Oberhausen.. Horst Seifert überlebte als Zehnjähriger jene Bombennacht, die Meiderich-Berg „egalisierte“. Der jüngste von sechs Brüdern fürchtete „das Ende“ im engen Keller. Zwei Söhne der Familie starben als Soldaten, „ein Bruder kam schrecklich versehrt zurück“, erzählt der heute 80-Jährige.
„Es bewegt ihn so“, sagt Elfriede Seifert voller Mitgefühl, „mein Mann muss immer wieder davon erzählen“. Für Horst Seifert ist das „Nie wieder!“ ganz wichtig. Der 80-Jährige ist empört, wenn Gleichaltrige leichthin schwadronieren, es müsste mal wieder einen Krieg geben. Darum hat er sich zum Gespräch gemeldet.
Seit 36 Jahren wohnen die Eheleute in einem Dümptener Reihenhaus mit Blick in ein grünes Idyll. Der gebürtige Meidericher lobt die „junge Stadt“ Oberhausen, die so großzügig plante. Denn der Garten der Seiferts hat Tiefe – mit noch mehr Grün ringsum. Lange genug hatte die Nachkriegs-Wohnungsnot für die Familie gedauert: bis 1965. Eine Langzeit-Folge der Bombennächte im Revier.
Horst Seifert war der jüngste von sechs Brüdern – der einzige, der nicht vom „Barras“ eingezogen wurde. Seine Mutter wehrte sich heftig, als ihr Jüngster, der erst Neunjährige, 1943 zur Kinderlandverschickung ins ländliche Oberfranken musste. „Ich war ja der Letzte zu Hause.“ Horst Seifert sollte dort den „Pimpfen“ der Hitlerjugend beitreten. Bevor es soweit war, kehrte er aber zurück ins Meiderich der Sirenenalarme in jenem Teil der Walzstraße, der heute Gelderblomstraße heißt.
„Erst kommen die Scheinwerfer.“ Das Drama am Himmel hat sich ihm eingeprägt. „Sie formierten sich auf ein Flugzeug.“ Dann habe man die Flak gehört, sah die „Wölkchen“, wenn die Flugabwehr traf. Die eigene Wohnung in den stattlichen Reichsbahn-Häusern der 1920er Jahre – sein Vater war Rangiermeister und mit über 60 Jahren zu alt für die Wehrmacht – war der Familie bereits bei einem frühen Luftangriff ausgebrannt.
Man zog zu Verwandten, ebenfalls in der Walzstraße. Dann kam der 14. Oktober 1944 – „ein Angriff ohne Alarm“, sagt Horst Seifert. „Wir schliefen ja immer angezogen und ich hatte mein kleines Aktenköfferchen mit den wichtigsten Sachen neben dem Bett stehen.“
Das „Blutgeld“ musste er aufheben
Den Alarm gegen Mitternacht gab seine Mutter: „Raus, raus, da brennen schon die Tannenbäume“ – die Magnesiumlichter. Doch in den Bunker der Walzstraße, den von der gesamten Nachbarschaft ausgebauten Keller einer Gaststätte, schaffte es die Familie nicht mehr. Nur noch bis in den eigenen Keller. Dort harrten sie aus: sechs Erwachsene und zwei Kinder.
„Immer wieder kamen die Druckwellen“, erzählt Horst Seifert. „Alle im Keller haben gebetet.“ Der damals Zehnjährige, seit wenigen Wochen zurück aus dem Fichtelgebirge, fürchtete: „Das ist das Ende.“ Es hätte das Ende sein können, denn hinter dem Haus fand sich – nachdem die Angriffswellen überstanden waren – eine 20 Zentner-Bombe, die nicht explodierte.
„Meiderich-Berg war in dieser Nacht egalisiert worden“, sagt Horst Seifert. „Unser Haus mit fünf Familien war stehen geblieben.“ Das Kind sah mit an, wie die Leichen zum Sammelpunkt, der katholischen Kirche, gebracht wurden. „Viele waren in den Kellern getroffen worden – oder sie wurden gefunden in ihren Nachtkleidern.“ Der Junge sah einen Mann, einen Ascheneimer tragend. Er sagte: „Da drin ist meine Familie.“
Zwei Söhne der Familie Seifert starben als Soldaten, „ein Bruder kam schrecklich versehrt zurück“. Sein 64-jähriger Vater habe bei der zweiten Todesnachricht „dem Parteimenschen das Blutgeld vor die Füße geworfen“. Der alte Rangiermeister musste sich bücken und das Geld wieder aufheben, sonst wäre er verhaftet worden.
Enge und Wohnungsnot blieben lange
Die schon vor der Bombennacht des 14. Oktober 1944 ausgebombte Familie Seifert musste eng zusammen rücken, „vier Erwachsene und ich in einem kleinen Siedlungshäuschen“, wie Horst Seifert sagt. Dennoch erinnert er sich gern an ein „internationales Haus“, denn: „Mutter hatte ein großes Herz.“ Belgische und ukrainische Fremdarbeiter waren hier willkommen – und ein „lieber“ Polizist, der angesichts so viel Internationalität beide Augen zudrückte.
Die Enge blieb bis weit in die Nachkriegszeit; die Familie musste sogar fürchten, „auf der Straße zu stehen“, als die Pensionierung des Vaters anstand. „Das ganze Leben war ein Kampf“, sagt Horst Seifert.
Der jüngste Sohn hatte fast zwei Jahre Schulzeit verloren. 1948 fand Horst Seifert eine Lehrstelle als Elektriker; später arbeitete er für Jahrzehnte als Kältetechniker – mit internationalen Montage-Einsätzen von Irak bis Madagaskar.
Doch die Wohnung des jungen Ehepaares blieb lange ein provisorisch ausgebauter Dachboden: „33 Quadratmeter mit Kämmerchen von fünfeinhalb Quadratmetern. Dafür reichte eine Tapetenbahn.“
Erst nachdem 1964 ihr Sohn Joachim zur Welt gekommen war, fanden auch Elfriede und Horst Seifert eine großzügige Eigentumswohnung mit Gartenblick: Es war ihr Umzug nach Oberhausen-Dümpten. Bei der Finanzierung ihres Zuhauses hatte die Familie noch teures „Lehrgeld“ zahlen müssen. Sie wissen, wie kostbar ihnen die eigene Wohnung ist.