Gelsenkirchen. „So kann es nicht weitergehen“: Vertreter von IHK und Sparkasse fordern jetzt ein Umdenken bei der Gelsenkirchener Wirtschaftspolitik.
- Sparkasse Gelsenkirchen und IHK haben den Elix-Konjunkturindex vorgelegt
- Die Unternehmen in der Region blicken mit Sorge in die Zukunft
- IHK-Mann Jochen Grütters fordert Umdenken bei Politik und Verwaltung
Die wirtschaftlichen Aussichten waren schon einmal besser für Gelsenkirchen, deutlich besser. Der „Elix“, der Konjunkturindex für die Wirtschaft in der Emscher-Lippe-Region, ist zwar leicht gestiegen – „aber nur deshalb, weil die Unternehmen davon ausgehen, dass es nicht mehr schlimmer werden kann“, fasst Michael Hottinger von der Gelsenkirchener Sparkasse zusammen. IHK-Chef Jochen Grütters wird noch deutlicher und richtet einen dringenden Appell an Politik und Verwaltung: „So, wie die Dinge in den vergangenen Jahren gelaufen sind, kann es nicht weitergehen.“
Zweimal im Jahr gibt die Sparkasse Gelsenkirchen gemeinsam mit der IHK den Elix heraus, ein regionales Konjunktur- und Stimmungsbarometer für die Emscher-Lippe-Region. Dafür werden rund 80 repräsentativ ausgewählte Mitgliedsunternehmen der IHK zur momentanen wirtschaftlichen Lage und zu ihren Zukunftserwartungen befragt.
Stimmung bei der Gelsenkirchener Wirtschaft ist schlecht
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Und die sind eher düster, wie Michael Hottinger und Martin Westrich von der Sparkasse und Jochen Grütters und Katja Venghaus von der IHK in dieser Woche bekanntgaben. Der Elix stieg zwar um sechs Punkte auf einen Wert von 78,2, damit liegt er aber deutlich unter dem langjährigen Durchschnitt von 101 Punkten. Hottinger macht drei Faktoren für die schlechte Stimmung in der heimischen Wirtschaft verantwortlich: „Die schwache Inlandsnachfrage, die hohen Energiekosten und die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen“, zählt er auf.
Emscher-Lippe-Region ist von der Rezession besonders betroffen
Zwar sei die Lage nicht nur hier schlecht, allgemein herrsche in Deutschland Rezession. „Aber in der Emscher-Lippe-Region verschärft sich die Situation wie unter einem Brennglas“, sagt Hottinger. Und Jochen Grütters, stellvertretender IHK-Hauptgeschäftsführer, bestätigt: „Standorte mit einem hohen Anteil an energieintensiven Industrien sind besonders belastet. Von Februar 2022 bis November 2024 sank die Produktion in den energieintensiven Industrien in NRW um 14,4 Prozent.“
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Grütters betonte noch einmal, dass die IHK als Körperschaft des öffentlichen Rechts parteipolitisch neutral sei. Wer zwischen den Zeilen liest, der erkannte aber dennoch ein gerüttelt Maß Kritik an der Gelsenkirchener Politik und Verwaltung. Grütters zitierte den Koalitionsvertrag von SPD und CDU, den die Parteien 2020 vereinbart hatten: „In der Wahlperiode 2020/25 geht es uns zentral um den Erhalt und die Schaffung weiterer Industriearbeitsplätze“, stünde da auf Seite eins, so Grütters. „Wenn man sich die Entwicklung der Zahl der Industriearbeitsplätze in Gelsenkirchen anschaut, so gibt es hier leider eine weitaus schlechtere Entwicklung als in anderen Städten“, so Grütters.
Grütters: Das muss in Gelsenkirchen besser werden
„Wie kann man diese Entwicklung umkehren?“, fragt er, und gibt die Antwort gleich mit: „Gelsenkirchen braucht eine strategische Standortentwicklung.“ Dazu gehöre auch, dass man konkrete und verbindliche Ziele für die Wirtschaftsentwicklung definiert – und erst nachher Konzepte entwickelt, um die Ziele zu erreichen. Was Grütters nicht sagt, aber anscheinend meint: Bisher sei das in Gelsenkirchen so nicht passiert. „Die Wirtschaft bietet dabei ihre Hilfe an“, sagt Grütters – schon lange gebe es den Vorschlag des IHK-Regionalausschusses, der Wirtschaftsförderung einen arbeitsfähigen Beirat aus der Unternehmerschaft zur Seite zu stellen. „Wir brauchen in Sachen Wirtschaftsentwicklung mehr Gestaltung als Verwaltung“, fordert Grütters.
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Ein weiterer Ansatz für die Schaffung von Industriearbeitsplätzen: „Gelsenkirchen braucht zügig eine geänderte Flächenpolitik“, fordert Grütters. Flächen, die für die Industrie ausgewiesen sind, sind in der Praxis vielfach nicht nutzbar, da sie mit Restriktionen behaftet sind. Beispielhaft nennt er folgende Gründe: Altlasten, heranrückende Wohnbebauung, Wegfall des Bestandsschutzes oder fehlende Verkaufsbereitschaft der Eigentümer.
Das sagt Grütters zu den Verkaufsplänen von BP
Es gebe ein „räumliches Strukturkonzept“, das der Rat im Jahr 2018 beschlossen hatte, in dem eine Entwicklung im Freiraum ausgeschlossen ist. Es müsse angesichts der beschränkten Flächenoptionen für die Ansiedlung von Industrieunternehmen eine bewusste politische Entscheidung dazu getroffen werden, ob der Schutz von Freiraum weiterhin gegenüber der Schaffung von Arbeitsplätzen vorrangig bleiben soll. Man sollte zumindest prüfen, ob die Ansiedlung von Industrieunternehmen angrenzend an Siedlungsbereiche, also etwa an Gewerbe- und Industrieflächen, an Flächen für öffentliche Einrichtungen oder Sportflächen möglich ist, regt der IHK-Chef an. „Das muss die Politik überdenken“, sagt Grütters.
Vorsichtig optimistisch zeigte sich Grütters immerhin beim Thema BP: Der britische Energiekonzern hatte bekanntlich zuletzt angekündigt, die Raffineriestandorte in Scholven und Horst verkaufen zu wollen, 2000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bangen um ihre Jobs. „Meiner Einschätzung nach ist es wahrscheinlicher, dass sich ein Käufer findet, als dass sich keiner findet“, so Grütters. „Das hängt aber auch von den Rahmenbedingungen ab – die Wahrscheinlichkeit wird erhöht, wenn Rechtssicherheit für die Ansiedlung von Unternehmen geschaffen wird, von denen die Raffinerie profitiert, also die geplante Pyrolyseanlage gebaut werden kann.“