Herne. Weihnachten darf wieder in den Kirchen gefeiert werden. Das ist wichtig, sagt Hernes Superintendentin. Interview zum zweiten Corona-Weihnachten.
Claudia Reifenberger ist seit einem Jahr Superintendentin des Evangelischen Kirchenkreises Herne. Was sie in diesem Jahr erlebt hat, wie Corona die Kirche verändert hat und was sie sich von Weihnachten erhofft, erzählt sie im Interview mit WAZ-Redakteurin Lea Wittor.
Sie sind genau vor einem Jahr in Ihr neues Amt getreten. Wie lief es bisher?
Alles hat in Corona begonnen, und ich kenne das Amt nicht anders als unter diesen Bedingungen. Deswegen habe ich noch keine Vergleiche, wie es anders sein kann. Das ist ein Amt, in dem ich auf Vernetzungen angewiesen bin, und die fanden nur eingeschränkt statt. Ich habe Pfarrerin gelernt, und das Amt der Superintendentin hat in dem Sinne erstmal nichts mit dem zu tun, was ich über viele Jahre gemacht habe, das ist herausfordernd. Da gibt es für mich aber gute Unterstützung von den Menschen hier vor Ort. Ich erfahre viel Wohlwollen.
Was wünschen Sie sich für das neue Jahr?
Ich hoffe, dass es im nächsten Frühjahr mit der Vereinigung von fünf Herner Gemeinden ein großes Fest geben wird – und dass auch alle anderen Feste wieder „richtig“ gefeiert werden können.
Apropos feiern: Wie glücklich sind Sie, dass in diesem Jahr wieder Gottesdienste an Heiligabend gefeiert werden dürfen?
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Ich bin froh, dass wir in Herne und Castrop-Rauxel eine große Einheitlichkeit haben. Die von der Regierung verordnete Weihnachtsruhe im vergangenen Jahr hätten wir auch umgehen können, das ist eine Entscheidung, die die Kirchen treffen. Wir hatten jedoch eine klare Empfehlung der Landeskirche, und der haben wir uns angeschlossen. Mittlerweile haben wir gelernt mit dem Virus zu leben. Wir haben digitale Formen entwickelt, Schutzvorkehrungen weiterentwickelt, und durch die Impfungen sind wir an einer anderen Stelle als Weihnachten 2020. Mein Credo ist: Die Freiheiten, die es gibt, zu sehen und verantwortungsvoll zu gestalten. Weihnachten kommt auf jeden Fall. Die Frage ist, wie es gut gestaltet werden kann. Da erlebe ich die Kolleginnen und Kollegen als kreativ, mutig und engagiert.
Und wie erleben Sie die Gemeindeglieder?
Das ist unterschiedlich. Es gibt die Vorsichtigen, die auf die Möglichkeit von YouTube zurückgreifen. Es finden aber auch Besuche und Kontakte über Telefon statt. Also die Menschen werden gesehen. Das ist mir ganz wichtig. Dann gibt es die Mutigeren, die sagen, sie brauchen die Begegnung mit dem Ort. Es gibt die Hürde mit der Anmeldung zu den Weihnachtsgottesdiensten, da muss man zeitig unterwegs sein. Ich denke, wer frühzeitig geplant hat, kann Weihnachten am gewohnten Ort feiern.
Wie wichtig ist es für die Menschen, an Weihnachten wieder die Kirchen besuchen zu dürfen?
Das ist wichtig. Das gehört für viele zum Weihnachtsfest einfach dazu. Ich frage mich, was treibt Menschen an Weihnachten in die Kirche? Gerade in Jahren, in denen nicht alles möglich ist, sind es noch mal andere Fragen: Ist da wirklich etwas dran an der Botschaft, dass nicht alles bleiben muss, wie es ist? Vielleicht suchen Menschen jetzt gezielter Antworten auf solche Fragen. Die Hoffnung muss in diesen Tagen laut werden, und da frage ich mich, wo sonst sollte die Hoffnung herkommen? Das ist Weihnachten in der Kirche.
Im vergangenen Jahr wurden an Weihnachten die Onlineangebote ihrer Kirchen sehr gut geklickt.
Ja, die wurden geklickt und zwar von anderen als denen, die normalerweise den Gottesdienst besuchen. Die Synode des Kirchenkreises Herne hat beschlossen, eine Haushaltsstelle für digitale Kirche zur Verfügung zu stellen, so dass es auch nach der Pandemie weiterhin digitale Angebote geben wird.
Sind denn trotz der digitalen Angebote viele Gläubige von der Kirche abgewichen in der Corona-Zeit?
Es hat Abbrüche gegeben. Wir haben ja zunächst gedacht, dass sich im Sommer Gruppen wieder treffen können und wieder mehr Normalität kommt. Vereinzelte Gruppen werden so nicht mehr zusammenkommen. Das ist schade, aber es wird so sein, dass sich das Leben in den Gemeinden anders formiert nach Corona. Es ist ganz sicher so, dass Leute nicht zurückfinden werden. Die Veränderungen müssen aufgearbeitet werden.
Es wurde der Kirche vorgeworfen, sie sei unsichtbar in der Corona-Zeit. Was sagen Sie dazu?
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Das kann ich so nicht sagen. Die Kirche hat sich in Teilen in die Digitalität verschoben. In Krankenhäusern zum Beispiel ist sie auch weiterhin sichtbar gewesen. Offene Kirchen hat es gegeben, Taufen und Trauerfeiern, Kurzgottesdienste am Sonntag. Es wurde experimentiert mit Konfirmationen in Gärten. Deswegen kann ich den Vorwurf nicht gut hören, wir hätten uns versteckt. Ich fand unser Verhalten eher verantwortlich, weil wir uns ja gerade nicht in einen Dornröschenschlaf geflüchtet haben. Ich mache eher Mut, nicht vorschnell zu sagen, dies oder das geht nicht, sondern die Freiräume in aller Verantwortung zu nutzen.
Was ist – neben der Digitalisierung – positiv aus der Pandemie für die Kirche entstanden?
Das kann ich nur abstrakt sagen. Die Kirche ist ja ein System, das sehr beharrlich ist. Und das ist auch gut, weil so ein Rahmen Sicherheit gibt. Gleichzeitig ist dadurch die Bereitschaft, etwas zu verändern erstmal gering ausgeprägt. Corona hat die Kirche auf eine Stufe katapultiert, die sie sonst lange Zeit nicht erreicht hätte. Es gibt Druck zur Veränderung. Ich hoffe, dass sich manches von dem, was jetzt Experiment ist, nach Corona etabliert. Diese Formen werden dann zu einem neuen System – und das ist dann das neue verlässliche System.
Was wollen Sie unseren Leserinnen und Lesern zu Weihnachten nun noch mit auf den Weg geben?
Ich sitze gerade an der Vorbereitung für eine Christmette mit dem tollen Satz aus einem unbekannten Brief: Es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen. Mit deinen Ängsten, mit allem was nicht geht, schaut Gott dich an. Ich wünsche allen Menschen, dass sie in den Schein dieser Gnade kommen. Das kann in einem Gottesdienst sein, Gott kann sich ihnen aber auch ganz woanders zeigen. Weihnachten ist immer wieder ein neuer Anfang und das ist auch der Grund, warum immer noch so viele Menschen in die Gottesdienste kommen an Weihnachten. Ich wünsche allen, die Weihnachten feiern, dass sie wissen, sie können neu anfangen, und es geht nach vorne.
>>>Zur Person
Mit Claudia Reifenberger steht erstmals eine Frau an der Spitze des Kirchenkreis Herne/Castrop-Rauxel. Sie folgte Reiner Rimkus.
Reifenberger kam erst 2016 in den Kirchenkreis, als sie Pfarrerin in der Kirchengemeinde Castrop-Rauxel-Nord wurde.
Zuvor hatte die 56-Jährige eine Pfarrstelle in Lünen und war im dortigen Kirchenkreis bereits stellvertretende Superintendentin.