Gladbeck. Halit Turan kam in den 60er Jahren als 18-Jähriger aus der Türkei nach Gladbeck. Er fand einen Job, gründete eine Familie und wollte nie zurück.
Die 1950er Jahre in der Bundesrepublik Deutschland: Die Wirtschaft boomt, Arbeitskräfte sind knapp. „Gastarbeiter“ unter anderem aus Italien, Spanien und Griechenland werden angeworben. 1961, vor 60 Jahren also, schließt die Bundesrepublik Deutschland auch mit der Türkei ein Anwerbeabkommen – und viele Menschen folgten dem Ruf nach Deutschland. Halit Turan (75) gehörte zu den Ersten, die nach Gladbeck kamen.
18 Jahre jung war er, sah in seiner Heimat, trotz mittlerer Reife, keine Chance auf eine adäquate Ausbildung, verdiente einen kargen Lohn als Landarbeiter. Als er in der Zeitung las, dass in Deutschland Berglehrlinge gesucht werden, überlegte er nicht lange: Im Mai 1964 verließ er die Kleinstadt Ceyhan im Süden der Türkei, verabschiedete er sich von seinen Eltern und den drei Geschwistern und stieg am Bahnhof Instanbul Sirkeci, berühmt als Endstation des „Orient-Express“, in den Zug Richtung Westen. Mit ihm traten 46 junge Männer, in Begleitung eines Gruppenleiters, die Reise in die Ungewissheit an. Drei Tage und drei Nächte dauerte die Fahrt nach München, dann ging’s weiter nach Gladbeck, in die Stadt, in der Halit Turan heute noch lebt.
Nach einem Zwischenfall im Bergbau schulte Halit Turan um
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Das Berglehrlingsheim am Hartmannshof war die erste Station. Neun Monate gingen die jungen Türken zunächst zur Schule, um die deutsche Sprache zu lernen, und wurden mit Schlosserarbeiten vertraut gemacht. 1965 startete Halit Turan seine Ausbildung als Berglehrling auf Mathias Stinnes 3/4 in Brauck.
Eigentlich wollte der junge Mann im Bergbau Karriere machen, Bergingenieur werden. Doch nach einem traumatischen Zwischenfall kam alles ganz anders. „Auf der Zeche Welheim ist ein Aufzug, der mich und weitere 35 Kumpel unter Tage befördern sollte, hundert Meter in die Tiefe gestürzt. Dank der Sicherungsvorkehrungen konnte er vor dem Aufprall gestoppt werden, aber von diesem Tag an hatte ich bei jeder Ein- und Ausfahrt riesige Angst“, erinnert sich Halit Turan. „Auch als Bergingenieur hätte ich unter Tage arbeiten müssen. Deshalb habe ich 1969 die Schule abgebrochen und dem Bergbau den Rücken gekehrt.“ Er ging als Schlosser auf Montage, arbeitete als Packer bei Siemens, ließ sich zum Schweißer umschulen, wurde Lehrschweißer (Meister).
Während eines Heimaturlaubs heiratete der Gastarbeiter
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Auch privat veränderte sich sein Leben. Während eines Urlaubs in der Türkei heiratete er 1969 eine Cousine. Seine Frau, von Beruf Lehrerin, folgte ihm 1970 nach Gladbeck, arbeitete zunächst als Schneiderin bei Buschfort, schon bald aber an der Uhland- und Lutherschule als Lehrerin. Das Paar bekam drei Kinder. Seit 2006 ist Halit Turan Witwer.
57 Jahre lebt er jetzt in Deutschland, in Gladbeck. Er habe nie daran gedacht, in die Türkei zurückzukehren, sagt er. Fremd habe er sich in seiner neuen Heimat nie gefühlt: „Das lag sicher auch daran, dass ich schnell die deutsche Sprache gelernt und nach der Zeit im Berglehrlingsheim fast nur deutsch gesprochen habe, dass ich mit deutschen Kollegen zum Frühschoppen gegangen bin, die Kinder zusammen gespielt haben. Ich hatte mehr Kontakt zu Deutschen als zu Türken und vor allem zu einer deutschen Familie, die mich schon unter ihre Fittiche genommen hat, als ich mein erstes kleines möbliertes Zimmer bezogen habe. Wir waren bis zu ihrem Tod enge Freunde.“ Und bedauernd fügt er hinzu: „So etwas gibt es heute nicht mehr. Leider.“
Der Rentner lernt gerade seine fünfte Sprache – Arabisch
In den letzten Jahren ist es in Halit Turans Leben stiller geworden, noch stiller seit Ausbruch der Corona-Pandemie. Mit zwei Hunden wohnt er im Eigenheim in Brauck, liest viele Sachbücher zu geschichtlichen und kulturellen Themen, lernt als fünfte Sprache – neben Türkisch, Deutsch, Englisch und Französisch – jetzt Arabisch. Er will in Gladbeck bleiben, hier auch seine letzte Ruhestätte finden, bei seiner Frau auf dem Braucker Friedhof.
Geboren und aufgewachsen in der Türkei, den Großteil des Lebens in Deutschland verbracht – fühlt sich Halit Turan als Türke oder als Deutscher? „Der Pass ist türkisch, ich bin beides.“
Sahin Ünlütürk: Bergmann und Berater
Tahsin Ünlütürk kam 1964 mit 24 Jahren nach Deutschland. Er gehörte zu den ersten angeworbenen „Gastarbeitern“ aus der Bergarbeiterstadt Zonguldak in der Türkei. Nach ein paar Wochen in Gelsenkirchen zog er nach Gladbeck und holte 1968 Frau und zwei Kinder nach. Das dritte Kind, Hülya, wurde in Gladbeck im St.-Barbara-Hospital geboren.Tahsin arbeitete bis zu seinem Ruhestand auf der Zeche Prosper-Haniel in Bottrop. Das Bergwerk hatte für wenige seiner ausländischen Mitarbeiter einen Deutschkurs organisiert. Er nahm daran teil und konnte in zwei Jahren seine Deutschkenntnisse so verbessern, dass ihm über Tage ein Büro zur Verfügung gestellt wurde und er als Ansprechpartner und Berater für ausländische Kumpel tätig werden konnte. Es war für ihn auch selbstverständlich, gewerkschaftlich aktiv zu sein. 2017 ist Tahsin Ünlütürk verstorben.Seine Tochter Hülya Haack-Yol hat sich als examinierte Krankenschwester mit einem Pflegedienst und einer Tagespflege in Gladbeck selbstständig gemacht und ist eine erfolgreiche Unternehmerin. Sein Sohn Bahtiyar Unlütürk (SPD) war lange Jahre Vorsitzender des Integrationsrates der Stadt.