Herne. Ungewöhnlich früh breitet sich das RS-Virus in diesem Jahr unter Kleinkindern aus. Die Herner Kinderärztin Anja Schulenburg warnt vor den Folgen.
Ungewöhnlich viele Kinder sind derzeit krank. Das berichtet Dr. Anja Schulenburg, Obfrau der Herner Kinder- und Jugendärzte. Zum einen grassiere das sogenannte RS-Virus, das Atemwegserkrankungen bei Kindern auslöst, außergewöhnlich früh und heftig. Doch auch andere schwere Erkältungsviren machten derzeit die Runde. Die Folge: volle Kinderarztpraxen und Klinikstationen.
„Die Infektwelle ist gigantisch“, sagt Schulenburg. Lange habe man sich gefragt, ob die Corona-Maßnahmen dafür sorgen würden, dass sich das Immunsystem der Kinder erholen könne – oder ob die Kleinen einfach im darauffolgenden Jahr die Krankheiten in aller Härte nachholten. Nun sei klar: Letzteres ist der Fall. „Anderthalb Jahre lang konnten die Kinder keine Immunität aufbauen“, so die Kinderärztin. Deshalb sei die Krankheitswelle nun so heftig.
Herner Kinderärztin: RS-Virus verbreitet sich normalerweise erst im November
Auffällig beim RS-Virus: „Das verbreitet sich normalerweise erst im November“, erklärt Schulenburg. Doch schon jetzt seien ungewöhnlich viele Kinder daran erkrankt. Für ältere Kinder sei das Virus gut zu bewältigen, Babys und Kleinkinder könne es aber hart treffen. Da es in Herne keine Kinderklinik mehr gibt, hat sich Schulenburg mit der Kinderpneumologin Dr. Folke Brinkmann von der Bochumer Universitätskinderklinik über die Situation dort ausgetauscht.
„Die Intensivstationen sind voll mit Kindern, die mit Bronchitis oder viraler Lungenentzündung eingeliefert werden“, berichtet Schulenburg nach dem Gespräch mit ihrer Kollegin. Wichtig sei allerdings zu betonen, dass die Kinder eine sehr gute Prognose hätten und nach absehbarer Zeit wieder entlassen werden könnten: „Sie brauchen eventuell etwas Sauerstoff, dass sie beatmet werden müssen, kommt aber nur sehr selten vor.“
Herner Kinderarztpraxen verschieben zum Teil Routineuntersuchungen
Eine weitere Folge: Kinderarztpraxen und Kliniken sind an der Belastungsgrenze. „Die Praxen gehen auf dem Zahnfleisch. In Herne werden deshalb Routineuntersuchungen von älteren Kindern schon verschoben“, weiß Schulenburg. Denn auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hätten ja Kinder, die von der Krankheitswelle nicht verschont blieben und versorgt werden müssten. Da könne es vorkommen, dass auf einmal ein Drittel der Besetzung ausfalle. Die Kinderärztin betont aber: „Auch wenn es voll ist und wenn man etwas Geduld braucht: Alle Kinder werden versorgt.“
Doch wie können Eltern nun erkennen, dass ihr Kind nicht bloß einen harmlosen Schnupfen, sondern eine gefährlichere Erkrankung wie das RS-Virus hat? Die Symptome seien grundsätzlich die gleichen, erklärt Schulenburg. Aber: „Wenn das Kind nur hustet und niest, handelt es sich meist um eine Erkältung, die man aussitzen kann.“ Aufmerksam sollten Eltern dagegen werden, wenn das Kind zusätzlich fiebere, nichts esse oder trinke, kurzatmig sei, glasige Augen habe. Grundsätzlich gelte: „Je jünger das Kind ist, desto schneller sollte man zu Arzt gehen.“
Nicht immer müssen Kinder zu Hause bleiben
Die beste Vorsorge ist laut der Kinderärztin gesunde Ernährung und viel frische Luft. Nicht ratsam sei es dagegen, sein Kind bei jeder Gelegenheit zu Hause zu lassen: „Wenn das Kind munter spielt und gut isst, kann es durchaus in den Kindergarten gehen.“ Andernfalls könnten Eltern ihren Beruf kaum noch ausüben – und die Erkrankung verzögere sich nur. Schulenburg appelliert allerdings auf der anderen Seite auch an Schulen und Kitas, den Eltern zu glauben, wenn sie ihr Kind krankmelden möchten, statt sofort auf ein Attest zu bestehen. Denn das belaste Eltern und Praxen zusätzlich.
>>> RKI: RS-Virus tritt zyklisch auf
- Laut Robert-Koch-Institut wurde die Verbreitung des RS-Virus in der Allgemeinbevölkerung „lange Zeit unterbewertet“.
- Nach aktuellen Schätzungen kämen RSV-Atemwegserkrankungen jedoch weltweit mit einer Inzidenz von 48,5 Fällen und 5,6 schweren Fällen pro 1.000 Kindern im ersten Lebensjahr vor.
- RSV-Infektionen treten zyklisch auf. In Mitteleuropa ist die Inzidenz von November bis April nach Angaben des RKI meist am höchsten, in den übrigen Monaten kommen sporadische Infektionen vor.