Oberhausen. Immer weniger Personal, immer mehr Pflegebedürftige: Mit tollen Ideen drehen die städtischen Altenheime in Oberhausen diesen Trend jetzt um.
Kein Personal, aber die Anzahl der pflegebedürftigen Senioren wächst: Die Alteneinrichtungen der Stadt Oberhausen (ASO) wollten dabei nicht tatenlos zusehen und haben sich etwas einfallen lassen, um diesen Trend umzukehren. Mit Erfolg.
Sie nutzen alle Kanäle, auf denen junge Leute unterwegs sind. Und sie setzen in der Pflege neue Maßstäbe, indem sie ihre Auszubildenden zu ASOnauten machen. In dieser Wortschöpfung verschmelzen die Welten der Astronauten mit denen des Pflegeberufes - und das ganz bewusst. „Denn Pflege ist wie eine Reise zu den Sternen und viel mehr als satt, sauber, trocken, das wollen wir gerade Schulabgängern klar machen“, erläutert der kreative Kopf der ASO, Sebastian Dey.
Die Idee wurde bei einem Waldspaziergang geboren. Der Slogan zeigt, es geht um viel: „Komm ins Team und werde ASOnaut. Ein kleiner Schritt für einen Menschen, eine große Chance für unsere Gesellschaft!“ Sebastian Dey, bei der ASO für den Bereich Social Media zuständig und nicht nur in Oberhausen seit 2012 als einstiger Eurovisions-Sänger bei „Unser Star für Baku“ bekannt, will so Jugendliche, aber auch Quereinsteiger ansprechen.
Kurz nach der Corona-Pandemie habe es eine große Nachfrage nach Ausbildungsplätzen gegeben, ergänzt ASO-Geschäftsführerin Petra Stecker. Als sie 2020 die Leitung der städtischen Alteneinrichtungen übernahm, „gab es gerade einmal zwei Auszubildende.“ Heute sind es schon 25. Doch auch damit gibt sich das ASO-Team nicht zufrieden: „Wir wollen auf jährlich rund 40 kommen.“
Eine ganze Generation an Großeltern gefunden
Lara Rantjes hat im Haus Bronkhorstfeld bereits mehr gefunden, als nur eine Ausbildungsstelle zur Pflegefachkraft. „Ich habe früher nie so einen engen Kontakt zu meinen Großeltern gehabt und hier habe ich plötzlich eine ganze Großelterngeneration um mich herum.“ Eine der Bewohnerinnen sei ihr besonders ans Herz gewachsen. „Sie hat mir einmal gesagt, ich sei ihr so wichtig geworden, wie eine Tochter“, sagt die 18-Jährige leise und wischt sich verstohlen eine Träne aus den Augen.
„Die alte Dame ist inzwischen verstorben“, erklärt Ausbildungskoordinatorin Anna Chrobok. Für die junge Auszubildende im ersten Lehrjahr war das eine harte Erfahrung. „Aber ich habe mich in meinem Team gut aufgehoben gefühlt“, erzählt Lara Rantjes und bringt damit das Kernthema des neuen Ausbildungskonzeptes am besten auf den Punkt: Niemand tritt seine Ausbildungsreise alleine an und bei Problemen fängt das Team alle auf.
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Erfahrene Fachkräfte stehen dem Nachwuchs jederzeit zur Seite. „Wir haben eine Whatsapp-Gruppe gebildet und unsere Auszubildenden wissen, sie können uns immer ansprechen“, betont Anna Chrobok. „Die Trauer um den Verlust der alten Dame haut dich um? Nimm dir Zeit, geh nach draußen oder sprich mit uns“, riet sie Lara. Es gibt zu Hause Probleme? „Wir helfen auch dabei, wenn wir können“, betont Praxisanleiterin Jana Koch. Mike Weiße machte genau diese Haltung die Entscheidung, mit 50 Jahren noch einmal eine Ausbildung zum Pflegefachassistenten zu beginnen, leicht.
Für einen Reisedienst hatte er zuvor bereits Seniorinnen und Senioren zur Tagespflege gebracht. Die Fahrten, sagt er, bereicherten ihn. „Ich pflegte zu Hause gerade meine schwerkranke Frau und es ging mir oft nicht gut.“ Erst langsam habe er begriffen, wen er da hinter sich sitzen hatte. „Die meisten waren im Krieg groß geworden, hatten Hunger und Not erlebt und jetzt machten sie mir mit ihrer Lebensfreude in meiner schweren Zeit so viel Mut.“ Als er sich bei der ASO erkundigte, ob er nicht mehr machen könnte, traf er auf offene Türen.
Auszubildende erzählen in Podcasts aus ihrem Alltag
Pflegefachassistentin will auch Andrea Weinberger jetzt werden. Das war nicht immer so. Beworben hatte sie sich bei der ASO als Praktikantin im Bereich Hauswirtschaft. Doch ihr großes Einfühlungsvermögen ließ die Ausbildungsleiterinnen hellhörig werden. „Du kannst mehr, mach was draus!“, forderten sie die 46-Jährige schon bald auf - und die ergriff ihre Chance. „Ohne diese Unterstützung hätte ich mir das nie zugetraut“, räumt sie ein und beschreibt damit das zweite Standbein des neuen Ausbildungskonzeptes: Hinschauen und Mut machen.
Werbung auf allen Online-Kanälen gehört für die ASO nun ebenfalls zum Alltag, sie produzieren Podcasts, lassen Auszubildende dort aus ihrem Alltag erzählen, lassen Bewohner aus ihrem Leben plaudern - und sie schaffen für ihre neuen Mitarbeitenden eine sichtbare Identität: Alle erhalten zum Start ihrer Ausbildung ein Sweatshirt in bunten Farben. Mit dem Logo „ASOnaut“ in der Mitte drückt es den Teamgeist aus. Auch Ausflüge stärken das Gemeinschaftsgefühl. „Wir waren schon im Moviepark in Bottrop, jetzt geht es bald zur Topgolf-Anlage nach Oberhausen“, sagt Sebastian Dey. Sich gegenseitig kennenlernen, zusammenwachsen und unterstützen sind Schritte auf dem Weg zu diesem großen Ziel: „Wer hier ausgebildet wird, soll sich so wohlfühlen, dass er bleibt.“
Zehn Auszubildende für den Pflegebereich sucht Petra Stecker pro Haus alljährlich. „Denn nur mit ausreichend Fachkräften an Bord können wir die Arbeitsbedingungen für unsere insgesamt 280 Pflegenden zum Wohle unserer Bewohnerinnen und Bewohner wieder so gestalten, dass alle ihren Beruf möglichst bis zur Rente ausüben möchten.“ Die Reise zu diesem Pflege-Mond - bei der ASO hat sie jetzt begonnen. Interessierte können sich auf der Webseite der ASO gGmbH über die Ausbildungsmöglichkeiten informieren und sich direkt online bewerben. Die neuen Azubi-Plätze sind bereits ausgeschrieben.