Herne. Immer mehr Herner verlassen die Kirche. Neben der Kirchensteuer spielen dabei auch die Missbrauchsskandale in der katholischen Kirche eine Rolle.

Immer mehr Hernerinnen und Herner verlassen die katholische und evangelische Kirche. Die Austrittszahlen sind im Jahr 2021 wieder gestiegen. Insgesamt 685 Menschen sind im vergangenen Jahr nach Angaben der Amtsgerichte Wanne und Herne aus den Kirchen ausgetreten. Damit steigen die Austrittszahlen in Wanne-Eickel und Herne erneut an, nachdem sie 2020 stark zurückgegangen sind auf 548. Ihren Höchststand hatten sie 2019: Damals waren es 708 Menschen, die sich für einen Austritt entschieden – 2018 waren es 541.

Aus Statistiken gehe nicht hervor, was Menschen zu einem Austritt bewegt, sagt Pauline Wawrzonkowski, Dekanatsreferentin des Dekanats Emschertal zu dem auch Herne gehört. „Niemand muss einen Grund für seinen Austritt angeben.“ Die Umfragen, die es zu diesem Thema gibt, führten allerdings häufig bei den Befragten die Kirchensteuer an, sowie eine fortschreitende Entfremdung von der eigenen Glaubensgemeinschaft und fehlende Bindung an die Institution. Die Erklärung eines Austritts sei häufig keine adhoc-Entscheidung, sondern die Folge eines längeren Prozesses, und „der Tropfen auf den heißen Stein“ könne ein Auslöser für die letztendliche Entscheidung zum Austritt sein. „Niemand macht diesen Schritt vollkommen unüberlegt“, so Wawrzonkowski.

„Ich bin über das Ausmaß des Missbrauchs in unserer Kirche entsetzt“

Einer dieser „Tropfen auf den heißen Stein“ könnten die Missbrauchsskandale sein, die vor allem in den vergangenen Monaten in der katholischen Kirche für viel Aufregung gesorgt haben. „Wenn es um das Vertrauen in die Institution geht, denke ich schon, dass es durch die Missbrauchsfälle beschädigt ist“, sagt Wawrzonkowski. Die Kirche vertrete und vermittele sehr hohe moralische Ansprüche. „Die Wahrnehmung ist nun, dass die Kirche hier hinter ihren eigenen Ansprüchen zurückbleibt.“ Dass lasse Menschen an ihrer Glaubwürdigkeit zweifeln.

Auch interessant

Verbrechen, wie sexualisierte Gewalt und ebenso mangelnde Aufmerksamkeit und Fehlverhalten im Umgang mit solchen Fällen, stellten einen massiven Vertrauensbruch dar. „Auch ich persönlich bin über das Ausmaß des Missbrauchs in unserer Kirche entsetzt und wünsche mir auf allen Ebenen eine lückenlose Aufarbeitung.“ Im Erzbistum Paderborn und im Dekanat würden wesentliche Anstrengungen unternommen, den Schutz vor sexualisierter Gewalt zu gewährleisten. Insbesondere die Präventionsarbeit spiele hier eine wichtige Rolle.

Vor allem Männer verlassen die evangelische Kirche

Aus der evangelischen Kirchen treten vor allem Menschen aus, die zwischen 25 und 30 Jahre alt seien und in der Mehrzahl Männer, erklärt Arnd Röbbelen, Sprecher des Kirchenkreis Herne. „Es gibt einen zeitlichen Zusammenhang mit dem Eintritt ins Erwerbsleben und damit der ersten Kirchensteuerzahlung.“ Darüber hinaus würden kirchliche Angebote in dieser Lebensphase eher wenig in Anspruch genommen. Und auch wenn die Skandale vor allem die katholische Kirche betreffen, seien vielen Menschen die Unterschiede zwischen den Konfessionen so wenig bedeutsam, „dass es nicht ausgeschlossen ist, dass ein Skandal in der einen Kirche Austritte auch aus der jeweils anderen zur Folge hat“.

Damit die Austrittszahlen nicht noch weiter steigen, wolle die evangelische Kirche in Herne das tun, was sie immer tue: „Präsent sein, wenn es darum geht, Menschen in der Gemeinde vor Ort zu begleiten“, so Röbbelen.