Herne. Herne hatte einst einen stolzen Zoo – mit Bären, Affen und Alligatoren. Geblieben ist im Gysenberg davon nur ein „Bauernhof“. Das kam so.
Familien, die heute den Tierpark im Gysenberg besuchen, finden keinen Hinweis mehr auf die bewegte Geschichte der Anlage. Früher tummelten sich im Gysenberg Hunderte Tiere, darunter Exoten wie Bären, Affen, Löwen oder Pinguine. Die Besucher strömten, und Herne war stolz auf seinen Zoo – das änderte sich in den 1970er Jahren.
Eröffnet wurde der neue Tierpark im Juni 1934. „Der Zoo der Stadt Herne eingeweiht!“, titelte die Herner Zeitung am 9. Juni 1934, und schloss ihren Bericht mit einem Appell: „Und nun, Herner Freunde, auf nach dem Giesenberg in unseren städtischen Zoo!“ Das taten die Bürger. Sie strömten zum Gysenberger Wald, den die Stadt 1927 vom Grafen Egon Franz von und zu Westerholt gekauft hatte und für die Bevölkerung zu einem Naherholungsgebiet umwandelte.
Zoo wurde immer größer, immer mehr Tierarten kamen
Zu den ersten Bewohnern des Zoos, sagt Stadtarchivar Jürgen Hagen, gehörten zwei Damhirsche und ein Kahltier. Mit dem Tierpark, erklärt er, sollte den Bürgern in der Bergarbeiterstadt Herne die heimische Tierwelt nähergebracht werden. Offenbar mit Erfolg: Knapp anderthalb Jahre später zog die Herner Zeitung eine erste Bilanz. „Wir Herner alle haben schon so manche Stunden der Freude im Herner Zoo gehabt“, hieß es am 16. November 1935. Und: „Der Tierpark ist uns fast zu einer Selbstverständlichkeit geworden, wir können uns den Giesenberg kaum noch ohne ihn vorstellen.“
Der erfolgreiche Start sorgte im Rathaus für Freude – und für ein Umdenken. Im Laufe der kommenden Jahre wurde der Zoo immer wieder erweitert, immer mehr Tierarten kamen hinzu. „Auf Drängen der politisch Verantwortlichen mussten exotische Tiere her“, sagt Hagen. Ein Affenhaus wurde eingerichtet, Zwinger gebaut, um nun auch Löwen, Wölfe, Bären, Tiger und Affen zur Schau zu stellen. Nach dem Aus des Zoos im Zweiten Weltkrieg, als Tiere wegen Futtermangels verendet oder erschossen worden und mitunter in den Kochtöpfen der hungernden Bevölkerung gelandet seien, hätten die Stadtväter 1952 den Neuaufbau angepackt. Wieder wurde „groß“ gedacht: Bescheidener als die Gründerväter seien sie nicht vorgegangen.
Elf Hektar, 1000 Tiere und 190 Arten
Und in der Tat: Liest man sich die Presseartikel in den kommenden Jahren durch, so wird regelmäßig über Neuheiten im Herner Tierpark berichtet. Es ist Wirtschaftswunderzeit, das Geld für Tiere und Attraktionen sitzt locker, nicht nur bei den Verantwortlichen im Rathaus, sondern auch bei Zoofreunden, darunter Parteigrößen und Unternehmern. „Sommerschlager 1965: Tiger für den Gysenberg“, titelte etwa die Herner Zeitung voller Vorfreude im Oktober 1964. Mufflons, Kakadus, Antilopen, Schimpansen, Gibbons, Flamingos, Bären, Alligatoren sowie Puma, Gorilla und Dromedar kamen, ebenso Seehunde, für die ein eigenes Becken gebaut wurde, und Hirsche, für die ein Waldstück im Gysenberg zur Verfügung gestellt wurde.
Im Interview mit der WAZ sagte ein stolzer Tierparkchef Gerd Meyhöfer im Juli 1971, dass jährlich eine Million Menschen den Zoo besuchten. Der „exotische Teil“ sei nunmehr 5,8 Hektar groß, der mit den Heimattieren 5,2 Hektar. Es gebe 1000 Tiere aus 190 Arten, fünf Tierpfleger und drei Gärtner kümmerten sich um den Zoo. Sein Vorteil gegenüber anderen Zoos in der Region: Der Eintritt, so Meyhöfer, sei hier umsonst. Folge: „Nach Dortmund etwa fährt die Ruhrgebietsfamilie einmal jährlich; zu uns kommt man eben jede Woche.“ Im selben Interview kündigte der Tierparkchef auch einen weiteren Ausbau an.
Exotische Tiere wurden mehr und mehr abgelehnt
Die „goldenen Zeiten“ des Zoos aber waren damit erreicht, ja vorbei. Langsam, aber sicher ging es bergab mit dem Tierpark, der mit Eröffnung des Revierparks Gysenberg in den neuen Park integriert wurde. „Ab Mitte der 1970er Jahre wurden die kritischen Stimmen immer lauter, die auf die nicht artgerechte Unterbringung der Tiere hinwiesen“, sagt Stadtarchivar Jürgen Hagen. Und fügt an: „Die Haltung exotischer Tiere wurde mehr und mehr abgelehnt.“
Pädagogik statt Exotik
„Gehege im Tal gleicht einem Bauernhof“: So titelte die WAZ am 15. Juni 1998, als der neue Tierpark Gysenberg eröffnet wurde. Statt Löwen, Alligatoren und Affen zogen nach über dreijähriger Bauzeit Hühner, Ziegen und Schweine in ein Stallgebäude mit Außenanlagen.
Statt Exotik wurde nun Pädagogik groß geschrieben. Oberbürgermeister Wolfgang Becker sagte in einer Eröffnungsrede, dass bei der Konzeption großer Wert auf „vielfältige pädagogische Ansätze im Sinne eines Klassenzimmers vor Ort“ gelegt worden sei. Zuletzt kamen auch wieder „Exoten“: Alpakas.
Hinzu gekommen sei, dass Anfang 1990 viele Gebäude baufällig wurden und teilweise sogar verrotteten, so dass eine artgerechte Haltung vielen nicht mehr möglich erschienen und Geld für eine komplette Modernisierung nicht mehr vorhanden gewesen sei. So hätten Politik und Verwaltung schließlich die Reißleine gezogen: Der Gysenberg-Zoo sollte zum „Bauernhof“ werden. „Der Tierbestand sollte erheblich verringert, auf nichteinheimische Tiere gänzlich verzichtet werden“, sagt Hagen. So seien Gehege, Einzäunungen und Bauwerke abgebrochen worden, ein kleiner Tierpark entstand. „Die ursprüngliche Idee des historischen Tierparks wurde also wieder aufgenommen“, sagt der Stadtarchivar.
50 Jahre Revierpark Gysenberg – Die WAZ-Serie
Der Revierpark Gysenberg feiert 2020 seinen 50. Geburtstag. In einer mehrteiligen Serie beleuchten wir den ersten Revierpark im Ruhrgebiet. Hier sind alle bisherigen Folgen: