Mülheim. An das Schicksal einer Saarner Metzgersfamilie, der Heimann-Schwestern aus Stadtmitte und anderer Mülheimer wird auf liebevolle Weise erinnert.
Sie erinnern an Mülheimer NS-Opfer: Bisher wurden 175 sogenannte „Stolpersteine“ in der Stadt verlegt. Jetzt haben der Rotarier Clemens Miller und die Stadtarchivarin Annett Fercho neue Opfer-Biografien recherchiert. Sie möchten auch für Menschen, die die NS-Verfolgung traumatisiert, überlebt haben, neue Stolpersteine verlegen lassen. Deshalb bitten sie auch um Spenden aus der Bürgerschaft, um 14 neue Stolpersteine finanzieren zu können. Sie werden vor dem letzten freiwilligen Wohnsitz der NS-Opfer ins Straßenpflaster eingelassen.
Clemens Miller reinigt mit seinen Freunden vom Rotarclub Mülheim-Uhlenhorst, jeweils vor dem Holocaust-Gedenktag am 27. Januar, die Mülheimer Stolpersteine. Mit Blick auf seine biografischen Recherchen spricht er angesichts der bürokratisch planmäßigen Judenverfolgung der Nationalsozialisten, frei nach Hannah Arendt, von der „immer wieder sichtbaren Banalität des Bösen.“
Neue Mülheimer Stolpersteine sollen an Opfer des Nationalsozialismus erinnern
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Unter den neuen Opfer-Biografien findet sich zum Beispiel die Geschichte der drei Heimann-Schwestern, die bis 1940 an der Friedrich-Ebert-Straße wohnten. Damals hieß sie noch Hindenburgstraße. 1940 wurden sie in sogenannten Judenhäusern interniert. Das waren Häuser enteigneter jüdischer Mülheimer.
Von dort aus wurden 1942 nicht nur die Heimann-Schwestern in Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert. Während die 1877 in Mülheim geborenen Zwillingsschwestern Selma und Hedwig 1942 in Treblinka ermordet wurden, musste ihre 13 jüngere Schwester Frieda bis 1944 in Theresienstadt Zwangsarbeit leisten, ehe sie in Auschwitz ermordet wurde.
Verbleib eines jüdischen Mülheimers bis heute ungeklärt
Auch an die jüdischen Brüder Manfred und Dagobert Leffmann soll mit Stolpersteinen erinnert werden. 1904 und 1906 geboren, gehörten sie zu einer jüdischen Metzgerfamilie, die seit fünf Jahren in Saarn ansässig war und acht Angehörige im Holocaust verlor. Manfred wurde nach seiner Entlassung aus dem Konzentrationslager Dachau 1939 zur Auswanderung verpflichtet. Er wollte in die USA ausreisen. Doch sein Verbleib ist bis heute ungeklärt.
Sein Bruder Dagobert überlebte, weil er mit einer evangelischen Frau verheiratet war und sich ab 1944 auf einem Bauernhof in Süddeutschland verstecken konnte. Er konnte 1945 nach Mülheim zurückkehren und wieder als Metzger arbeiten. Seinen Lebensabend verbrachte er in der Eifel, wo er 1971 starb.
Langer Kampf um Wiedergutmachung
Erinnernswert ist ebenso die Lebensgeschichte der Fabrikarbeiterin, dreifachen Mutter und Großmutter Luise Rosenbaum. Als evangelische Christin 1891 geboren, geriet sie als Ehefrau des jüdischen Kohlenhändlers und Kommunisten Otto Rosenbaum ab 1933 in die Verfolgungsmaschinerie der Nationalsozialisten. Ihr Mann und ihre Tochter wurden von den Nationalsozialisten ermordet.
Ihr ältester Sohn überlebte die KZ-Haft und Zwangsarbeit. Nach dem Krieg musste sie sich nicht nur um ihren jüngsten Sohn und ihre Enkelin kümmern, sondern auch um ihre Anerkennung als NS-Verfolgte kämpfen. Erst 1952, ein Jahr vor ihrem Tod, wurde ihr eine finanzielle Wiedergutmachung gewährt.
Dramatisch: die Überlebensgeschichte der Mülheimer Familie Cahn
Dramatisch ist die Überlebensgeschichte der jüdischen Familie Cahn, an die erinnert werden soll. Der jüdische Viehhändler und Metzger Hermann Cahn musste 1935 mit seinem Sohn Josef und seiner zweiten Frau Käte nach Südamerika fliehen, wo er 1938 starb. Seine Witwe und sein Sohn Josef lebten und arbeiteten bis 1970 in Chile. Dann gingen sie aus politischen und wirtschaftlichen Gründen nach Westdeutschland, wo Käte 1972 in Berlin und Josef 1988 in Köln starben, angewiesen auf öffentliche Unterstützung.
Ihre Schwester und Stieftochter Ruth Cahn floh mit ihrem späteren Mann, dem Kaufhausbesitzer Herbert Hess, nach Südafrika. Dort verdienten sie den Lebensunterhalt für ihre beiden Kinder und sich mit Modegeschäften und einer Garnspinnerei. 1978 verließen Ruth und Herbert Südafrika und lebten mit ihrer Tochter Kathy, die den Stolperstein für ihre Eltern angeregt hat, in England. Dort starben Herbert 1995 und Ruth 2005.
Spenden machen Erinnerungskultur in Mülheim möglich
Nicht vergessen werden soll auch die jüdische Mülheimerin Trude Jonas. Anders, als ihre Eltern Karl und Martha überlebte die 1901 in Mülheim geborene und am Kohlenkamp aufgewachsene Fotografin den Holocaust, weil sie 1937 in die USA fliehen konnte. Dort lebte und arbeitete sie bis 1992 in New York.
Wer die Verlegung der neuen Stolpersteine unterstützen möchte, kann seine Spende unter dem Stichwort „Stolpersteine“ auf das Mülheimer Sparkassen-Konto der Stadtkasse IBAN: DE 78 3625 0000 0300 0001 00, BIC: SPMHDE3EXXX überweisen.
Weitere Informationen zum Projekt „Stolpersteine“ finden Interessierte online unter: www.stadtarchiv-muelheim.de
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