Mülheim. . Der Mülheimer Chemikalienhändler Brenntag hat der französischen Skandalfirma PIP Industriesilikon für deren Billig-Brustimplantate geliefert. Hersteller der auf Baustellen als Dichtungsmasse verwendeten Paste ist eine ehemalige Bayer-Tochter. Brenntag bestätigt das Geschäft mit PIP.
Auch ein Unternehmen aus Mülheim hat Poly Implant Prothese (PIP) Industriesilikon geliefert, mit dem die französische Skandalfirma ihre billigen und offenbar krebserregenden Brustimplantate befüllte: Der Chemikalienhändler Brenntag mit Sitz an der Autobahn 40 hat PIP das unter dem Namen „Baysilone“ bekannte Material verkauft. „Wir haben das Produkt an PIP geliefert und sind mit den französischen Gesundheitsbehörden in Kontakt“, sagte ein Brenntag-Sprecher. „Baysilone“ werde meist als Dichtungsmasse in der Bauindustrie verwendet.
Brenntag versicherte, sich bei der Lieferung korrekt verhalten zu haben. "In unseren Auftragsbestätigungen wurde klar darauf hingewiesen, dass die Produkte ausschließlich für industrielle Zwecke genutzt werden dürfen (inklusive Körperpflegeprodukte)", erklärte Brenntag. Nach Angaben von Brenntag erhielten Kunden sämtliche notwendigen Sicherheitsdatenblätter sowie technische Informationen. Anfragen von französischen Behörden seien zudem im April 2010 vollständig beantwortet worden. Seitdem habe das Unternehmen keine Nachfragen mehr erhalten. Brenntag werde den Behörden weiterhin alle nötigen Informationen geben.
Zum Umfang und zum Zeitpunkt des Handels machte der Sprecher allerdings keine Angaben, auch zur Herkunft der verkauften Paste nicht. Auf seiner Website führt der Mülheimer Konzern in der Baysilone-Produktübersicht aber die Firmen Momentive Performance Materials und Obermeier als Bezugsquellen. Momentive Performance Materials firmiert im US-Bundesstaat Ohio, ist aus dem Gemeinschaftsunternehmen „GE Bayer Silicones“ hervorgegangen. Diese Tochter hatte der Leverkusener Chemiekonzern Bayer 1998 mit dem US-amerikanischen Industriekonzern GE gegründet. 2006 verkaufte Bayer seine Anteile an GE.
Auslieferung auch von Duisburg aus
Hinweis auf die Firmengeschichte der Brenntag-Gruppe gibt bereits die Mülheimer Adresse des „Headquarters“ am Rhein-Ruhr-Zentrum nahe der A 40: Das Hochhaus liegt am Stinnes-Platz 1. 1937 übernahm die Mülheimer Unternehmerfamilie Stinnes den 1874 in Berlin gegründeten und 1938 in „Brennstoff-, Chemikalien- und Transport AG“ umbenannten Betrieb. Sieben Jahre nach der Übernahme verlegte sie den Hauptsitz der AG von Berlin an die Ruhr. 2003 kaufte die Deutsche Bahn mit Stinnes auch die Mülheimer, die seit 2006 der britischen Kapitalbeteiligungsgesellschaft BC Partners gehören.
Heute gilt Brenntag nach weltweiten Zukäufen mit insgesamt 12.000 Mitarbeitern und 7,6 Milliarden Euro Umsatz (2010) als Weltmarktführer der Chemiedistributeure, ging im Juni 2010 an die Börse. Brenntag kauft rund um den Globus Chemikalien in großen Mengen ein, bietet aber über deren Verkauf, Lagerung und Transport hinaus Spezialdienstleistungen an. Dem Fachmedium CHEManager erklärte Uwe Schüttke, Geschäftsführer der Brenntag GmbH, den Service-Umfang so: „Die Chemiedistributeure übernehmen heute auch Aufgaben wie Labordienstleistungen, technische Beratung, Schulungen, Single Sourcing oder Mischungen.“
An der Duisburger Schifferstraße betreibt Brenntag ein Distributionszentrum. Von dort aus liefert die Brenntag International Chemicals GmbH Industriechemikalien in Kessel- und Tankwagen aus.
30.000 betroffene Patientinnen in Frankreich
Zur Zusammenarbeit mit PIP machte Brenntag bis Dienstagmittag keine weiteren Angaben. Das französische Unternehmen PIP hatte Brust-Implantate mit Industrie-Silikon gefüllt statt mit einem medizinischen Kunststoff. Bei zahlreichen Kissen sind inzwischen Risse aufgetreten – das Silikon soll sich in den Körpern der betroffenen Frauen verteilt haben. Kritiker zufolge könnte der Stoff Krebs erregen.
Frankreich hat rund 30.000 Patientinnen aufgefordert, sich die Implantate wieder herausoperieren zu lassen. Deutschland, Großbritannien und Brasilien haben betroffene Frauen aufgefordert, einen Arzt aufzusuchen. Auch bei mehreren deutschen Patientinnen waren die Billig-Implantate gerissen. (mit Reuters)