Herne. Die Polizei veröffentlicht auch nach kleineren Straftaten in Herne Fotos von Verdächtigen. Gibt der rechtliche Rahmen das überhaupt her?
Das sind vergleichsweise kleinere Delikte: Diebstahl von Feuerwerkskörpern in einem Aldi-Markt, von Deko-Artikeln aus einem Selbstbedienungsschrank und von Drogerieartikeln in einer Rossmann-Filiale. Diese Straftaten haben zwei Sachen gemein: Sie sind a) in Herne verübt worden und b) veröffentlichte die Polizei in diesem Jahr in allen drei Fällen im Zuge der Fahndung nach den mutmaßlichen Täterinnen und Tätern Fotos aus Überwachungskameras. Das wirft die Frage auf: Ist ein solcher Vorgang bei eher minder schweren Fällen überhaupt verhältnismäßig?
„Bei jeder Maßnahme, die in die Grundrechte von Menschen eingreift, wird die Verhältnismäßigkeit sorgfältig geprüft“, erklärt Polizeisprecherin Marina Sablic auf Anfrage. Bei der Öffentlichkeitsfahndung lege die Polizei regelmäßig einen strengen Maßstab an. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung, die Bestandteil der grundsätzlichen Rechtmäßigkeitsprüfung sei, erfolge zunächst durch die Kriminalpolizei, anschließend durch die Staatsanwaltschaft und letztendlich durch eine Richterin oder einen Richter am Amtsgericht.
Dieser vorgegebene Ablauf führt dazu, dass zwischen Straftat und Öffentlichkeitsfahndung in der Regel mehrere Monate liegen. Von Leserinnen und Lesern der WAZ, die den rechtlichen Rahmen nicht kennen, wird dies immer wieder beklagt.
Die Öffentlichkeitsfahndung zur Strafverfolgung stütze sich auf Paragraf 131b der Strafprozessordnung, erklärt die Polizeisprecherin weiter. Voraussetzung für eine Veröffentlichung eines Fotos sei unter anderem, „dass die Aufklärung der Straftat auf andere Weise wesentlich weniger Erfolg versprechend oder wesentlich erschwert wäre“. Im Allgemeinen würden Öffentlichkeitsfahndungen erst dann genutzt, wenn alle übrigen Ermittlungsansätze ausgeschöpft seien und nicht zur Identifizierung des Täters oder der Täterin geführt hätten. „Die Anordnung der Veröffentlichung erfolgt in der Regel in einem schriftlichen Beschluss mit entsprechender Begründung“, betont Sablic.
Öffentlichkeitsfahndung nach nächtlicher Party in Herner Schwimmbad
In Paragraf 131 b ist in Zusammenhang mit der Zulässigkeit einer Öffentlichkeitsfahndung von Straftaten „von erheblicher Bedeutung“ die Rede. Ein Widerspruch zur Herner Praxis, die beispielsweise auch die Veröffentlichung von Fotos nach Diebstählen bei Discountern oder in Selbstbedienungsschränken vorsieht? Nein, erklärt die Bochumer Staatsanwaltschaft. Das Ausschöpfen aller übrigen Ermittlungsansätze, die Frage, wie stark der Tatverdacht wirklich sei sowie die Schwere einer Straftat seien nicht die einzigen Kriterien bei der Prüfung, sagt Oberstaatsanwalt Paul Jansen. Auch bei Straftaten von minder schwerer Bedeutung könne die Veröffentlichung eines Fotos verhältnismäßig sein.
„Es gibt beispielsweise Fotos, bei denen wir den Eindruck haben, dass arbeitsteilig und professionell vorgegangen wurde“, sagt er. Bei solchen „strukturierten Diebstählen“ sei eine Veröffentlichung gerechtfertigt. Das gelte beispielsweise auch bei einer Beteiligung von Kindern, bei Trickdiebstählen und beim Geldabheben mit gestohlenen EC-Karten. In Fällen dieser Art stelle die Staatsanwaltschaft deshalb beim Amtsgericht den Antrag auf Veröffentlichung: „Wir haben auch schon erlebt, dass ein Antrag vom Richter abgelehnt wird“, so Jansen.
Aus dem üblichen Rahmen fällt in diesem Jahr ein Herner Fall, bei dem zwei Unbekannte außerhalb der Öffnungszeiten ins Herner Lago eingedrungen sind. Die veröffentlichen Fotos zeigen zwei gut gelaunte junge Männer in Badehosen, die Eis in der Hand halten. Sie sollen in der Gastronomie des Schwimmbads „diverse Speisen und Getränke“ verzehrt haben, teilte die Polizei am 18. Juni, knapp ein Jahr nach dem Einbruch, mit. Von Sachbeschädigung oder Vandalismus ist in der Öffentlichkeitsfahndung nicht die Rede.
Verhältnismäßig? Auf jeden Fall, erklärt Oberstaatsanwalt Jansen. Es handele sich hier nicht um eine Straftat von minderer Bedeutung. „Wir sagen immer: Das Diebesgut an Ort und Stelle zu verzehren, ist die höchste Form der Zueignung“, so der Jurist. Und: Weil dafür auch eingebrochen worden sei, handele es sich um Diebstahl in einem besonders schweren Fall.
>>> Bislang zehn Öffentlichkeitsfahndungen im Jahr 2024
- Die Polizei veröffentlicht bei Öffentlichkeitsfahndungen im Presseportal nicht die Fotos der Tatverdächtigen, sondern Links zu einer Fahndungsseite. Dazu erfolgt stets der Hinweis: „Sollte der Link ins Leere führen, ist die Fahndung geklärt und wurde durch das LKA gelöscht.“
- Im Jahr 2024 hat die Polizei im Presseportal bislang in zehn Fällen öffentlich mit Fotos nach Tatverdächtigen gefahndet. In acht Fällen führte der Link nicht ins Leere, heißt: Der oder die Täter konnten bislang trotz der Fotos aus den Überwachungskameras nicht ermittelt werden. Das gilt übrigens auch für die Lago-Einbrecher.
- Dabei handele es sich um eine Momentaufnahme, erklärt Polizeisprecherin Marina Sablic. Die Erfolgsquote einer Lichtbildveröffentlichung hänge von diversen Faktoren wie zum Beispiel der Qualität der Fotos ab. „In der Regel haben wir eine hohe Erfolgsquote.“
- Die Beendigung einer Öffentlichkeitsfahndung bedeute allerdings nicht automatisch, dass der oder die Täter ermittelt worden seien. Es könnten sich auch Änderungen im Sachverhalt ergeben haben. Außerdem würden Fotos zu Fahndungszwecken mittlerweile nach einem gewissen Zeitraum automatisiert gelöscht, so die Polizeisprecherin. Wann dies geschieht, kann die Polizei nicht sagen: Die „technische Hoheit“ liege beim Landeskriminalamt NRW.