Mülheim. Documenta-Künstler Jürgen O. Olbrich beehrt das Mülheimer Museum für Fotokopie im Makroscope. Wie aus Copy-Art eine politische Kunst wird.
Punkt, Leerzeichen, Punkt – das Papier mit der Braille-Schrift gibt dem Oki MC 352DN Rätsel auf. Was geübte Finger an Wölbungen eindeutig erfassen, weiß der Abtaster der Kopiermaschinen nicht zu deuten: schwarz, weiß oder grau drucken? Jürgen O. Olbrich ist gewissermaßen ein ,Old-school-Hacker’. Er nutzt die ,Leseschwäche’ digitaler Drucker, um damit aus jeder Kopie ein künstlerisches Original zu machen. Im Mülheimer Makroscope stellt der Documenta-Künstler aktuell seine Copy-Art-Experimente aus.
Kopie für Kopie entstehen Originale
Denn Punkt für Punkt justiert der Kopierer die Farbe jedes Mal anders: Manche bleiben weiß, andere werden in Tiefschwarz getaucht, dazwischen ,graut’ es, Formen werden unscharf – aus dem ursprünglichen Bild, das der Scanner erfasst und pixelgetreu gerastert hat, entsteht genau genommen keine Kopie mehr, sondern etwas anderes. „On fingers on“ hat Olbrich seine neue Copy-Art-Serie mit dem Oki MC 352DN genannt, und die Braille-Schrift mit Fotografien aus einem Akupunktur-Lexikon verbunden.
„Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ – Kulturkritiker Walter Benjamin hatte die massenhafte Reproduktion von Abbildungen etwa durch Fotografie in seinem berühmten Aufsatz einem skeptischen Blick unterzogen. Sie verändere die kollektive Wahrnehmung – eine deutliche Warnung vor dem damals aufstrebenden Faschismus.
Olbrich ist ein ,Old-School-Hacker’
Künstler Jürgen O. Olbrich hingegen scheint zu zeigen: Das reproduzierte, normierte Leben – es scheitert an eben dieser Genauigkeit. „Der Kopierer ist dazu da, getreu zu vervielfältigen“, lächelt Olbrich mit sichtbarem Schalk im Nacken. Denn er hackt die Maschine in einer Weise, dass sie statt immergleicher Kopien Blatt für Blatt Originale erzeugt, die ihre Vorlage verfremden. Neben dem Spaß am Zufall also auch eine politische Kunst? Benjamin hätte an Olbrichs Interventionen im System vielleicht seine helle Freude gehabt.
Die Copy Art jedenfalls ist eine alte Kunst und auch Olbrich hat bereits in den 70er Jahren angefangen, mit dem Kopierer zu arbeiten. Er sympathisiert mit der dadaistischen Fluxus-Bewegung, zweckentfremdet den Kopierer, tanzt Rock’n’Roll auf ihm, knüpft Kontakte zu oppositionellen Künstlern der DDR, performt mit Yoko Ono. 1987 stellt Olbrich zur Documenta 8 in Kassel aus. Und er bekommt Kontakt zu Klaus Urbons, mit dem er Anfang der 80er Jahre die Künstlergruppe Trikop gründet.
Museum für Fotokopie feiert 35-jähriges Bestehen in Mülheim
Hier schließt sich der Kreis, denn Urbons ist Begründer des Museums für Fotokopie (M.F.F.), das in Mülheim demnächst sein 35-jähriges Bestehen feiern kann. Freilich: Fast 15 Jahre lang lag dies im Dornröschenschlaf, bevor es im Makroscope seine Zelte aufschlug, weil Urbons schlicht der Ausstellungsplatz fehlte.
Olbrich hat dem Museum etliche Kunstwerke aus seinem Bestand gespendet, zudem reihen sich hier unzählige Generationen von Kopiermaschinen sogar noch aus analogen Zeiten. „Das Museum soll aber nicht nur Copy-Kunst und historische Geräte zeigen“, sagt Urbons, sondern auch ein Ort der Kopiekunstproduktion werden. Jährlich sollen zwei Künstler im Museum produzieren. Olbrichs aktuelles Werk ist ebenfalls hier entstanden und folglich nur ein Auftakt für weitere Projekte.