Herne. Warum gibt es Krieg in der Ukraine und sind wir in Gefahr? Wie Eltern die Fragen von Kindern beantworten können, erklärt ein Herner Psychologe.

Russland greift seit nunmehr drei Wochen die Ukraine an. Der Krieg berührt und beschäftigt viele Menschen in Herne – und auch viele Kinder. Wie Eltern die Fragen ihrer „Kleinen“ bestmöglich beantworten können, hat Thorsten Hup mit dem Herner Psychologen Dr. Sebastian Bartoschek (42) besprochen. Er hat selbst zwei Kinder im Alter von neun und vier Jahren und beschäftigt sich in seiner täglichen Praxis schwerpunktmäßig mit der Betreuung und Begutachtung von Kindern und Eltern.

Wie haben Sie Ihren Kindern erklärt, warum es Krieg gibt?

Bartoschek: Ich habe am Abend des russischen Überfalls auf die Ukraine meinen Großen (9) gefragt, ob bei ihm in der Schule oder unter den Kindern irgendwas mit Russland Thema ist. Er verneinte und fragte, wieso ich das wissen will. Ich sagte, dass Russland gegen die Ukraine Krieg führt, und er jederzeit kommen kann, wenn es irgendeine Frage dazu gibt. Dabei habe ich Ruhe ausgestrahlt. Bisher kamen von ihm keine weiteren Fragen dazu. Beim Kleinen (4) habe ich das Thema bisher noch nicht proaktiv angesprochen.

Und was haben Sie gesagt, warum gerade dort in der Ukraine mit Russland?

Das war schlicht kein Thema, und ich habe keinen Grund gesehen, einem 9-jährigen Geopolitik zu erklären, wenn er es nicht aufs Trapez bringt.

Eine wichtige Grundsatzfrage ist, wie ehrlich und authentisch ich gegenüber Kindern sein kann, wenn es um Krieg und Gefahren geht?

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Das ist ein Spagat. Wir sollten Kinder an sich nie anlügen. Und wir sollten auch unsere Emotionen offen machen – bis zu einem gewissen Grad. Wir sollten ehrlich sein: Bisher gibt es keine unmittelbare Kriegsgefahr für Deutschland. Ja, es gibt Szenarien. Aber damit würde ich Kinder nicht belasten. Ich würde Kindern gegenüber die Fakten benennen, auch sagen, dass Krieg schlimm ist – wobei Kinder das eigentlich wissen. Nachfragen sollte man immer beantworten, aber eben keine Panik verbreiten. Wozu auch?

Woran erkenne ich am besten, wie viel Interesse ein Kind überhaupt am Thema Krieg hat?

Indem ich schlicht frage. Ist das Thema für das Kind aktuell? Was hat es an Gedanken dazu? Was will es wissen? Und klar, wenn ich mitbekomme, dass das Kind entsprechende Aussagen tätigt oder Spielsequenzen zeigt, dann bin ich als Elternteil gefordert. Wichtig ist übrigens, dass ich mich mit dem anderen Elternteil und gegebenenfalls anderen wichtigen Erwachsenen im Umfeld dazu abstimme.

Sollte man seine Kinder auch proaktiv auf das Thema ansprechen, wenn sie von selbst nicht kommen?

Ja. Es kann sein, dass ein Kind sich nicht traut, das Thema anzusprechen, vielleicht weil es glaubt, dass das irgendwie „Geheimwissen“ ist, dass es gar nicht haben dürfte. Diese Angst gilt es zu nehmen.

Der Herner Psychologe Sebastian Bartoschek gibt Tipps, wie man Kindern am besten den Krieg in der Ukraine erklären kann.
Der Herner Psychologe Sebastian Bartoschek gibt Tipps, wie man Kindern am besten den Krieg in der Ukraine erklären kann. © FUNKE Foto Services | Gero Helm

Welche Antwortideen haben Sie zu typischen Kinderfragen wie zum Beispiel: Warum kann man Herrn Putin nicht einfach verhaften?

Kinder haben einen starken Gerechtigkeitsglauben. Den sollten wir nicht ohne Not kaputt machen. Ich würde sowas sagen wie „Putin wird dafür bestraft werden. Nur wann und wie, das weiß man halt nicht. Der ist aber ja Chef eines anderen Landes. Und es ist sehr schwierig, jemanden zu verhaften, der in einem anderen Land ist.“

Hat Putin keine eigenen Kindern und denkt daran, wie es ihnen geht?

„Doch, der hat Kinder, wohl auch mehrere. Ganz ehrlich: Ich weiß nicht, was Putin so denkt. Was glaubst du?“ - wenn wir Erwachsene nicht weiter wissen, können wir das auch benennen. Und oft ist es dann sinnhaft, einfach zurückzufragen. Kinder machen sich ihre eigenen Gedanken - und die geben oft einen Anknüpfungspunkt.

Wie ist das, wenn im Krieg Menschen sterben?

„Es ist schlimm. Deswegen sind auch alle im Moment so geschockt, dass es eben Krieg gibt – denn keiner will ja, das Menschen sterben müssen.“ Übrigens ist es so, dass je nach Alter die Kinder ein ganz unterschiedliches Bild vom Tod haben. Sie denken zuerst, dass Leben und Tod einander abwechselnde Zustände sein können. Dann verstehen sie, dass der Tod endgültig ist und irgendwann kommt dann die Phase, in der sie verstehen, dass auch sie und ihre Lieben eines Tages sterben werden.

Wird der Krieg auch zu uns nach Deutschland kommen?

„Nein. Aber viele haben eben Sorge davor, weil Krieg halt so schlimm ist.“ Und wenn sich die Faktenlage ändern sollte, dann kann man da immer noch mal an das Thema ran.

Wird Russland eine Atombombe zu uns schicken?

„Nein.“

Sind alle Russen, auch meine russischen Mitschülerinnen oder Mitschüler, so böse wie Wladimir Putin?

„Nein, sind sie nicht. Die allermeisten Russen wollen keinen Krieg. Die sind wie du und ich. Die wollen einfach nur ein schönes Leben haben.“

Woran merke ich dann, ob ein Kind meine Erklärung verstanden hat oder ob ich es vielleicht überfordert habe?

Das Wirksamste ist, das Kind mit eigenen Worten noch mal zusammenfassen zu lassen. Man muss dabei nur aufpassen, da nicht wie bei einer Abfrage in der Schule daher zu kommen. Stellt ein Kind immer wieder gleiche Fragen, ist das zum Beispiel ein gutes Anzeichen dafür, dass noch nicht alles ausreichend beantwortet oder verstanden wurde. Ein gutes Indiz aber ist, wenn Kinder einfach weiterfragen.

Wie sind Ihre bisherigen Erfahrungen zu den Ängsten von Kindern zur aktuellen Kriegs-Krisenlage?

Das Thema beschäftigt die Kinder. Ich arbeite ja viel mit Kindern und Jugendlichen. Ich hatte unlängst eine Sechsjährige, die als Wunsch äußerte: „Putin soll einfach weg sein.“ Ich habe dann gefragt, wer denn Putin ist, und sie sagte, dass er Krieg mit der Ukraine gemacht hat, und sagte, dass sie Angst hat, dass er nach Deutschland käme. Ich habe ihr gesagt, dass Putin nicht nach Deutschland kommen wird. Ein Fünfjähriger fragte mich, wo die Ukraine und Russland auf einer Weltkarte sind. Ich zeigte es ihm und er sagte von sich aus: „Der Putin aus Russland hat die Ukraine überfallen. Ich würde den in eine Toilette stecken, und dann Wasser auf den machen – und auch AA!“ Ich sagte: „Das macht man eigentlich nicht – aber bei Putin wäre das schon ok.“ Die Stimmung war dann gelöst.

Sollte man Kindern im Moment erlauben, alle Nachrichten im Fernsehen und am Radio mit zu verfolgen?

Man sollte Kindern grundsätzlich nicht erlauben, alle Nachrichten zu verfolgen. Es gibt besondere Nachrichtenformate für Kinder – die bereiten das einfacher und für Kinder zugänglicher auf - und ordnen es verständlich ein. Wenn man dann aber doch einmal mit Kindern Nachrichten schaut oder sie es nebenher im Radio hören, dann ist es so, dass Kinder gewissermaßen danach schauen, welche emotionale Reaktion ich als Erwachsener zeige – da sollte ich mich also im Griff haben. Übrigens zeigt die Forschung, dass diese gezeigten Emotionen für Kinder wichtiger für die Einordnung sind, als das, was ich dann dazu erkläre.

Nicht an allen Herner Schulen wird das Thema Ukraine-Krieg bisher systematisch im Unterricht besprochen. Sollte den Lehrern dazu der Rücken gestärkt werden?

Auf jeden Fall. Gerade in der Grundschule sind die Lehrkräfte Vorbilder, an denen sich die Kinder orientieren und deren Meinungen ihnen wichtig sind. Wir sollten deswegen Lehrerinnen und Lehrer dazu ermutigen, Kindern die objektiven Fakten zum Krieg zu vermitteln, um zu helfen, das einordnen zu können.

Welche Anzeichen zeigen deutlich, dass Kinder durch die angespannte Krisenlage Hilfe brauchen?

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Bauchschmerzen sind ein Zeichen, das sehr stark für Stressbelastung bei Kindern spricht. Aber auch vermehrte Aggressionen, Schlafstörungen, Rückzug, Kopfschmerzen. Letztlich alles, bei dem wir das Gefühl haben, dass sich das Kind anders verhält als sonst – und das eben nicht nur über ein oder zwei Tage.

Wo können sich Eltern Hilfe in Herne holen, wenn sie sich alleine fühlen und Unterstützung benötigen?

Die besten Anlaufstellen sind meines Erachtens Erziehungsberatungsstellen und vor allem das Jugendamt. Gerade zu letzterem kann ich nur sagen: keine Angst – das Jugendamt hilft primär, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dort kennen alles an Hilfen, die ich in Herne für mein Kind erhalten kann. Und nein, weil das immer wieder die Sorge ist: das Jugendamt nimmt mir nicht mein Kind weg, wenn ich mir Hilfe suche.

Muss man sich darauf einstellen, wochenlang auf einen Termin warten zu müssen, wie es beim Besuch eines Psychologen leider üblich ist?

Die Versorgungssituation mit Psychotherapieplätzen, zumal für Kinder und Jugendliche, ist ein Elend in Deutschland – auch wenn das seit Jahrzehnten die Bundesgesundheitsminister anders verkünden. Und ja, es kann auch sein, dass man für diese Hilfen warten muss, aber: wenn man sich nicht auf den Weg macht, wird es ja auch nicht besser.

Wie können Erwachsene und auch Kinder zurzeit am besten helfen, wenn sie ukrainische Flüchtlinge unterstützen wollen?

Das ist nicht ganz mein Beritt. Objektiv helfen derzeit Geldspenden am besten, wenn ich das von erfahrenen Fachkräften richtig verstehe. Aber das ist natürlich nichts, was ein Kind emotional weiter bringt. Aber vielleicht, wenn ich das Kind ermutige, auf Flüchtlingskinder zuzugehen. Allerdings: auch Flüchtlingskinder können doof sein – wieso auch nicht? Und auch das sollte man seinem Kind zugestehen, eben solch ein Kind dann abzulehnen. Empathische Normalität würde ich das jetzt mal nennen wollen.

Gibt es eine Möglichkeit, diesen Krieg medial zu verfolgen und dabei weder die Nerven zu verlieren noch das gelegentliche Lachen?

Lachen ist wichtig! Immer. Es gibt uns die Möglichkeit, Dinge zu verarbeiten. Wir sollten es uns – vor allem aber auch unseren Kindern – zugestehen. Und wenn ich merke, dass ich mich einfach emotional nicht abgrenzen kann: weg vom Fernseher, Rechner oder Radio. Einfach mal durchatmen und etwas Schönes tun. Es gibt keinen Grund dafür, sich dann schuldig zu fühlen. Schuldgefühle helfen den Menschen in der Ukraine auch nicht.