Mülheim. „Traumimmobilie in bester Lage“ – und keiner will sie kaufen. Warum Silke Hugo seit Jahren keinen Käufer für ihr Mülheimer Elternhaus findet.
Auf dem Dickswall ist wieder viel los. Schlagartig ruhig wird es, wenn man gleich hinter dem Forum in die Kämpchenstraße abbiegt. Über gepflegten Vorgärten ragen links und rechts Erker aus den reich verzierten Fassaden. Ein Stück bergauf säumen die ersten Straßenbäume den Weg, durch das Blattwerk bricht die Mittagsonne. Dann noch einmal links und man befindet sich in der Oberstraße. Schräg gegenüber der Polizeidienststelle liegt die Nummer 78.
Ein Reihenhaus, zwischen zwei Haustüren sind drei quadratische Säulen eingelassen, links und rechts ragen zwei spitze Fensterverdachungen hervor. Der Fassadenschmuck fällt nicht so üppig aus wie auf dem Weg hierher, anstelle floraler Muster eine zurückgenommene, geometrische Formgebung, entworfen auf der Schwelle zu einer neuen Zeit.
Zu wenig Angebot für zu viel Nachfrage: Wo hakt es nur?
An der Tür treffen wir Silke Hugo, ihr Opa hat das Haus 1933 gebaut. Bei den Luftangriffen im Zweiten Weltkrieg haben hier zeitweise 13 Mülheimerinnen und Mülheimer Zuflucht gefunden, erzählt sie. Drei Generationen ihrer Familie haben hier gewohnt. Es ist ein Haus mit Geschichte, gelegen in einer der schönsten Quartiere der Stadt. Und dennoch steht es seit zwei Jahren nun schon leer.
Die pensionierte Deutsch- und Kunstlehrerin hat hier ihre Kindheit und Jugend verbracht hat. Zuletzt wohnte nur noch ihre Mutter in dem Haus mit seinen 200 Quadratmetern Wohnfläche. Vor zwei Jahren ist sie im hohen Alter verstorben. Silke Hugo lebt in der Schweiz, ihr Bruder in Dresden. Die beiden Erben entschlossen sich, das Haus zu verkaufen. Als „Denkmalgeschützte Traumimmobilie in bester Lage“ ist es seither auf einer Immobilienplattform inseriert – bislang erfolglos. „Ich hätte nicht gedacht, dass das so schwierig ist“, sagt Frau Hugo, die auf dem Wohnzimmertisch vor sich mehrere Aktenordner ausbreitet.
Schön aber sanierungsbedürftig
Sie glaubt zu wissen, wo das Problem liegt: Es ist das historische Fischgrätenparkett im Erdgeschoss, die elegante Holztreppe, die zur ersten Etage führt, die expressionistische Fassade, all das, was dem Haus sein einzigartiges Gepräge verleiht – und deswegen unter Denkmalschutz steht. 650.000 Euro beträgt der Kaufpreis für das Reihenmittelhaus in der Oberstraße, aber wie viel wird es wohl kosten, dieses Denkmal auf Vordermann zu bringen, vor allem unter energetischen Gesichtspunkten?
Müssen die Fenster raus? Darf man eine denkmalgeschützte Fassade mit Dämmmaterial einpacken? Welche Heizsysteme kommen für ein über 90 Jahre altes Haus infrage? Und was soll das alles kosten? 200.000 bis 300.000 Euro, lauteten die Befürchtungen jener, die sich von ihr durch das Haus führen ließen, sagt Frau Hugo. Viel zu überzogen, ist sich die Hauserbin sicher. Nach ihrer Rechnung käme man auch mit einem Viertel oder Fünftel davon aus. Und außerdem gäbe es doch genügend Fördertöpfe für solche Fälle, nur sei das viel zu wenig bekannt.
Kostenvoranschlag für Basisrenovierung liegt bei 50.000 Euro
An sich könne man ja auch sofort einziehen, und dann alles, „Schritt für Schritt“, nach eigenen Vorstellungen umgestalten. Der pensionierten Kunstlehrerin schwebt eine Einrichtung mit skandinavischen Möbeln vor, „eine Mischung aus alten und neuen Elementen“. Das müssten die neuen Eigentümer aber schließlich selbst entscheiden, was auch der Grund dafür sei, dass sie und ihr Bruder das Haus nicht selber sanieren.
Vereinzelt stehen noch Möbel in den kahlen Räumen, hier und da hängt ein Bild an der Wand. Das meiste hat Silke Hugo weggegeben. Dem auf den Treppenstufen verlegten Teppich sieht man an, dass zuletzt das große Ausräumen stattfand. Im ersten Obergeschoss ist in einem Raum blutrotes Linoleum verlegt, in der Ecke steht noch ein beiges Sofa, das in den 70ern mal schick gewesen ist. Ganz oben im Dachgeschoss angekommen, blickt man in einer Kammer direkt unter die Dachpfannen.
Die Tücken des Denkmalschutzes in Mülheim
Silke Hugo hat sich einen Kostenvoranschlag für eine Basisrenovierung erstellen lassen. Der liege für Fußböden und Wänden bei 50.000 Euro. Die cremefarbig gefliesten Badezimmer sind davon ausgenommen, „zeitlos schön“ nennt Hugo die, eine Wertarbeit von Villeroy & Boch sei das, viel zu schade zum Rausreißen. Der Garten, mit dem Springbrunnen in der Mitte, den man vor lauter Gestrüpp aber kaum noch sieht, müsse natürlich auch wieder auf Vordermann gebracht werden; das könne man aber selber machen.
Mittlerweile hat sich Silke Hugo auch mit den Tücken der Denkmalpflege intensiv beschäftigt, zum Termin hat sie mehrere Antragsformulare für Fördermittel mitgebracht. In die Materie hat sie sich reingefuchst, weil sie hofft, zögernden Interessenten die Furcht vor der Materie nehmen zu können.
Ein Denkmal zum Effizienzhaus umbauen – geht das überhaupt?
Bei der Stadt Mülheim ist dafür Melanie Rimpel zuständig, die Leiterin der Unteren Denkmalbehörde. „Wir beraten Eigentümer, Interessenten und Makler und bieten gern Ortstermine an“, sagt Rimpel, mit der wir uns am Telefon verabredet haben. Wer plant, ein denkmalgeschütztes Haus zu sanieren, wendet sich am besten als Erstes an ihre Behörde. „Im Grundsatz ist es immer gut, wenn wir sehr früh mit eingebunden werden.“
Eine Fassade könne man zum Beispiel nicht einfach mit einem Wärmedämmverbundsystem einpacken, schon allein deswegen nicht, weil das historische Erscheinungsbild derselben geschützt sei. Eine Alternative könne die sogenannte Einblasdämmung sein, bei der die Wärmedämmung in den schmalen Mauerzwischenraum eingeblasen wird. Bedingung dafür ist allerdings ein zweischaliges Mauerwerk.
Energieberater mit Zusatzqualifikation helfen weiter
Geht es an die energetische Sanierung von Baudenkmälern, sei es generell „sehr wichtig, dass man sich einen Energieberater mit Zusatzqualifikation Denkmalschutz an die Hand holt und mit ihm so eine Maßnahme durchspricht“, sagt Rimpel. Die Frage sei in den allermeisten Fällen nicht, ob, sondern wie ein Baudenkmal energieeffizient werden könne. Und wie viel man bereit sei, zu investieren.
Stehen zum Beispiel die Fenster unter Denkmalschutz, gebe es drei Alternativen zum Austausch: Eine Isolierverglasung, die Erzeugung von Kastenfenstern, oder das Anbringen einer Vorsatzscheibe. Damit ließen sich dann auch gute Ergebnisse bei der Wärmeisolierung erzielen. Je nach Lösungsansatz kann das natürlich ins Geld gehen, vor allem, wenn mehrere größere Maßnahmen zugleich anstehen.
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KfW bietet Kredite zu günstigen Konditionen
Für alles, was der Energieeffizienz dient– egal, ob es um denkmalgeschützte Objekte geht, oder nicht – können Eigentümer bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) recht günstig Kredite beantragen. Das Programm „Energieeffizient Sanieren Kredit“ sieht etwa einen effektiven Jahreszins von 0,43 Prozent für ein Darlehen von bis zu 150.000 Euro vor, wobei bis zu 10 Prozent dieser Summe als Tilgungszuschuss nicht zurückgezahlt werden müssen.
Beim Thema Energieeffizienz empfiehlt Melanie Rimpel, auch ihren Kollegen Simon Temmesfeld aufzusuchen, den städtischen Klimaschutzmanager. Dessen Dezernat VI lädt einmal wöchentlich zur kostenlosen Energiesprechstunde. Aktuelle Termine finden sich auf der Homepage der Stadt. Dort kann auch individuell zu bestehenden Fördermöglichkeiten beraten werden.
Und wie wohnen Sie?
Dieser Artikel ist Teil einer neuen Schwerpunkt-Serie, zu einem der Themen unserer Zeit. Die Frage, wie wir wohnen, war selten von so großer Relevanz wie dieser Tage. Die Wohnungsnot treibt die Menschen um. Die Mieten, besonders in den Großstädten, sind in den letzten Jahren exorbitant gestiegen, ebenso die Grundstückpreise. Seit Jahren wird zu wenig gebaut, vor allem in den unteren Preissegmenten.
Wegen des Krieges in der Ukraine mussten Millionen von Menschen ihr Heimatland verlassen, über eine Million von ihnen fanden Zuflucht in Deutschland. Kommunen versuchen händeringend, immer mehr Menschen unterzubringen. Eine andere Kriegsfolge sind die gestiegenen Energie- und Rohstoffpreise. Ebenso unerfreulich ist die aktuelle Entwicklung der Bauzinsen. In Folge brach die Bautätigkeit bundesweit ein.
Wer eine bezahlbare Wohnung hat, gibt sie so schnell nicht mehr her. Und macht es sich gemütlich: In Folge der Corona-Pandemie fand ein unverkennbarer Rückzug ins Private statt. Als das öffentliche Leben still stand, brummten nicht nur die Kassen der Bau- und Gartenmärkte. Zimmerpflanzen, Home-Entertainment-Systeme, Trainingsgeräte, Profi-Kaffeemaschinen, Dekoartikel aller Art gingen weg wie warme Semmeln. Die Menschen haben sich eingerichtet in der Krise; immerhin zu Hause soll es schön sein.
Grund genug, sich dem Thema einmal intensiv zu widmen: Könnten Großwohnsiedlungen wie in den 60er- und 70er-Jahren ein Revival erleben? Welche neuen Konzepte gibt es fürs Wohnen im Alter? Wie entsteht Zusammenhalt in der Nachbarschaft? Was sagen Immobilienmakler zur aktuellen Wohnungssituation in Mülheim? Wie ergeht es Familien mit wenig Einkommen in „der Stadt der Millionäre“? Wir begeben uns auf die Suche nach Antworten, von nun an wöchentlich nachzulesen in der neuen Serie: „Und wie wohnen Sie?“
NRW-Programm bezuschusst erhaltende Maßnahmen mit 50 Prozent
Für alles, was rein dem Erhalt geschützter Bauelemente dient, wie Türen, Treppenanlagen, Fassadenelemente, gibt es wiederum Fördermittel vom Land. Derlei Maßnahmen werden vom Denkmalförderprogramm der Landesregierung Nordrhein-Westfalen mit bis zu 50 Prozent bezuschusst.
Das Programm sei allerdings „mehrfach überzeichnet“, sagt Melanie Rimpel. Sprich, es gibt mehr Bedarf als zur Verfügung stehende Gelder. Nach Genehmigung der Anträge durch die Denkmalbehörde müssen diese bis zum 1. Oktober eingereicht werden. „Dann wählt die Bezirksregierung aus, welche Maßnahmen gefördert werden können“, so Rimpel weiter, die zum Schluss des Gesprächs dann noch mit einem weit verbreiteten Missverständnis aufräumt.
Nicht der Denkmalschutz treibt die Kosten nach oben
Sie wisse wohl um die Sorgen und Befürchtungen, die sich beim Thema Denkmalschutz auftun. Der verursache in den meisten Fällen aber gar nicht das Gros der Kosten, wenn es an die Instandsetzung geht. Bei Altbauten sei es vielmehr generell so, dass die Erneuerung von Elektrik, Sanitäranlagen, Heizkörpern, Bodenbelägen und dergleichen mit einem Mehraufwand verbunden sei – ganz unabhängig vom Denkmalschutz.
Zurück bei Silke Hugo in der Oberstraße. Die wartet nun auf einen sogenannten Sanierungsfahrplan, den sie bei einem Energieberater in Auftrag gegeben hat. Vielleicht kann der ja die Zweifel der Interessenten noch zerstreuen. Silke Hugo sagt, sie habe sich mittlerweile gelöst vom Ort ihrer Kindheit. Der Gedanke, dass in ihrem Elternhaus schon bald fremde Menschen leben könnten, gefällt ihr sogar. „Dann wird ja auch ein Weg frei für schöne neue Pläne.“ Jemand muss es jetzt nur angehen. „Aus diesem Haus können Sie ein Schloss machen“, ist sich Silke Hugo sicher.
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