerissen oder Grundstücke neu bebaut werden, dann halte ich das fest, stelle auch Collagen Vorher-Nachher zusammen.“ Und wer weiß schon, dass das heutige Seniorenheim Domizil an der Emil-Schniewind-Straße einst ein Wohnheim für Junggesellen war? „Im Volksmund hieß das Bullenkloster“, meint Jürgen Oberwinster verschmitzt.

Irgendwann in ferner Zukunft werde er mal seinen Schatz dem Stadtarchiv vermachen, „wir haben keine Kinder und es soll ja auch nichts wegkommen“. Aber bis dahin ist noch ganz viel Zeit, hat Jürgen Oberwinster, dessen zweites großes Hobby der Garten ist, noch jede Menge zu forschen, zu sichten und zu tun. Und auch Frau Nachbarin wird es nicht langweilig werden.