Oberhausen. Seit 40 Jahren hilft die Frauenberatungsstelle Oberhausen. Die Expertinnen beobachten: Die Gewalt von Männern an Frauen nimmt zu - auch digital.

40 Jahre Frauenberatungsstelle Oberhausen: Hoffnung, Mut und Zuversicht

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    Als 1985 die Frauenberatungsstelle in einem Oberhausener Abrisshaus eröffnet wurde, stand auf dem Klingelschild nur „Frauenberatungsladen“. In der Zeitung stand, hier könnten sich Frauen treffen zum Klönen und Feiern. Dabei wurden auch damals Frauen von ihren Männern verprügelt, von Fremden oder Bekannten vergewaltigt und auf zahlreichen anderen Wegen gedemütigt.

    „Das Leid der Frauen fand keine Beachtung“, sagt Britta Costecki, Leiterin der städtischen Gleichstellungsstelle, bei einer Feierstunde zum 40-jährigen Bestehen der Frauenberatungsstelle im Lichtburg-Kino. „Da sind wir heute besser.“

    Ein Video, das zeigt, wie ein berühmter Rapper seine Ex-Freundin körperlich misshandelt; mutige Frauen, die Männern in Machtpositionen aus Film, Theater oder Medien sexuelle Übergriffe vorwerfen: Dies alles und die folgenden Diskurse in den Medien haben in den vergangenen Jahren dafür gesorgt, das Thema Gewalt gegen Frauen ins Bewusstsein zu bringen.

    Sabrina Rees, Leiterin der Frauenberatungsstelle Oberhausen: „Die finanzielle Decke ist zu kurz.“
    Sabrina Rees, Leiterin der Frauenberatungsstelle Oberhausen: „Die finanzielle Decke ist zu kurz.“ © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

    Nicht erst seit der MeToo-Debatte wird genauer darauf geachtet, ob und wie sexistisch oder übergriffig sich ein Mann verhält. Wird ein Fehlverhalten bekannt, kann ihn dieses nicht nur den Job kosten, sondern auch das Ansehen in der Gesellschaft. Und dennoch: 446 Mädchen und Frauen suchten im Jahr 2024 die Frauenberatungsstelle in Oberhausen auf. „Es werden jedes Jahr mehr“, sagt Sabrina Rees, die Leiterin. Nach dem Lagebild des Bundeskriminalamtes ist die Zahl der Opfer häuslicher Gewalt im Jahr 2023 um 6,5 Prozent gestiegen.

    Digitale Gewalt gegen Frauen im Internet: „Explosionsartig zugenommen“

    Mit Beratungen und Hilfen zur häuslichen Gewalt habe alles begonnen, zeichnet Sabrina Rees die Anfragen der letzten vier Jahrzehnte nach. Später sei das Spektrum um Vergewaltigungen, psychische Belastungen und Essstörungen erweitert worden. Ein großes Thema heute: digitale Gewalt. Rees: „Das hat explosionsartig zugenommen.“

    Auch bei Digital-Gewalt gehe es den Männern um die Kontrolle ihrer Partnerin. „Das, was früher nur offline stattgefunden hat, geschieht nun zusätzlich noch online.“ Hierfür gebe es viele Möglichkeiten: Von Videokameras, die heimlich in der Wohnung installiert werden bis hin zu Nacktbildern und Sexvideos, mit deren Veröffentlichung die Täter den Frauen drohen. „Es gibt auch Männer, die verlangen von ihren Frauen, mehrmals am Tag ihren Standort mit Foto zu posten, um sie komplett kontrollieren zu können.“

    Jubiläumsfeier der Frauenberatungsstelle Oberhausen in der „Lichtburg“: (v.l.) Suna Tanış  (Leiterin Frauenhaus), Katharina Runkler (Frauenberatungsstelle), Katharina Sinemus (Frauenberatungsstelle), Ulrike Sievers (Vorstand „Frauen helfen Frauen“), Cornelia Weimer (Frauenhaus), Sabine Tellmann (Vorstand „Frauen helfen Frauen“).
    Jubiläumsfeier der Frauenberatungsstelle Oberhausen in der „Lichtburg“: (v.l.) Suna Tanış  (Leiterin Frauenhaus), Katharina Runkler (Frauenberatungsstelle), Katharina Sinemus (Frauenberatungsstelle), Ulrike Sievers (Vorstand „Frauen helfen Frauen“), Cornelia Weimer (Frauenhaus), Sabine Tellmann (Vorstand „Frauen helfen Frauen“). © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

    „Unsere Arbeit ist viel umfassender geworden, viel komplexer“, sagt Sabrina Rees über den Alltag in der Beratungsstelle, die neben dem Frauenhaus das zweite Projekt des Vereins „Frauen helfen Frauen“ ist. Fünf Mitarbeiterinnen, die sich vier Vollzeitstellen teilen, könnten diesen enormen Anforderungen kaum gerecht werden.

    „Ich habe ein tolles Team“, stellt Rees klar. Daran liege es nicht. Hoch qualifiziert seien die Frauen, darunter eine Sozialpädagogin, Psychologin, Sozialarbeiterin und Erziehungswissenschaftlerin. Alle sind sie in systemischer Therapie ausgebildet, einige zusätzlich in Trauma-Therapie.

    Frauenberatungsstelle in Oberhausen: Finanzierung wackelt seit 40 Jahren

    Doch die Finanzierung sei wacklig – auch nach 40 Jahren noch. Zu 85 Prozent wird das Beratungsangebot, zu dem auch Workshops in Schulen, die Suche nach Kooperationspartnern, das Bewerben des Angebots und Eintreiben von Spendengeld gehört, vom Land NRW finanziert. Den Rest übernimmt die Stadt Oberhausen, die auch eine der vier Stellen bezahlt. Das Problem: „Die Kosten sind durch Inflation und Tariferhöhungen gestiegen. Das Geld reicht nicht.“

    In diesem Jahr, das stehe im Januar bereits fest, wird eine Lücke von 47.000 Euro entstehen. Sabrina Rees ist verzweifelt. Anstatt Frauen zu beraten, werde sie einen Teil ihrer Arbeitszeit in die Spenden-Akquise stecken müssen, sagt sie.

    Die Frauenberatungsstelle in Oberhausen arbeitet mit vielen Kooperationspartnern zusammen.
    Die Frauenberatungsstelle in Oberhausen arbeitet mit vielen Kooperationspartnern zusammen. © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

    „Wir könnten noch so viel mehr machen“, sagt Sabrina Rees, „wenn wir nur mehr Personal hätten.“ Der Stadt mache sie dabei keinen Vorwurf, im Gegenteil: Sie lobt die gute Zusammenarbeit und Großzügigkeit einer Kommune, die überall Löcher zu stopfen hat. Der Bund müsse eine Lösung finden, fordert sie.

    Einige Stunden nach unserem Gespräch scheint ein Wunder geschehen zu sein: Die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU, SPD und Grünen einigen sich auf das Gewalthilfegesetz. Der Bundestag kann es wohl noch vor der Neuwahl verabschieden. Das Gesetz sieht vor, dass von Gewalt betroffene Frauen einen Rechtsanspruch auf einen Schutzplatz erhalten und sich der Bund an der Finanzierung von Frauenhäusern und anderen Hilfen mit 2,6 Milliarden Euro beteiligt.

    Als Sabrina Rees die gute Nachricht erfährt, ist sie vorsichtig optimistisch, denn: „Die Lage wird sich nicht von heute auf morgen verbessern.“ Doch auch ihr dürfte ein Stein vom Herzen fallen.

    Ihre Arbeit könnte demnächst ein kleines bisschen leichter sein. Sie könnte sich voll und ganz den Frauen widmen, die so mutig sind, in der Beratungsstelle Hilfe zu suchen. Denn das sei es, was die Beraterinnen bewunderten: diesen Willen, sich zu verändern und zu entwickeln. Die Frauen dabei zu begleiten, sei „ein toller Job“.

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