Heimaterde..
Wer sonst? Der kleine Can, 11 Jahre alt, macht die Tür auf, um wieder einen der heute zahlreichen Besucher als Erster in Empfang zu nehmen. „Ich bin der coolste Styler“ – ja: Hallo erst mal! Willkommen in der neuen Außenwohngruppe des Raphaelhauses an der Kleiststraße 91, im alten, nun zur Kinder-WG umgebauten Pfarrheim von St. Theresia.
Klar zeigt Can dem Besuch sein neues Zuhause. Das Zuhause, das, so hofft er doch, nur eines auf Zeit sein wird. Auch Can wohnt nun hier, weil er intensive pädagogische Hilfe benötigt, um sein junges Leben in die Bahn zu lenken.
Ziel: Kinder zurück zu den Eltern
Einweihungsfeier. Sieben Jungs im Alter von acht bis zwölf sollen hier mal wohnen, im Dezember sind schon drei eingezogen. Das von den Vereinigten August-Thyssen-Stiftungen getragene Raphaelhaus hofft hier Kinder mit besonderem Unterstützungsbedarf intensiver betreuen zu können. Kinder, die laut Gruppenleiterin Martina Schwittay große Schwierigkeiten haben mit gesetzten Grenzen. Denen es schwerfällt, sich auf Beziehungen zu anderen Menschen einzulassen, emotional wie sozial.
Schwittay betont, dass die Eltern der Kinder, die derzeit im Haus leben, einverstanden waren mit der Unterbringung in der intensiv-pädagogischen Einrichtung. Das muss nicht immer so bleiben; auch Kinder, die zu ihrem Schutz aus ihren Familien genommen werden, könnten auf der Heimaterde ihren sicher schwierigen Neuanfang wagen. Auf Dauer aber, so Schwittay, sei der Verbleib in der Wohngruppe nicht ausgelegt. Ziel sei, die Kinder zurück zu ihren Eltern zu geben.
Im Moment geht’s aber nicht im Elternhaus. Noah (12) ist schon länger weg von Zuhause. Bevor er auf die Heimaterde kam, hat er zehn Monate in einem Heim in Gelsenkirchen gelebt. „Da war es auch scheiße“, sagt der Gesamtschüler. Ständig sei er von anderen, den Feinden, beklaut worden. „Zu Hause ist immer alles am besten.“
Zu Hause gibt es keine Regeln
Da gab es keine Regeln, sagt er. Den ganzen Tag nur „zocken“, Playstation, X-Box und Co. – alles kein Problem. „Früher“, erzählt Noah, der sich heute zur Feier des Tages in Schale geschmissen hat, „saß ich acht Stunden vor dem Laptop oder dem PC.“ Das Pädagogen-Team auf der Heimaterde limitiert das Zocken. „Dann lese ich halt“, sagt Noah. Und erwähnt so halb beiläufig, als wenn er seinen Stolz zu verbergen sucht: „Ich habe jetzt die Patenschaft für den Jüngsten hier übernommen. Ich helfe ihm, wenn er was hat und es den Betreuern nicht sagen will.“
Noah hatte zuvor einen Teil der Begrüßungsrede übernommen. Klar sei die Wohngruppe nichts anderes als ein Heim. Entscheidend aber sei doch, „was ich als Mitglied dieser Gruppe daraus mache. Ob ich mich auf ,Heim’ im Sinne von Versorgung beschränke oder ob ich es als Zuhause annehmen kann.“
Sieben Jungs sollen möglichst bald schon im Schichtdienst von sechs Mitarbeitern rund um die Uhr betreut werden, zwei Mitarbeiter (Sozialpädagogen, Erzieher) werden noch gesucht. Eigens für acht Stunden pro Woche ist ein Erlebnispädagoge engagiert. Er soll den Vertrauensaufbau und die Gruppenbildung mit Aktivitäten wie gemeinsames Klettern, Zelten oder Werken befördern.
Eine Hauswirtschafterin sorgt für Reinigung und Verpflegung in der Woche. Am Wochenende kochen die Pädagogen mit den Kindern selbst.
Um der Nachbarschaft mögliche Vorurteile gegen die Einrichtung zu nehmen, haben die Kinder in der Adventszeit gebacken und Nachbarn beschenkt.