Herne. Der Herner Chirurg Chris Braumann verbrachte seinen Urlaub in Marokko. Als das Erdbeben kam, half er spontan in einem Krankenhaus in Marrakesch.
Seit dem 18. September ist Prof. Dr. Chris Braumann, Chirurgischer Direktor am Evangelischen Krankenhaus Herne, wieder im Dienst. Es ist sein erster Arbeitstag nach seinem Sommerurlaub. So weit, so normal. Doch der Urlaub war alles andere als normal, denn Braumann war nach Marokko gereist – und der Tourist aus Herne verwandelte sich quasi über Nacht in einen Helfer im Operationssaal.
Zunächst verlief die Reise für Braumann und seine Lebensgefährtin Dr. Sina Vogel aus dem Katholischen Klinikum Bochum ganz nach Plan. Sie hatten das Kinderprojekt „Afous Rofous“ im Atlasgebirge des Landes besucht, wo sie seit 2015 ihr Patenkind Naima unterstützen. Noch ganz erfüllt von der Begegnung mit der inzwischen 19 Jahre alten Naima, kehrten die beiden in ihr Haus in der Altstadt von Marrakesch zurück.
Doch am späten Abend, um 23.11 Uhr, begann die Erde zu beben. Heute weiß man: Es sollte das schwerste Erdbeben in der Region werden, seit es Aufzeichnungen gibt. Als das Nachbarhaus einstürzte, die Zimmerwände bebten, gab es für das Paar nur eins: die schnelle Flucht ins Freie. Barfuß liefen sie durch den Schutt, der von allen Seiten von den Häusern herunterbrach. „Das Problem in der Altstadt ist, dass das Mauerwerk der Häuser bei solch einem Beben wie Mehl zerbröselt und die Gesteinsbrocken mit aller Wucht herabstürzen. Die Schreie der Menschen waren grauenhaft“, erinnert sich Braumann.
Er und seine Lebensgefährtin hatten Glück. Nachdem sie durch die engen Gassen geirrt waren, kämpften sie sich bis zu einem Park durch, wo sie mit Hunderten anderer Menschen im Freien die restliche Nacht verbrachten. Nach dem ersten Aufatmen galt Braumanns erste Sorge seinem Patenkind und den anderen 42 Kindern von „Afous Rofous“. Auch von dort erhielt er die befreiende Nachricht: Alle Kinder des Projekts im Dorf El Kharoua im Atlasgebirge hatten das Erdbeben überstanden.
Herner Chirurgen meldeten sich in Shorts in der Notaufnahme
„Nachdem diese schlimme Nacht für uns persönlich so glimpflich ausgegangen war, wir aber sahen, wie viel Zerstörung um uns herum war und wie viele Menschen zu Schaden gekommen waren, stand für meine Lebenspartnerin, die auch Chirurgin ist, und mich fest, dass wir unsere Hilfe anbieten wollten“, berichtet der Herner Mediziner. Das Paar gelangte zur Clinique Internationale von Marrakesch und meldete sich dort zum Einsatz. In Shorts stellten sie sich in der Notaufnahme vor – und trafen beim marokkanischen Personal erst einmal auf Irritation. Doch nach den ersten Handgriffen, einem prüfenden Blick auf die Internetseiten der Heimatkliniken der beiden deutschen Chirurgen war die Basis gelegt für einen zehnstündigen OP-Einsatz in der Clinique Internationale.
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„Gesteinstrümmer haben eine unglaubliche Wucht und führen zu schlimmsten Verletzungen. Wir haben Patienten gesehen, deren Oberschenkelknochen durch Gebäudeteile oder Eisenbewehrungen wie von einem Beil durchtrennt waren“, so der Chirurgische Direktor des EvK Herne. Mit der Dauer der Zusammenarbeit im OP wuchs zwischen dem marokkanischem Ärzteteam und den Helfern aus Deutschland die Sympathie und die gegenseitige Achtung. „Ich war zutiefst beeindruckt von der hohen Professionalität und Nervenstärke der Kollegen“, erzählt Braumann, der als Mediziner durch einen früheren Hilfseinsatz in Afghanistan bereits mit Katastrophensituationen konfrontiert worden ist.
Der Abschied von der Clinique Internationale fiel herzlich aus. Das Herner Paar und die marokkanischen Ärzte trennten sich mit der gegenseitigen Zusicherung, aus der schicksalhaften Begegnung eine freundschaftliche Zusammenarbeit der beiden Kliniken entstehen zu lassen.
Zurück im sicheren Deutschland gelten Prof. Dr. Chris Braumanns Gedanken jedoch weiter seinem Kinderprojekt im Atlasgebirge (www.afousrofous.org). Das Dorf El Kharoua ist zerstört, Unterstützung beim Aufbau dringend notwendig. Wer die Bevölkerung unterstützen möchte, kann dies durch eine Spende an den gemeinnützigen Verein „Helft dem Atlas e.V.“, Konto IBAN DE93 4405 0199 0911 001500, Sparkasse Dortmund tun. Wer Spendernamen und Adresse ausfüllt, erhält automatisch eine Spendenquittung.