Velbert. Viele Velberter strömen jeden Tag ins Testzentrum der Stadtgalerie. Die Mitarbeiterinnen kämpfen gegen das Chaos – und gefährden sich selbst.
Michelle tippt mit ihrem weißen Sneaker auf eine Markierung vor dem Testzentrum in der Stadtgalerie. Die sieben Menschen am Eingang stehen dicht gedrängt – und es kommen immer mehr. Michelle sagt die Aufforderung an diesem Nachmittag zum gefühlt hundertsten Mal: „Halten Sie Abstand, bitte!“ Aus einer Testkabine eilt die Mitarbeiterin Denise zu Michelle, seit fünf Stunden schiebt sie jetzt Wattestäbchen erst in den Mund, dann in die Nase der Leute. „Hier sind zu viele, du musst auch testen, Bruder“, sagt Denise. „Wenn ich vom Eingang weggehe, stürmen die Leute rein.“
Seitdem Tests wieder kostenlos sind und vor allem seitdem der Bundestag am Mittwoch die 3G-Regel ausgeweitet hat, steigt die Nachfrage nach Tests extrem. Michelle erinnert sich an eine Schlange, die bis an die Rolltreppe der Stadtgalerie reichte, über 30 Meter lang. Vorher seien es etwa 70, jetzt um die 300 Tests pro Tag. Das Gesundheitsamt bestätigt den Eindruck. Eine Sprecherin sagt, derzeit öffnen wieder viele neue Testzentren. Auf Michelle und den anderen vier Mitarbeiterinnen lastet ein hoher Druck: Ohne sie können Menschen in Velbert – wenn sie nicht geimpft sind – in keinen Bus einsteigen, nicht zum Arzt gehen und nicht arbeiten. Gelingt es ihnen, den Ansturm in geregelte Bahnen zu lenken?
Im Testzentrum in der Velberter Stadtgalerie herrscht Chaos
Michelle verlässt den Eingang und eilt in eine der beiden Testkabinen. Auf dem Weg ruft sie zu Fanta, die eigentlich am Tresen Menschen registriert, sie solle jetzt den Eingang kontrollieren: Halten die Neuankömmlinge Abstand? Haben sie sich online angemeldet? Und vor allem: Dürfen sie noch rein? Denn eigentlich dürfen sich im Testzentrum nur zehn Kunden aufhalten. Doch schon jetzt stehen ein Dutzend Personen am Tresen und es bleibt nur ein anderer Mitarbeiter, der sich um die kümmern kann.
In der Kabine steigt Michelle in einen blauen Overall, streift Plastikhandschuhe über und befestigt an ihrer Stirn einen Schutzschirm. Währenddessen keifen sie und Denise sich an. Die Schreie hallen durch das ganze Testzentrum. Dann desinfiziert Michelle den Stuhl und Tisch in ihrer Kabine und ruft: „Der Nächste, bitte!“ Sie dreht sich zu mir: „So ist das hier, die Nerven liegen blank, das ist scheiße.“
Eine Mitarbeiterin des Testzentrums arbeitet, obwohl sei frei hätte
Michelle, Denise, Fanta – eigentlich heißen sie anders, aber sie wollen ihre echten Namen nicht in der Zeitung lesen. Erstens, weil das Klima im Team eh schon überreizt sei. Zweitens, das Chaos soll nicht auf sie zurückfallen. Die Mitarbeiterinnen sind alle Anfang 20 – und man muss sagen, ohne sie würde hier alles zerfallen. Das Testzentrum erinnert in diesen Minuten an die Titanic, die den Eisberg gerammt hat. Sie ist nur noch nicht gekentert, weil die jungen Frauen so hart arbeiten.
Sie machen kaum Pausen. Fanta hätte heute eigentlich frei, sie hilft trotzdem beim Testen, weil sie ihr Team in dieser Lage nicht allein lassen will – ohne dafür bezahlt zu werden. Das System ist so: Zwei arbeiten in den Testkabinen, zwei am Tresen, eine sorgt für Ordnung.
Ein großes Problem sei, dass nur etwa 15 Prozent der Kunden einigermaßen Deutsch sprechen würden, sagt Michelle. Aber sie weiß sich zu helfen: Spricht jemand nur Türkisch, ruft sie den Verkäufer von gegenüber, er dolmetscht gerne. Spricht jemand nur Griechisch, ruft sie den Gemüseverkäufer, der an der Alten Kirche sein Geschäft hat.
Ständig schleichen Menschen ins Testzentrum, obwohl nur zehn gleichzeitig rein dürfen
Ein weiteres Problem: Viele Besucher vereinbaren online keinen Termin, sie kommen einfach so vorbei. Dann muss das Testzentrum sie im System eintragen: Name, Adresse, Geburtsort und so weiter. Das dauert. Wenn dann morgens und am frühen Abend viele gleichzeitig einen Test machen wollen, wird es hektisch. So wie jetzt.
Fanta ist es nicht gelungen, den Eingang zu kontrollieren. Mindestens 30 Leute stehen vor dem Tresen. Vor dem Eingang des Testzentrums treffen immer neue Leute ein. Während es Fanta schafft, fünf rauszuschieben, schleichen an den Rändern des Eingangs zwei neue rein.
In der Schlange vor dem Tresen steht eine Frau, die nur ihre Initialen nennt, G. J. Sie brauche den Test für den Flieger, tags drauf gehe es für sie nach Mallorca. „Es fehlt hier komplett das System“, sagt J. Sie wurde innerhalb von fünf Minuten drei Mal rausgeworfen. Immer wieder würden die Schlangen neu sortiert. Man werde angeraunzt. J. sagt, sie wusste nicht, dass man sich online anmelden müsse. Auf der Website habe sie die Info nicht gesehen. „Ich werde so schnell nicht wiederkommen.“
Vier von fünf Mitarbeiterinnen sind nicht vollständig gegen Corona geimpft
Eine andere Frau bestätigt J’s Einschätzung. Es sei hier „falsch organisiert“. Auch sie möchte anonym bleiben. Sie arbeitet in der Pflege und warte noch auf ihre zweite Impfung. Eigentlich wollte sie sich gar nicht impfen. Dann sei ihr Chef auf sie zu gekommen und sagte, er wolle ungern in Zukunft auf sie verzichten. „Was willste machen, wenn dir die Pistole auf die Brust gedrückt wird?“, fragt sie.
Einige Stunden vor dem Ansturm holen sich Michelle und Madeleine, die am Tresen arbeitet und eigentlich auch anders heißt, einen Energydrink bei Netto. Michelle boxt Madeleine spaßhaft auf den Oberarm. „Das ist mein Impfarm“, sagt Madeleine. Bitte was? Sie ist noch nicht vollständig geimpft, obwohl sie im Testzentrum arbeitet? Von den fünf Mitarbeiterinnen des Testzentrums sind mindestens vier nicht durchgeimpft. Madeleine hat erst vor einigen Tagen ihre zweite Impfung bekommen. Michelle hatte nach der ersten Impfung im August gesundheitliche Probleme und hat Angst vor der Zweitimpfung. Fanta und Madeleine haben gar keine Impfung. Fürchten sie nicht sich zu infizieren und andere anzustecken?
Als das Testzentrum um 18 Uhr schließt, spielt das Team mit zwei Hunden
Michelle sagt: „Wir haben pro Tag zirka nur einen positiven Fall.“ Die Wahrscheinlichkeit sei also gering. Zudem würden sie sich jeden Morgen vor der Arbeit selbst testen und alle Hygienemaßnahmen befolgen. Die Sprecherin des Gesundheitsamtes sagt: „Bisher gilt nicht die Regel, dass Mitarbeiter vom Testzentrum geimpft sein müssen.“ Das Gesundheitsamt begrüße jede Impfung. Aber sofern die Mitarbeiterinnen die strengen Hygienemaßnahmen einhalten würden, sei nichts zu beanstanden. „Regel ist Regel“, sagt sie. Es liege in der Verantwortung des Arbeitgebers, dass alle Vorschriften eingehalten werden. Hin und wieder, konkret kann die Sprecherin es nicht sagen, würde auch das Gesundheitsamt die Testzentren kontrollieren, es seien aber „keine Heerscharen“ unterwegs. Michelle sagt, seitdem sie in der Stadtgalerie arbeite, also seit vier Monaten, war noch niemand vom Gesundheitsamt dort.
Der Betreiber des Testzentrums ist Peter Ricken, ein Essener Apotheker. Hat er vor, weitere Mitarbeiter einzustellen? Erklärt er dem Team, wie es die Testungen organisieren sollen? Und kontrolliert er, ob die Mitarbeiterinnen sich regelmäßig testen? Die Fragen beantwortet er nicht, bis Redaktionsschluss war er trotz mehrerer Anrufe nicht erreichbar.
Um 18 Uhr lässt Michelle das Gitter des Testzentrums runter. Feierabend. Madeleine kommt vom Tresen und sagt: „Wir haben heute 370 Leute getestet.“ So viele waren es noch nie. Kein einziger positiver Fall sei dabei. Fantas Hunde, ein Chihuahua und ein Pit Bull, trotten aus einer der vielen ungenutzten Kabinen. Die jungen Mädchen lassen sich kreischend und lachend vom Pit Bull durch das Testzentrum jagen.
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