Herne. Ende, aus, für immer: In Herne schließen drei katholische Kirchen. Menschen mit enger Bindung zu den Gotteshäusern blicken zurück und nach vorne.
Entwidmung - ein harmlos klingendes Wort für einen tiefen Einschnitt: Die katholische Großpfarrei St. Dionysius gibt am Samstag, 2. November, drei Kirchen auf. Weihbischof Josef Holtkotte reist aus dem Bistumssitz Paderborn an, um mit Gemeindemitgliedern die Kirchen St. Elisabeth (Herne-Mitte), St. Konrad (Constantin) und St. Barbara (Elpeshof) zu profanieren, so der Fachbegriff für die Entwidmung. Die WAZ hat mit drei Menschen gesprochen, die eine besondere Geschichte mit diesen Gotteshäusern verbindet.
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St. Konrad: „Das ging an die Substanz und unter die Haut“
„Wie traurig bin ich über das, was mit St. Konrad passiert?“ Diese Frage habe sie sich vor dem Gespräch mit der WAZ gestellt, erzählt Christa Keuchel (67). Sie sei zu dem Ergebnis gekommen, dass sie vor dem endgültigen Aus in einem jahrelangen Prozess und in mehreren Etappen schon häufiger Abschied genommen habe: „Es wurde alles immer weniger.“ Der letzte Sonntagsgottesdienst 2017 sei „ein Bruch“ gewesen, sagt sie. An das Jahr 2018 erinnert sie sich, in dem das allerletzte der einst so beliebten Gemeindefeste gefeiert wurde: „Das war ein Einschnitt.“ Oder an den Abschiedsgottesdienst vor vier Monaten: „Das ging an die Substanz und unter die Haut.“ Und zuletzt wurde sie Zeugin, wie die Reliquien mit der Flex aus dem Altar herausgeschnitten und aus der Kirche getragen wurden: „Das war wie eine Beerdigung.“
Die tiefe Verbundenheit mit St. Konrad überrascht mit Blick auf ihre persönliche „Kirchengeschichte“ nicht. „Ich bin hier groß geworden“, sagt die 67-Jährige. Ihren ersten Gottesdienst in der Mitte der 50er-Jahre erbauten Kirche habe sie als Kind mit der Großmutter besucht. „Man wurde nicht gefragt, sondern mitgenommen.“ Es blieb nicht bei Gottesdiensten: „In unserer Gemeinde gab es eine gute Jugendarbeit.“ In der Tanzgruppe und im Chor habe sie beispielsweise mitgewirkt. „Messdiener durfte ich ja damals nicht werden.“ Infrage gestellt habe sie das damals nicht.
Im Alter von 16, 17 Jahren habe sie sich ein wenig vom Gemeindeleben abgewendet. Nach der Hochzeit sei sie mit ihrem Mann nach Baukau gezogen, erzählt sie, später jedoch mit ihm und ihren Kindern ins Elternhaus an der Mühlhauser Straße zurückgekehrt. „Das war wie nach Hause gekommen - das gilt nicht nur für den Stadtteil, sondern auch für die Gemeinde und die Kirche.“ Zwei ihrer drei Söhne - sie sind heute 44,43 und 40 - sind in der St.-Konrad-Kirche getauft worden. Christa Keuchel engagierte sich fortan im Kindergarten der Gemeinde. Und auf Bitte von Pfarrer Goerdt wurde sie Mitte der 80er-Jahre Mitglied im Pfarrgemeinderat von St. Konrad. Seitdem ist sie in verschiedenen Ämtern und Funktionen aktiv, auch nach Gründung der Großpfarrei St. Dionysius im Jahr 2017.
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„Ich verabschiede mich von diesem Gebäude, nicht von meinem Glauben“, betont sie. Diesen könne sie auch in anderen Kirchenräumen weiterleben. Sie sei aber sehr froh, dass „ihre“ Kirche nicht abgerissen wird. „Das würde einen ganz anderen Schmerz verursachen.“ Sie wäre aber ebenso traurig, wenn es keine Nachnutzung geben und das Gebäude verfallen würde. Eine Kita in der Kirche - „das wäre toll“, sagt Keuchel über diesen bereits diskutierten Ansatz. So gar nicht anfreunden kann sie sich allerdings damit, dass St. Konrad in die Denkmalliste eingetragen werden soll: „Das würde eine Nachnutzung erschweren.“
St. Barbara: „Die Kirche liegt mir sehr am Herzen, doch das ist der Lauf der Zeit“
Die Aufgabe der Kirche St. Barbara und der damit verbundene Abriss seien traurig, sagt Karin Michalak. „Sie liegt mir sehr am Herzen.“ Die 67-Jährige fügt aber hinzu: „Das ist der Lauf der Zeit.“ Aufgrund des schlechten baulichen Zustands sei das Gebäude nicht mehr zu halten. Für das Areal zeichnet sich eine Wohnbebauung ab (wir berichteten).
Michalak kommt ursprünglich aus der Gemeinde St. Peter und Paul, pflegt aber seit Jahrzehnten eine enge Bindung zu der Gemeinde in Elpeshof. Den Weg dorthin fand die Börnigerin einst durch ihre drei Kinder, mit denen sie und ihr Mann die Familiengottesdienste in St. Barbara besuchten.
In mehreren kirchlichen Ehrenämtern engagierte sich Michalak, bis sie 2001 ihre Beziehung zur katholischen Kirche in Herne professionalisierte: Sie wurde Pfarrsekretärin - sehr viele Jahre in St. Barbara, aber später auch in St. Marien, St. Pius und St. Josef sowie für die Großpfarrei St. Dionysius. 2023 ging sie in den Ruhestand, blieb aber aktiv. So gestaltet sie beispielsweise gemeinsam mit Pfarrer Norbert Walter die Andacht zur Entwidmung der in den 60er-Jahren erbauten Kirche.
Beim offiziellen Abschiedsgottesdienst am 20. Oktober sei die Stimmung nicht gedrückt gewesen, erzählt sie. Das habe wohl auch am Motto „Glückauf, Wiedersehen“ gelegen: „Wir müssen uns verabschieden, sehen uns aber in einer anderen Kirche wieder und können dort unseren Glauben leben.“
St. Elisabeth: „Eine Mucki-Bude oder Moschee sollten hier auf keinen Fall rein“
Mehr geht eigentlich nicht: Michael Dören wurde in St. Elisabeth an der Brunnenstraße getauft, besuchte regelmäßig Gottesdienste, war dort Messdiener, feierte in dem Gotteshaus seine Hochzeit und gehört nunmehr seit Jahrzehnten dem Kirchenvorstand an. Seine beiden Töchter wurden ebenfalls in St. Elisabeth getauft und waren Messdienerinnen. Wie fühlt sich der nun anstehende Abschied an? „Das tut weh“, sagt der 65-Jährige mit brüchiger Stimme und kämpft mit den Tränen. „Aber so ist die Entwicklung. Was will man machen?“
Die Nähe zur Kirchengemeinde hat der Elektroingenieur - seine Großeltern führten in Herne einst die Metzgereien Schnettelker (Castroper Straße) und Dören (Neustraße) - praktisch geerbt: „So lange meine Eltern laufen konnten, sind sie in den Gottesdienst gegangen.“ Auch für ihn ist der Kirchgang eine (gerne wahrgenommene) Pflicht: Die Bank in der dritten Reihe, rechts („die mit der Macke“) - das sei sein Stammplatz gewesen, erzählt er.
Anders als bei St. Konrad und St. Barbara ist die Zukunft von St. Elisabeth in Herne-Mitte völlig ungewiss. „Das Gebäude sollte auf jeden Fall erhalten bleiben. Es wird aber schwierig. Das Umfeld ist nicht ideal“, sagt er. Obwohl er beruflich mit vielen Architekten im In- und Ausland unterwegs sei, falle ihm zurzeit kein konkreter Vorschlag für eine Nachnutzung ein. In Gesprächen mit seinem früheren Klassenlehrer Udo Jakat habe er mal darüber philosophiert, ob das Haus nicht für kulturelle Veranstaltungen umgebaut werden könnte. Kürzlich fand bekanntlich eine Disco („Night Club“) in der Kirche statt. Was für Michael Dören feststeht: „Eine Moschee oder eine Muckibude sollten hier auf keinen Fall rein.“
Die WAZ kommt auf die Kunstwerke in der Kirche St. Konrad, den Abriss von St. Barbara und die Zukunft von St. Elisabeth zurück.
Katholiken auf Abschiedstour
- Anlässlich der Profanierung der drei Kirchen geht St. Dionysius am Samstag, 2. November, auf Abschiedstour. „Gemeinsam mit Weihbischof Josef Holtkotte ziehen wir als Pilgergruppe von Kirche zu Kirche“, kündigt die Großpfarrei an.
- Andachten in den drei Kirchen sollen für „einen respektvollen und spirituellen Abschied“ sorgen. Der Zeitplan: 13 Uhr St. Konrad (Kronenstraße 21), 14.15 Uhr St. Barbara (An der Barbarakirche 1) und 15.30 Uhr St. Elisabeth (Brunnenstraße 11).
- Den Abschluss bildet gegen 17 Uhr ein Pontifikalamt in St. Bonifatius, Glockenstraße 7, in Herne-Mitte.