Herne. Der Ärger über Pläne für die Mülldeponie in Herne und Gelsenkirchen ist noch nicht verraucht, da gibt es den nächsten Aufreger. Worum es geht.
Für ihre Pläne und Tests zur Verdichtung des Deponieraums auf der Zentraldeponie Emscherbruch (ZDE) hat die Betreiberin AGR im Dezember viel Kritik einstecken müssen: Die Politik in Gelsenkirchen und Herne befürchtete zusätzliche Belastungen fürs Umfeld und geißelte die Informationspolitik. Nur wenige Wochen danach gerät das kommunale Unternehmen aufgrund neuer Pläne zur Komprimierung von Müll erneut ins Kreuzfeuer.
AGR will auf der Deponie Künstliche Mineralfasern (KMF) pressen
Nach WAZ-Informationen berichtete die AGR am Dienstagabend im nicht öffentlichen Teil der Sitzung des Gelsenkirchener Umweltausschusses, dass sie den Bau einer Versuchsanlage zur Abfall-Verdichtung bei der zuständigen Bezirksregierung Münster beantragt hat. Diesmal soll es um das Pressen sogenannter Künstlicher Mineralfasern (KMF) wie Glas-, Mineral- und Steinwolle gehen, die anschließend als Abfall der Stufe DK III (gefährliche Abfälle) deponiert werden sollen. Diese Fasern sind in Dämmstoffen enthalten und fallen bei Bau- und Sanierungsarbeiten sowie beim Rückbau von Gebäuden an. Aus Kapazitätsgründen – die Wolle nimmt (zu) viel Volumen ein – wird KMF auf der ZDE seit einigen Jahren nicht mehr deponiert.
Das Vorhaben bringt Umweltpolitiker aus mehreren Gründen auf die Palme, so war nach der Gelsenkirchener Ausschusssitzung zu hören. So wird der RVR-Tochter AGR mangelnde Transparenz vorgeworfen, obwohl sie in Sachen Kommunikation im Dezember Fehler eingeräumt und Besserung gelobt habe. Auch das Wort „Katastrophe“ soll in Bezug auf das Vorgehen der Abfallentsorgungs-Gesellschaft am Dienstagabend gefallen sein. Im Herner Umweltausschuss sah sich die AGR am Mittwoch im nicht öffentlichen Teil der Sitzung nach Informationen der WAZ ebenfalls harscher Kritik ausgesetzt.
Hintergrund: Trotz der Transparenz-Zusage von Dezember hatte die AGR wie schon bei den Verdichtungstests Ende 2022 die Stadtverwaltungen und Ratsparteien aus Herne und Gelsenkirchen nicht vorab über die Pläne informiert. Hernes Stadtsprecher Christoph Hüsken erklärte am Mittwoch, dass die Stadt Herne „im Rahmen der Beteiligung als Träger öffentlicher Belange“ von der Bezirksregierung Münster per Mail am 23. Februar informiert worden sei. Entscheidungsbefugnisse haben die Städte nicht: Sie geben im Verfahren nur fachliche Stellungnahmen ab.
Was die Politik ebenfalls auf die Barrikaden treibt: Alle Formen der Verdichtung würden zwangsläufig zu zusätzlichen Transporten und somit zu weiteren Belastungen für Anwohnerinnen und Anwohner führen, so die Kritik. Die AGR bestreitet, dass es unterm Strich zu einem nennenswerten Anstieg der Anlieferungen kommen würde und verweist zudem stets darauf, dass am angekündigten Schließungstermin der Deponie - spätestens 2030/31 - nicht gerüttelt werde.
Im Gelsenkirchener Umweltausschuss soll auch die Stadtverwaltung in die Kritik geraten sein - zum Beispiel für die Tatsache, dass sie bereits am 23. Februar von der Bezirksregierung über den AGR-Antrag informiert worden sei, diese Information aber nicht umgehend an die Politik weitergegeben habe. Auch die Behandlung des Tagesordnungspunktes im nicht öffentlichen Teil soll moniert worden sein.
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Das Entsorgungsunternehmen bestätigte auf Anfrage der WAZ am Mittwochnachmittag, dass sie am 16. Februar bei der Bezirksregierung eine mobile Versuchsanlage fürs Pressen von KMF beantragt habe. Es sei zu erwarten, dass die Menge der zu entsorgenden KMF-Materialien künftig insbesondere im Ruhrgebiet erheblich ansteigen werde, sagte AGR-Sprecher Markus Jablonski. Es gebe jedoch im gesamten Ruhrgebiet keine andere Anlage zur Verpressung von KMF-Abfällen, weshalb die AGR hier „einen weiteren Beitrag zur Entsorgungssicherheit in der Region“ leisten würde. Und: Damit nutzen sie einmal mehr die Möglichkeit, die für die ZDE bereits genehmigte Endhöhe im Sinne einer verbesserten Entsorgungssicherheit in der Region „bestmöglich zu nutzen“.
Künstliche Mineralfasern dürfen seit Juni 2000 nicht mehr hergestellt und verwendet werden, weil sie als krebserregend gelten. Von der KMF-Anlage, sie soll eine Art Hülle erhalten, gingen jedoch keine gesundheitlichen Gefahren für die Bevölkerung aus, betonte Jablonski. Nur bei einem unsachgemäßen Transport, beim nicht fachgerechtem Verbauen oder nicht bestimmungsgemäßer Entsorgung bestehe grundsätzlich die Gefahr, dass „lungengängige Fasern“ freigesetzt würden. Daher bestünden auch sehr hohe Anforderungen an den Arbeitsschutz. „Zudem erfolgt die Anlieferung des zu verpressenden Materials in bereits verschlossenen Big Bags“, so der AGR-Sprecher. Im Herner Umweltausschuss sollen am Mittwoch bereits Zweifel laut geworden sein. Auch bei der Bodenaufbereitungsanlage Suez in Herne-Süd sei stets auf höchste Sicherheitsstandards verwiesen worden, die dann aber nicht eingehalten worden seien, so ein Hinweis aus der Politik.
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Warum sind die beiden Städte nicht vorab über die neuerlichen Pläne informiert worden? Die AGR habe davon abgesehen, weil man die Bezirksregierung Münster als Genehmigungsbehörde nicht habe „übergehen“ wollen, so Jablonski. Eine Vorabinformation an die Städte und die Politik hätte in Münster so interpretiert werden können, dass die AGR über die Öffentlichkeit auf das Genehmigungsverfahren habe Einfluss nehmen wollen. Das Vorgehen widerspreche auch nicht der zugesagten Transparenz, da man ja in den Umweltausschüssen informiert habe. Der Aufsichtsrat der AGR - dem aus Herne SPD-Chef Hendrik Bollmann angehört - sei bereits im Sommer über die Pläne für eine KMF-Anlage informiert worden und habe einen entsprechenden Beschluss gefasst, erklärt der Unternehmenssprecher.
Und wie steht es um die Verdichtung von Teilen der Halde, für die im November an drei Tagen Tests durchgeführt worden sind? Die AGR will zunächst den Aufsichtsrat am 17. März über die Ergebnisse der Versuche sowie das weitere Vorgehen informieren und sich erst anschließend öffentlich dazu äußern.