Mülheim..
Wenn ein Kind in seiner Familie nicht mehr gut aufgehoben ist, wird das Raphaelhaus zum Zuhause auf Zeit. Joelle wohnt hier seit über einem Jahr. Zusammen mit 30 Kindern und Jugendlichen lebt die 14-Jährige in einer der drei Wohngruppen an der Voßbeckstraße in Saarn.
Auch wenn viele ihrer Mitbewohner lieber bei Mutter oder Vater leben würden, Joelle kann sich ein Leben bei ihrer Familie nicht mehr vorstellen. „Ich bin froh, hier zu sein.“ Zum Tag der offenen Tür kamen am Sonntag rund 400 Besucher ins Raphaelhaus– darunter Eltern, Freunde, Nachbarn oder Neugierige. Unter dem Motto „Willkommen – Mülheim und seine Partnerstädte“ haben Joelle und ihre Mitbewohner die Räume mit französischen, israelischen und polnischen Flaggen bestückt, Gänge und Flure mit Girlanden geschmückt. Im Innern zeigen sie den Besuchern ihre „Heimat auf Zeit“: Joelle, Joshua und Melissa haben auch Sekttorte und Käsekuchen gebacken, die sie heute an die Besucher verkaufen.
Rückführung als Ziel
„Das Leben im Heim ist gar nicht so schlimm, wie es sich Außenstehende oft vorstellen“, meint Joelle. Neben den Wohngruppen, in denen zurzeit 30 Kinder und Jugendliche leben, gehören auch eine Kindertagesstätte sowie Erziehungsstellen und Ambulante Dienste zum Raphaelhaus. „Wir haben einen ganz normalen Alltag, mit festen Regeln und Freiheiten.“
In den drei Wohngruppen leben Kinder und Jugendliche, die das Jugendamt aus problematischen Familienverhältnissen geholt hat. „Die Jüngste ist drei, die Älteste 18 Jahre alt“, erklärt Christian Weise, Leiter der Einrichtung. Manche bleiben für drei Monate, manche über mehrere Jahre. „Je nachdem, wie die Kinder und deren Familien mitarbeiten.“ Doch: „Die Verweildauer ist in den letzten Jahren angestiegen“, weiß Weise. Und die Nachfrage an stationären Plätzen sei nach wie vor hoch. Auch wenn es Bestrebung sei, die stationäre Hilfe so kurz wie möglich zu halten. Immerhin sei der Trend, aus Geldmangel bevorzugt ambulante Maßnahmen in den Familien anzuwenden – anstatt auf teurere stationäre Plätze zu setzen – für Mülheim nicht erkennbar, meint Weise. „In Mülheim wird sehr differenziert entschieden.“ Denn: Teuer kann es für die Kommune auch werden, wenn ambulante Maßnahmen nicht gegriffen haben und Folgemaßnahmen zum Einsatz kommen müssen. So oder so: „Ziel ist immer die Rückführung oder Verselbstständigung der Kinder – so dass sie ab 18 Jahren alleine leben können.“
Eigenes Zimmer
Joelle möchte nicht mehr zurück in ihre Familie. Die 14-Jährige habe schlechte Erfahrungen gemacht und fühle sich im Raphaelhaus besser aufgehoben. Kontakt habe sie nur noch zu ihrer Großmutter, bei der sie auch die Besuchswochenenden verbringe. Joelle führt uns durch die Räume: Einen Billardtisch haben die zehn Jugendlichen der Wohngruppe drei, eine Küche mit angeschlossenem Esszimmer, in dem sich Betreuer und Jugendliche zu festen Zeiten treffen, um gemeinsam zu kochen und zu essen. „Wir haben feste Dienste, müssen spülen oder abräumen“, erklärt Joelle, die die neunte Klasse der Gustav-Heinemann-Schule besucht. Sie zeigt uns ihr Reich: ein Mädchenzimmer mit rosafarbenem Bettbezug, Gitarre und Fotocollagen an den Wänden. „Jeder von uns hat ein eigenes Zimmer mit Bad, die älteren haben auch einen Balkon.“
Wie reagieren Mitschüler und Freunde darauf, dass du im „Heim“ wohnst? „Erst waren viele geschockt“, sagt Joelle. „Doch sie merken, dass es mir seitdem besser geht.“ In der Schule und im Freundeskreis geht die 14-Jährige offen mit ihrer Geschichte um – seitdem sei der Kopf freier. Viele Freunde haben sie bereits im Raphaelhaus besucht und gesehen, „dass es hier nicht schlimm ist“.