Hattingen. Aus Spaß zum Scheich, Indianer und Mexikaner werden: Früher im Karneval normal, heute verpönt? Wir haben im Hattinger Karneval nachgefragt.
Wer sich als Kind noch bedenkenlos als „Indianer“ verkleidet hat, würde heute vermutlich zögern – oder etwa nicht? Immerhin gilt selbst die bloße Bezeichnung für die Ureinwohner Amerikas mittlerweile als verpönt. Während manche an dieser Stelle die so gerne ins Feld geführte „Political Correctness“ eher belächeln, richten sich andere nach ihr. Wir haben bei einer traditionellen Hattinger Karnevalsveranstaltung nachgefragt, wie es deren Besucher mit Kostüm-Verboten halten.
Die gesellschaftspolitische Diskussion kümmert die Karnevalisten am Samstag auf der „Holschentorsitzung“ der Karnevalsfreunde Bochum-Hattingen wenig. Die Sitzung ist schmissig, die Stimmung top. Mit donnernden Klängen der Trompeten und Posaunen und unter dröhnenden Paukenschlägen zog das Fanfarencorps pünktlich in den karnevalistisch geschmückten Saal ein. Der Spaß steht hier im Vordergrund, da sind sich die Närrinnen und Narren einig.
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„Das ist ja nicht böse gemeint“, erklärt René Kalbeck. Er ist für die Technik bei der Veranstaltung verantwortlich und versieht seinen Job in Gestalt eines Mexikaners mit buntem Überwurf und riesigem Sombrero. „Im Karneval da ist man frei! Wir verkleiden uns ja nicht in böser Absicht“, kann Kalbeck die Diskussion um die Ächtung bestimmter Kostüme nicht verstehen. Das sieht seine Partnerin Daniela Sperling ebenso: „Wir wollen doch einfach nur fröhlich sein und Spaß haben!“
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Rastafari, Orientdame, Afrikaner, Indianer oder Scheich sind verpönt
Im Kontext von Aktionen gegen Diskriminierung entwickelte das Forum gegen Rassismus bereits 2017 die Kampagne „Ich bin kein Kostüm!“. Die Kultur der indigenen Völker Amerikas, die auch heute noch Diskriminierung und Rassismus ausgesetzt sind, sollten nicht durch Verkleidung ins Lächerliche gezogen werden. „Kulturelle Aneignung“ wird als politisch nicht korrekt betrachtet, so dass ehemals beliebte Kostüme heute eigentlich tabu sind. Manfred Becker-Huberti, Theologe und Brauchtumsforscher aus Köln, stellt der Schwierigkeit, ein politisch korrektes Karnevalskostüm zu finden, den Kostümierungstrends zu Halloween gegenüber. Verkleidungen als Menschenfresser oder Massenmörder fänden heute großen Anklang, im Zuge der Diskussion um kulturelle Aneignung aber seien Rastafari, Orientdame, Afrikaner, Indianer oder ehemals so beliebte Scheich inzwischen verpönt.
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Keine ethischen Fragen wirft das Kostüm von Erwin Rehberg aus Köln auf. Der Liebe wegen sei er ehemals nach Hattingen gezogen, erläutert der leidenschaftliche Kölner. Der über 80-Jährige trägt stolz ein rotes Ornat mit Kölschem Stadtwappen.
Bürgermeisterkandidatin geht als Ordensfrau

Auch eine Ordensfrau in schwarzer Kutte und gestärkter weißer Haube und schwarzem Schleier feiert im Holschentor fröhlich mit. „Mit einem solchen Kostüm will ich weder provozieren noch ist das Blasphemie. Man muss nicht immer alles hinterfragen und per Dekret auch noch Kostüme verordnen. Besser ist eine offene Diskussion. Die Politik sollte im Karneval außen vor bleiben. Es geht doch einfach nur darum, dass die Menschen Spaß daran haben, einfach mal in eine andere Rolle zu schlüpfen“, erläutert Melanie Witte-Lonsing - die für die SPD als Bürgermeisterkandidatin antritt.
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Auf der sicheren Seite sind Karina Rüttgers und ihre Freundin Bettina Gellesch. Sie gehen immer gemeinsam Karneval feiern, und das auch immer in den gleichen, selbstgemachten Kostümen. Diesmal scheint die „Sonne“ gleich zweimal im Festraum: Lange goldgelbe Federn rahmen das Gesicht ein und bilden einen Strahlenkranz. Passend zum Motto der Hattinger Session „KFH – total verhext!“ liegen die Hexenkostüme schon bereit, denn die beiden Freundinnen fahren auch auf dem Wagen beim Umzug mit. „Meist mache ich drei Kostüme pro Session für uns beide“, erläutert Karina Rüttgers, wobei sie immer darauf achte, dass die Verkleidung für den Straßenkarneval auch wärmt: In diesem Jahr gehen sie darum als „Königspudel“, mit viel weißem Teddyplüsch, Schlappohren und repräsentativer Halskette. Politisch völlig korrekt!
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>> Tradition aus dem Mittelalter
Sich zu verkleiden, diese Tradition reicht bis ins Mittelalter zurück. Die Fastenzeit bedeutete eine Zeit der Abstinenz und der Enthaltsamkeit, eine körperliche und geistige Reinigung, die es in vielen Religion in unterschiedlicher Weise gibt. Vor der Fastenzeit war deshalb im Karneval sozusagen „alles“ erlaubt, und um die Anonymität zu wahren, bedeckten die Menschen ihre Gesichter mit Masken oder verkleideten sich.
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